© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/05 15. April 2005

Skandinavien als sauberes Vorbild
Vandalismus: Internationaler Anti-Graffiti-Kongreß diskutiert Maßnahmen gegen Schmierereien / Gesetzesänderungen geplant
Clemens Taeschner

Schon am Vorabend der weltweit ersten fachübergreifenden Konferenz über Strategien gegen den Graffiti-Vandalismus im Roten Rathaus von Berlin hatte die Staatssekretärin Hella Dunger-Löper von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bereits zwei wesentliche Aspekte der Zusammenkunft hervorgehoben: die Feststellung, daß Graffiti-Vandalismus ein ungeheures Maß an "visueller Aggressivität" transportiert, und die Hoffnung, der Kongreß möge als "Initialzündung" im Kampf gegen diese "Seuche unserer Zeit" wirken, wie es Dieter Blümmel vom Grundeigentum-Verlag Berlin bezeichnete.

Zu dem Ende vergangener Woche von der Berliner Bürgerinitiative Nofitti e.V. ausgerichteten Kongreß waren über 300 Teilnehmer aus aller Welt erschienen. Im Mittelpunkt standen die Vertreter aus den skandinavischen Ländern und den USA, die anhand von Beispielen überzeugend darlegten, daß es möglich ist, die Beschmierung des Stadtbildes effektiv zu bekämpfen.

Die Vorstellung eines internationalen Gütesiegels "graffiti-freie Stadt", das zeigen etwa die skandinavischen Hauptstädte, könnte deshalb tatsächlich eines Tages Realität werden. Die dortigen Null-Toleranz-Konzepte werden von einem politischen und gesellschaftlichen Konsens getragen, dem zufolge Graffiti-Delikte konsequent und sofort (meist binnen 24 Stunden) beseitigt werden und die Täter mit harten straf- und zivilrechtlichen Maßnahmen rechnen müssen, die ganz bewußt auch präventiven Charakter haben und der Abschreckung dienen.

Neben offensiven Aufklärungskampagnen in Schulen sowie mit Radiospots und Anzeigen wird versucht, dem Phänomen auch dadurch Herr zu werden, indem man der Sprayer-Unkultur keine öffentlichen Spielräume zur Verfügung stellt. Diese, das zeigt die Erfahrung, fördern nur das Sprayer-Unwesen und dienen der Kontaktaufnahme zum harten, kriminellen Kern der Szene. In Oslo zum Beispiel wurde der Handel mit Spraydosen verboten. In Berlin dagegen sind entsprechende Läden gleich dutzendweise zu finden. Von den geschätzten 8.000 Hauptstadt-Sprayern werden rund 300 dem harten Kern der Szene zugerechnet.

Mit Berlin war denn auch ein symbolischer Veranstaltungsort gewählt worden: "Spray-Athen" gilt zugleich als internationale Hauptstadt der Wandschmierereien, ein Eldorado auf der Landkarte des Sprayer-Tourismus, worunter in besonderem Maße auch die Deutsche Bahn zu leiden hat.

Schaden in Höhe mehrerer hundert Millionen Euro

In keiner anderen deutschen Stadt, resümierte Blümmel, der aus Sicht der Immobilienwirtschaft referierte, verunzierten so viele tags genannte Schriftzüge die Wände. Opfer seien nicht nur die Eigentümer, sondern ebensosehr die Bürger und Besucher der Stadt. Rund fünfzig Millionen Euro müssen in der Hauptstadt die Verkehrsbetriebe sowie öffentliche und private Vermieter jährlich aufbringen, um die Schäden zu beheben: Schmierereien, zerkratzte Scheiben und das Anbringen von Aufklebern.

Deutschlandweit, führte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach aus, müsse man sich eine Schadensbilanz von mehreren hundert Millionen Euro vergegenwärtigen. Engagierte Bürger wie die Aktivisten von Nofitti e.V. hätten "mehr getan als jeder noch so 'engagierte' Politiker".

Seit über sieben Jahren berät der Bundestag schon über ein Anti-Graffiti-Gesetz, das bislang am Widerstand der Grünen scheitert. Insbesondere deren Bundestagsabgeordneter Christian Ströbele wehrt sich gegen eine Verschärfung der entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches, durch die die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes einer Sache gegen den Willen des Eigentümers als Straftat geahndet würde. Selbst Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) plädiert für die Aufnahme einer entsprechenden Passage in das Gesetz, dessen erster Entwurf bereits aus dem Jahre 1962 stammt.

Bisher scheitert die strafrechtliche Verurteilung der gefaßten Täter in der Regel daran, daß ihnen keine Sachbeschädigung nachgewiesen werden kann. Diese liegt nach geltender Rechtsprechung nur vor, wenn eine Sache in ihrer Substanz verletzt wird, wenn also eine Schmiererei nicht mehr rückstandsfrei beseitigt werden kann oder wenn durch die Reinigung die Sache selbst beschädigt worden ist.

Ein erfolgreicher Kampf gegen den Graffiti-Vandalismus und die damit einhergehende Duldungs- und Verharmlosungstendenz wird aber nicht nur bei den Grünen ansetzen müssen. In einem der am schlimmsten beschmierten Stadtbezirke, im Prenzlauer Berg, scheint Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Zeichen der Zeit offensichtlich zu ignorieren.

Im Gegenteil: Für seine Veranstaltungsreihe "Thierse trifft" warb er jüngst noch mit einer großflächigen, in Graffiti- und tag-Manier gestalteten Plakatwand, die auch als Postkarte vielfach in Umlauf gelangte. Deutlicher könnte der Gegensatz zum bürgerlichen Lager kaum sein. Der direkte politische Gegenspieler Thierses, der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion Günter Nooke, hat ebenfalls hier seinen Wahlkreis. Er mahnte anläßlich des Kongresses dringend einen "Mentalitätswandel" an.


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