© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/05 08. April 2005

Zerstörte Hoffnungen
Enteignungen I: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte läßt einen beschädigten Rechtsstaat zurück
Klaus Peter Krause

Die Hoffnungen vieler wurden zerstört, die Befürchtungen weniger haben sich bewahrheitet, die Bundesregierung und viele ihrer Mitläufer triumphieren: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat nun doch gegen die Opfer politischer Verfolgung von 1945 bis 1949 im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands entschieden.

Dieses Ergebnis ist überraschend, denn selbst die Bundesregierung schien sich auf eine Niederlage eingestellt zu haben. Daß nun sie verloren haben, hat die Opfer wie der Schlag getroffen. Und besonders bitter: Der Gerichtshof in Straßburg war für sie die letzte Hoffnung. Bitter ist auch, daß die deutschen gesetzlichen Regelungen eine Rückgabe des noch frei verfügbaren kommunistischen Raubgutes keineswegs verbieten, wenn die Opfer politisch verfolgt und nach dem Untergang der DDR rehabilitiert wurden, sondern als Wiedergutmachung ermöglichen und gebieten. Frei verfügbar wurde es, als es 1990 in demokratische Staatshand geraten war. Befindet es sich dort noch, muß es der Staat herausgeben. Hat er es verkauft, muß er den Bereicherungserlös auskehren.

Die Rückgabe des Eigentums ist politisch nicht gewollt

Aber mit ihrem Vortäuschen eines sowjetisch aufgezwungenen Rückgabeverbots haben die Bundesregierung und ihre politischen Akteure erreicht, daß die breite Öffentlichkeit das Verbot selbst heute noch für eine historische Tatsache hält. Schlimmer noch: daß die zuständigen Behörden und Ämter sowie Gerichte die gesetzlichen Regelungen so anwenden, als bestünde das Verbot tatsächlich. So liegt das Infame der fein eingefädelten Täuschung darin, mit Hilfe der erfundenen Bedingung der Sowjetunion (und einer anderen echten der DDR) die an sich mögliche und gebotene Rückgabe oder Erlösauskehr als verboten erscheinen zu lassen, obwohl es die Gesetze anders regeln.

Allerdings sind diese Regelungen in ihrem Zusammenwirken kompliziert und nicht leicht zu verstehen. Auch viele, zu viele Richter scheinen sie nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen. Sie sehen und erleben nämlich seit Jahren: Die Rückgabe ist politisch nicht gewollt. Dieser Wille hat in den deutschen Parlamenten eine offensichtliche Mehrheit. Zu wenige Abgeordnete lehnen sich gegen ihn auf. Selbst viele, zu viele nichtrichterliche Juristen haben sich diesem Willen untergeordnet, teilen ihn und speisen Widerständler ab mit Bekundungen wie: Auch anderen Opfern widerfahre Unrecht ohne Wiedergutmachung, außerdem müsse nach sechzig Jahren mit dem Aufarbeiten einmal Schluß sein - und wollen nicht wahrhaben, daß auch Nazi-Unrecht zu Recht noch immer aufgearbeitet wird.

So erleben die Bürger, jedenfalls die nachdenklichen, wie sich deutsche Gerichte diesem gesetzes- wie rechtswidrigen Zeitgeist-Treiben hingeben, wie sie dem politischen Willen augenscheinlich folgen und wie die Urteile dem gewollten Ergebnis entsprechen. Daß dies selbst bei den höchsten deutschen Gerichten geschieht, dem Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht, und mit welchen Verrenkungen in ihren Urteilsbegründungen, ist besonders alarmierend. Auch der Bundesgerichtshof hat sich sehr beschädigt, als er guthieß, daß der gesamtdeutsche Staat einstigen DDR-Bürgern ohne Entschädigung geerbtes Land aus der "Bodenreform" wieder wegnahm und damit sogar gegen jene DDR-Bedingung verstieß. Über diesen Fall hat der Europäische Gerichtshof ebenfalls noch zu befinden.

Eine politisch angepaßte und ausgerichtete Justiz ist in Deutschland nicht neu. Es gab sie in der DDR, es gab sie davor in der Nazi-Zeit. Gewiß, die heutige ist von jener weit entfernt. Wenigstens das. Aber das gebrannte Kind sollte sich vor dem Feuer besonders hüten und mit dem Zündeln gar nicht erst anfangen. Das jedoch ist geschehen und geschieht weiterhin. Der Angriff auf das Eigentum war erfolgreich, das Eigentumsrecht ist schwer beschädigt. Angenagt wird es auf schleichende Weise schon lange (JF 13/05). Das Einfallstor für weitere Eingriffe steht jetzt auch sichtlich offen.

Anfängen ist zu wehren. Aber wer tut's? Der EGMR hat es nun ebenfalls nicht getan. Ist auch sein Urteil im Ergebnis letztlich politisch motiviert? Unterlegene sind mit einem solchen Verdacht schnell bei der Hand. Aber wenn überhaupt, nachzuweisen dürfte er nicht sein. Deutlich wird aus dem Urteil nur, daß der Gerichtshof die komplizierten deutschen Regelungen, die einfachrechtliche Lage, nicht durchschaut hat. Sie sind ihm allerdings auch nicht erläutert worden. Wohl so ist es zu dem Fehlurteil gekommen. Für das Recht ein schwarzer Tag.

Der Triumph der Bundesregierung und der ihr Gleichgesinnten ist ein makabres Triumphieren. Wenn bestehende Gesetze absichtsvoll, politischem Willen und öffentlicher Meinungsmache folgend, falsch verstanden und daher falsch angewendet werden, wird Recht nicht gesprochen, sondern gebeugt. Wie der deutsche Staat seit 1990 mit privatem Eigentum umgeht, ist ein Politik- und Rechtsskandal, der andere Skandale dieser Republik weit in den Schatten stellt. Für den Rechtsstaat ist er eine Schande. Und nicht nur er, denn staatliches Unrecht als Folge der Wiedervereinigung findet vielfältig statt, nur nicht so spektakulär wie bei dieser Fallgruppe, über die der Gerichtshof jetzt entschieden hat.

Rechtsfrieden ließe sich jetzt nur politisch herstellen

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat zum Urteil gesagt, es bringe nun für alle Rechtssicherheit. Gebracht hat es diese für den deutschen Staat, der das doppelt geraubte Gut (erst von den Kommunisten, dann von ihm selbst) nun gänzlich ungehemmt verkaufen kann - straflos, verantwortungslos; er kann sich dessen jetzt noch sicherer sein.

Dabei ist diese Rechtssicherheit in Wahrheit eine Sicherheit im Unrecht. Für das Recht der Bürger an ihrem Privateigentum dagegen hat das Urteil die Sicherheit verringert. Was es überhaupt nicht gebracht hat, ist Rechtsfrieden. Der ließe sich jetzt nur politisch herstellen. Aber bei SPD und Grünen besteht dazu keinerlei Bereitschaft. Auch im bürgerlichen Lager von CDU/CSU ist eine Mehrheit dafür nicht erkennbar. Die FDP könnte und möchte vielleicht wollen, ist politisch aber zu schwach.

Bleibt es dabei, gilt weiterhin, was ein ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof zu diesem Skandal der Nachwendezeit schon vor Jahren geäußert hat: "Ich kann und will nicht akzeptieren, daß sich der Unterschied zwischen dem Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland und einer südamerikanischen Bananenrepublik am Ende darauf reduziert, daß hier keine Bananen wachsen."


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