© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Schlappe Jugendliche: Nur die Eltern können helfen
Fett und fernsehsüchtig
Frank Liebermann

Langsam, schwach und unbeweglich. So sind die Kinder in Europa. Purzelbaum, Radschlagen oder ein Klimmzug sind für viele Jugendliche undenkbare Aktivitäten. Unseren Kindern geht es schlecht. Deutsche Kinder trinken zu viel und rauchen überdurchschnittlich oft. Außerdem treiben sie zu wenig Sport. Die einzige ernstzunehmende körperliche Aktivität scheinen Prügeleien zu sein. Die Folgen sind fatal. Erstmals droht in der westlichen Welt eine Generation weniger alt zu werden wie die der eigenen Eltern. In den USA ist es jetzt schon soweit, warnen britische Forscher. Ob es in Deutschland auch so kommt, ist fraglich. Allerdings ist eines klar. In einer Welt, die Bestleistungen fordert, hängt der Nachwuchs immer mehr ab.

Einzige körperliche Aktivität scheinen Prügeleien zu sein

Verschiedene Studien aus Europa und den USA belegen, daß es um die Jugend in der gesamten westlichen Welt schlecht bestellt ist. Eine Untersuchung des Schweizer Militärs fördert Erschütterndes zutage. Die Leistungen von Rekruten nehmen von Jahrgang zu Jahrgang ab. Früher kletterte ein Rekrut eine fünf Meter hohe Stange in 5,8 Sekunden hoch. Vor zwei Jahren wurde die Disziplin abgeschafft, da sie von immer weniger Rekruten bewältigt wurde.

Die Schweizer Beobachtungen treffen auch auf Deutschland zu. Bundeswehrärzte stellen fest, daß immer mehr Wehrpflichtige in extrem schlechter körperlicher Verfassung sind. Sie sind nicht in der Lage, minimale Ausdauerläufe erfolgreich zu absolvieren oder fünf Kilo Gepäck zu tragen. Eliteeinheiten haben Probleme, ausreichend körperlich belastbare Rekruten zu finden.

Ein Blick in die Kindergärten zeigt, daß es nicht besser wird: Die Hälfte der Kinder sind nicht mehr in der Lage, ihr Gleichgewicht auf einem Bein zu halten. Wenn die Kinder in die Pubertät kommen, wird es nicht viel besser. Denn dann entdecken sie Alkohol und Nikotin. Die Studie "Health Behavior in School Children" untersuchte im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation Jugendliche in 35 europäischen Staaten. Sie zeigt, daß es um die deutschen Er-nährungsgewohnheiten, jedenfalls im miserablen europäischen Schnitt, gar nicht so schlecht bestellt ist. Doch das hilft nicht weiter. Beim Konsum von Zigaretten sind die Deutschen Europameister. Bei den 15jährigen gehören 25 Prozent der Jungen und 27 Prozent der Mädchen zu den täglichen Konsumenten. Diese Zahlen sind ungewöhnlich hoch. Auch beim Alkoholkonsum sind die Deutschen vorne mit dabei. Sie rangieren im oberen Viertel, hinter Briten, Holländern und Dänen. Im Schnitt trinken die Jugendlichen den ersten Alkohol mit 13 Jahren, den ersten Vollrausch haben sie mit 14 Jahren.

Bewegungsarmut, Alkohol und falsche Ernährung führen zu einer immer dickeren Jugend. Allerdings sind die Studien problematisch. Es gibt keine eindeutige wissenschaftliche Definition für Übergewicht. Je nach Person kann dieses völlig unterschiedlich aussehen. Der Körpermasseindex, ein Wert der das Körpergewicht in Relation zur Größe setzt, ist nur bedingt tauglich. Ob ein bestimmter Index als zu hoch gilt, wird in Gremien bestimmt, in denen Wissenschaftler, aber auch Vertreter der Pharmaindustrie und Politik sitzen. Ob ein Gewicht dann als Übergewicht gilt, wird in Kompromissen festgelegt. Da wundert es auch nicht, wenn die Schätzungen der Anzahl überwichtiger Kinder zwischen 10 und 30 Prozent schwanken. Einig sind sich alle nur darin, daß sich das Problem verschärft hat.

Bisher sind sämtliche Maßnahmen fehlgeschlagen

Wer sich die Zahlen genauer anschaut, stellt fest, daß vor allem die Kinder aus niedrigen sozialen Schichten betroffen sind. Vier von fünf dicken Kindern stammen in Berlin aus Einwandererfamilien oder aus einer Familie mit niedrigem sozialen Status. Selbstverständlich hat auch Bundesernährungsministerin Renate Künast (Grüne) eine Meinung zu diesem Thema. Aufklärung soll helfen. Eltern sollen den Kindern beibringen, daß Rohkost besser als Fastfood ist.

Bisher sind allerdings sämtliche Maßnahmen fehlgeschlagen. Vorträge an Schulen über gesunde und ökologisch korrekte Kost nutzen wenig, wenn die gebildeten Eltern ihre Auffassungen bestätigt bekommen und die sozial Schwachen sich teure Öko-Produkte nicht leisten können. Alle Konzepte, von gesünderer Schulnahrung bis zu mehr Sportunterricht, haben nichts gebracht. Gefragt sind die Eltern. Sie müssen lernen, auch mit knappem Einkommen eine vernünftige Ernährung sicherzustellen. Konsequenz und Engagement ist gefragt. Kinder brauchen Grenzen - auch beim Konsum von Süßigkeiten, Fast-food oder dem Fernsehen.


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