© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Siegernation
Karl Heinzen

Im Ringen um eine so zeitgemäße wie wohlklingende Deutung des Kriegsendes vor sechzig Jahren hat nun auch der Kanzler der Öffentlichkeit seinen Vorschlag unterbreitet. Der 8. Mai 1945, so seine in der Mittelbayerischen Zeitung publizierte Interpretation, sei ein "Tag der Befreiung" gewesen, und man müsse ihn "vor allem" als "einen Sieg für Deutschland" betrachten.

Natürlich mag man Gerhard Schröder nun vorhalten, daß er mit dieser Formulierung nicht gerade Neuland betreten hat. Je weiter die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges in die Vergangenheit rückten, desto mehr hat sich die deutsche Öffentlichkeit zu einem Urteil durchgerungen, das die Wertungen der nationalsozialistischen Täter- und zugleich bundesrepublikanischen Gründergeneration nicht mehr als maßgeblich betrachtet. Wo Altpräsident Richard von Weizsäcker als ehemaliger NS-Offizier 1985 noch herumdrucksen mußte, daß man vierzig Jahre zuvor vielleicht ja auch befreit worden sei, hat das geeinte Deutschland so bereits 1995 Klartext sprechen können und die anachronistischen Störfeuer aus der Ecke Zitelmann und Dregger recht einmütig in die Schranken gewiesen.

Allerdings ist es auch nicht die Aufgabe eines Kanzlers, um jeden Preis originell zu sein. Er hat vielmehr das zum Ausdruck zu bringen, was die Staatsräson gebietet. In diesem Sinne formulierte Schröder den Konsens der überwiegenden Mehrheit der Bürger. Sie sind es leid, für die Taten von Vorfahren in die Verantwortung genommen zu werden, mit denen sie mental längst nichts mehr verbindet, und wollen statt dessen viel lieber gemeinsam mit jenen feiern, die unter zahlreichen Opfern der deutschen Geschichte endlich eine glückliche Wendung gegeben haben.

Darüber hinaus hat sich der Kanzler erneut als der eigentliche, längst nicht mehr nur heimliche Gestalter bundesrepublikanischer Außenpolitik zu erkennen gegeben. Nahezu alle Kriege, die große und mächtige Staaten heute gegen die Schurken unter den Underdogs führen, beziehen ihre Legitimation aus der Berechtigung des Vorgehens der einstigen Alliierten gegen Hitlerdeutschland. Wer diesen Rechtsgrund affirmiert, stellt sich auf die richtige Seite und darf hoffen, von Fall zu Fall am Erlös beteiligt zu werden. Der Vorwurf, daß man damit doch an eine unheilvolle Tradition anknüpfe, zieht nicht. Die Bundesrepublik versteht sich nicht als ein Land, das 1945 besiegt worden wäre. Hätte es sie schon vorher gegeben, dürfte sie sich einer Koalition der Willigen gegen Hitler und Konsorten keineswegs verweigert haben.


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