© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Von der Blindheit in die Armut
Gesundheitspolitik: Niedersachsen streicht das Blindengeld, andere Länder ziehen nach
Ulrich Richter

Am 11. September letzten Jahres fanden sich in Hannover 10.000 Blinde zur bisher größten Demonstration blinder Menschen seit 1945 zusammen. Grund waren die Pläne der Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), das Blindengeld in Niedersachsen als erstem Bundesland zum Jahresbeginn ersatzlos zu streichen. Aufgrund des starken Protestes wurde von einer völligen Streichung Abstand genommen und eine abgemilderte Lösung gefunden.

Seit Jahresanfang sind die neuen Regelungen nun in Kraft, und die meisten Blinden bekommen den scharfen Sparkurs der Landesregierung zu spüren. Und sind erbost: Zwar kam es nicht zu einer völligen Streichung des Geldes - nach der neuen Rechtslage gibt es statt vormals 409 Euro monatlich nun nur noch 300 Euro bis zum 27. Lebensjahr.

Doch diese Regelung wird als Farce empfunden. Bisher bekamen in Niedersachsen rund 11.400 Menschen Blindengeld, 70 Prozent der Empfänger sind jedoch älter als 65 Jahre, schließlich tritt Blindheit oft altersbedingt auf und somit stehen nun bis zu 90 Prozent der 12.000 blinden Menschen Niedersachsens ohne Beihilfe da. Dies kommt faktisch fast einer völligen Streichung gleich. Soziale Härtefälle haben die Möglichkeit, als Ersatz für das Blindengeld Sozialhilfe zu beantragen - aber erst, wenn alle Rücklagen aufgebraucht sind. Von den Kürzungen erhofft sich Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) Einsparungen in Höhe von 13 Millionen Euro - eine Rechnung, die wohl nicht aufgehen wird.

Zwar bekommen kurzfristig bis zu 90 Prozent der Blinden in Niedersachsen nun keine Gelder mehr, da das Geld aber dringend benötigt wird, um am sozialen Leben teilhaben zu können, wird es vielen in Zukunft unmöglich sein, weiterhin selbst Geld zu verdienen.

In der Folge werden mittelfristig viele Blinde auf Sozialhilfe angewiesen sein oder in Heime umziehen müssen. Das wird die öffentliche Hand mehr kosten, als jetzt das Blindengeld weiterzuzahlen. Erst durch das Blindengeld wird vielen Blinden eine Teilnahme am normalen Leben und somit auch eigenständige Arbeit, möglich - das Geld wird als Nachteilsausgleich benötigt, um blindengerechte Haushaltsgegenstände anzuschaffen, sehende Menschen zu beauftragen, Kontoauszüge vorzulesen und Post zu beantworten, oder für Bücher in Blindenschrift oder blindengerechte Uhren mit Zeitansage.

Alles ist erheblich teurer als in Normalausfertigung

Alles ist erheblich teurer als in Normalausfertigung. So kostet ein blindengerecht ausgestatteter Rechner etwa das Zehnfache des üblichen Kaufpreises. Und von ebensolchen Geräten sind Blinde nunmal abhängig, um selbständig leben und arbeiten zu können. Schließlich werden im Medienzeitalter 80 bis 90 Prozent der Informationen über das Sehen vermittelt. Fallen die Gelder zur Anschaffung weg, bleibt vielen Blinden nur noch der Abstieg in die Armut und der Weg zum Sozialamt.

Da die Blinden keine Leistungen aus der Pflegeversicherungen erhalten, befürchtet der niedersächsische Blindenverband (BVN) eine deutliche Schlechterstellung der Blinden im Vergleich mit anderen Behinderten, die vermögensunabhängige Leistungen aus der Pflegeversicherung bekommen. Diese sind den Blinden bei Einführung der Pflegeversicherung mit Verweis auf das Blindengeld verwehrt worden.

"Es entsetzt uns und macht ohnmächtig, mit ansehen zu müssen, wie eine Sozialministerin die ihrem Arbeitsbereich anvertraute Gruppe Blinder eiskalt und berechnend so verheerenden Folgen ausliefert", so der Sprecher des BVN, Hans-Werner Lange.

Die Reaktion ist verständlich. Schon 2004 wurde das Blindengeld um 20 Prozent auf 409 Euro gekürzt - damals hat der Verband von Protesten abgesehen, nachdem die Sozialministerin zugesagt hatte, daß das Blindengeld in dieser Legislaturperiode nicht noch einmal angetastet werde. Kein Jahr später schlug dieselbe Sozialministerin die gänzliche Streichung des Landesblindengeldes vor.

Diesmal jedoch nicht ohne Proteste. Nach der Demonstration in Hannover wird nun vom Landesblindenverband ein Volksbegehren angestrebt. Dafür müssen in sechs Monaten zunächst 25.000 Unterschriften gesammelt werden. Der BVN ist sicher, diese erste Hürde zu schaffen. Im nächsten Schritt müßten dann zehn Prozent der wahlberechtigten Niedersachsen für das Vorhaben unterschreiben, das bedeutet immerhin 600.000 Unterschriften.

Doch auch die Blindenverbände der anderen Bundesländer, die die insgesamt rund 125.000 Blinden in Deutschland vertreten, verfolgen die Entwicklung in Niedersachsen aufmerksam - befürchtet man doch, daß andere Länder dem Beispiel folgen könnten. So ist es auch schon im ebenfalls CDU-regierten Hamburg geschehen, wo das Blindengeld ebenfalls zum Jahresanfang um 23 Prozent gekürzt wurde.

Und auch in Thüringen soll nach Willen der CDU-Fraktionschefin Christine Lieberknecht das Blindengeld auf den Prüfstand. Nach Informationen des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) wird mittlerweile auch in Thüringen eine völlige Streichung der Leistungen in Erwägung gezogen. Und auch hier soll Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) noch im November in einem persönlichen Gespräch mit dem Landesblindenverband zugesichert haben, daß eine Abschaffung des Landesblindengeldes nicht zur Debatte stehe.

So notwendig das Sparen auch sein mag - es bleibt der bittere Beigeschmack, daß die Sanierung der Landesetats über diejenigen Bevölkerungsgruppen ausgetragen werden soll, die sich am schlechtesten wehren können.

Im Internet ( www.blindengeld-muss-bleiben.de ) finden sich weitere Informationen sowie die Möglichkeit, sich an der Unterschriftenaktion zum Erhalt des Blindengeldes zu beteiligen.


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