© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

Sorben lernen jetzt Dänisch
Minderheiten: Eigenständige Partei nach dem Vorbild des SSW gegründet / Geringe Erfolgsaussichten bei Landtagswahlen
Marcus Schmidt

Auch wenn die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Schleswig-Holstein durch die Partei der dänischen Minderheit in letzter Minute gescheitert ist: Das Beispiel des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) macht jetzt Schule. Auch bei anderen nationalen Minderheiten in Deutschland gibt es Überlegungen, parteipolitisch aktiv zu werden, um auf diesem Wege ihren Einfluß auf die Politik zu stärken.

Am weitesten sind die Pläne bei der Minderheit der slawischen Sorben gediehen: Am Osterwochenende hat sich in Cottbus (auf sorbisch Chosebuz) die Serbska Ludowa Strona (SLS), die Wendische Volkspartei, gegründet, die nach den Vorstellungen ihrer Initiatoren die Interessen der Sorben - die sich selbst teilweise als Wenden bezeichnen - vertreten soll. Die Parteigründer um den 34 Jahre alten Agraringenieur Hannes Kell, der zum ersten Vorsitzenden gewählt wurde, haben sich dem Programmentwurf zufolge unter anderem die Sicherung der staatlichen Förderung, den Erhalt und die Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur sowie den Erhalt des Siedlungsgebietes auf die Fahnen geschrieben. Hierbei haben die Parteigründer vor allem den Braunkohletagebau in der Lausitz im Auge. Mehrheitlich handelt es sich bei den Dörfern, die auch heute noch den riesigen Baggern zum Opfer fallen, um Siedlungen der slawischen Minderheit. Aus Sicht der Vertreter der Sorben eine besorgniserregende Entwicklung: Mit jedem Dorf, das von der Landkarte verschwindet, gerät die eigenständige Kultur der Sorben, die mit ihren Bräuchen vor allem noch auf dem Lande präsent ist, in Gefahr, endgültig in der deutschen Kultur aufzugehen. Die SLS sieht sich in der Kontinuität und Rechtsnachfolge der 1919 gegründeten Lausitzer Volkspartei, später in Wendische Volkspartei umbenannt, die in der Weimarer Republik zu Reichtagswahlen antrat, allerdings keine Mandate erringen konnte und in den dreißiger Jahren verboten wurde.

So sehr sich auf den ersten Blick die Parallelen zum SSW aufdrängen, um so mehr treten beim genaueren Hinschauen die Unterschiede zutage. Während der SSW von einer breiten Mehrheit der dänischen Minderheit mitgetragen und als politische Interessenvertretung anerkannt wird, gab es bei den Sorben bereits vor der Parteigründung Streit.

Vor allem die Domowina, der einflußreiche Dachverband der meisten sorbischen Vereine und Organisationen mit zusammen mehr als 7.000 Mitgliedern, die sich bislang als Interessenvertretung aller Sorben verstand, fürchtet jetzt um ihren Einfluß - obwohl die Parteigründer die SLS ausdrücklich nicht als Konkurrenz verstanden wissen wollen. Der Domowina-Vorsitzende Jan Nuck hat sich dennoch bislang sehr skeptisch zu einer sorbischen Parteigründung geäußert und angezweifelt, daß die Partei in einen Landtag einziehen könne.

In der Tat sind die Erfolgsaussichten der neuen Partei sehr bescheiden: Anders als die Dänen sind die Sorben auf zwei Bundesländer verteilt. In Sachsen leben rund 40.000 und in Brandenburg - wo die SLS zu Wahlen antreten will - lediglich etwa 20.000 Sorben. Die Parteigründer lassen sich dennoch nicht beirren und haben angekündigt, möglicherweise nicht nur zu Kommunal- und Landtagswahlen, sondern auch zu Bundestagswahlen anzutreten. Ähnlich wie der SSW müßte die Partei auch deutsche Wähler davon überzeugen, ihr die Stimme zu geben, um überhaupt ein Mandat zu erringen. In Brandenburg sind beispielsweise rund 20.000 Stimmen notwendig, um einen Sitz im Landtag zu erringen - genauso viele Sorben gibt es derzeit in Brandenburg, von denen allerdings natürlich längst nicht alle im wahlfähigen Alter sind.

Ein weiteres Problem für die neue Partei sind die Landeswahlgesetze von Sachsen und Brandenburg. In beiden Bundesländern ist eine Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde für Parteien der Minderheiten bislang nicht vorgesehen. Nach Ansicht von Verfassungsrechtlern könnte die Partei eine Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde mit Blick auf das Grundgesetz jedoch erzwingen, wenn sie als Minderheitenpartei anerkannt wird - warum sollte den Sorben vorenthalten werden, was den Dänen zugebilligt wird?

Während die Lage bei der dänischen Minderheit, den Friesen - die in Schleswig-Hostein vom SSW vertreten werden - und den Sorben in dieser Hinsicht relativ eindeutig ist, wird die Frage einer eigenen politischen Interessenvertretung bei der vierten in Deutschland anerkannten nationalen Minderheit, den Roma und Sinti, schwieriger. Diese von der Bundesregierung auf rund 70.000 Mitglieder geschätzte Minderheit lebt in Deutschland traditionell nicht in geschlossenen beziehungsweise seit Jahrhunderten angestammten Siedlungsgebieten wie etwa Dänen und Sorben. Eine eigene Minderheiten-Partei, die auf kommunaler Ebene oder in den Bundesländern für die Interessen der Roma und Sinti eintritt, ließe sich daher nur schwer verwirklichen. Möglich wäre allenfalls eine Minderheitenpartei auf Bundesebene. Allerdings wird für ein Bundestagsmandat ein Vielfaches der Stimmen benötigt, die zur Erlangung eines Sitzes in einem Landtag notwendig sind. Diesem Umstand und dem Fehlen einer einheitlichen Interessenvertretung aller in Deutschland lebenden Zigeuner ist es geschuldet, daß es bislang keine ernsthafte Pläne gegeben hat, eine eigene Partei zu gründen.

Wesentlich größere Erfolgschancen könnte sich hingegen eine Partei ausrechnen, die sich die Interessenvertretung in Deutschland lebenden Türken auf die Fahnen schreibt. Immerhin leben mittlerweile rund 2,6 Millionen Türken in Deutschland. Zwar verfügt diese Bevölkerungsgruppe ebenfalls nicht über ein angestammtes Siedlungsgebiet in Deutschland, doch könnte eine türkische Minderheitenpartei sowohl bei Landtags als auch bei Kommunal- und Bundestagswahlen die nötigen Stimmen zusammenbekommen.

Sorbische Abgeordnete im Sächsischen Landtag

Indes: Die auf deutschem Staatsgebiet lebenden Türken sind von der Bundesregierung nicht als eine nationale Minderheit anerkannt, eine Parteigründung bleibt ihnen daher verwehrt. Im Gegensatz zu den Dänen und Sorben, die bereits seit Jahrhunderten in ihren Dörfer leben - die Sorben sogar deutlich länger als ihre deutschen Nachbaren -, ist die überwiegende Zahl der Türken erst seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach (West-) Deutschland eingewandert. Ein viel zu kurzer Zeitraum, um den Status einer nationalen Minderheit zu erlangen. In einigen Jahrzehnten und mit der entsprechenden Lobbyarbeit könnte das indes anders aussehen.

Die Sorben sind übrigens auch ohne eine eigene Partei bereits in den Parlamenten vertreten. So gehören in Sachsen zwei Landtagsabgeordnete der Minderheit an. Einer von ihnen, der PDS-Abgeordnete Heiko Kosel, verschickt sogar seine Pressemitteilungen auf sorbisch. Auch ihre Regierungsfähigkeit haben die Sorben bereits unter Beweis gestellt: Der sächsische Umweltminister Stanislaw Tillich ist ebenfalls Sorbe.


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