© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

"Angst, 'abgeschaltet' zu werden"
Die amerikanische Lebensschützerin Rita Marker über den Fall Terri Schiavo, die Euthanasie-Bewegung und die Gefahren der "Sterbehilfe"
Moritz Schwarz

Frau Marker, welche Bedeutung hat der Fall Terri Schiavo für die gesellschaftliche Situation in den USA?

Marker: Neben der persönlichen Bedeutung, die der Fall für die Eltern Terris hat, die miterleben müssen, wie man ihr Kind verhungern läßt, und für all die anderen Menschen, die hierzulande über die Medien persönlich Anteil am Schicksal Terris genommen haben, hat er eine eminent politische Bedeutung. Denn die Euthanasie-Bewegung verfolgt weltweit eine konkrete gesellschaftspolitische Strategie.

Was meinen Sie?

Marker: Wann immer die Euthanasie-Bewegung aktiv wird, präsentiert sie die "wahre Geschichte" etwa eines Ehemannes oder eines Arztes, der "aus Mitleid" jemanden sterben läßt, um "unerträgliches Leid zu beenden".

Warum soll das nicht auch den Tatsachen entsprechen? Schließlich haben die Experten im Fall von Terri Schiavo vorausgesagt, sie habe keine Chance mehr, aus ihrem Koma zu erwachen.

Marker: Tatsächlich gibt es über Terris Fall unter den Experten Meinungsverschiedenheiten. So haben etwa nur drei der fünf Fachleute, die sie untersucht haben, ihren Zustand als hoffnungslos eingestuft. Zwei hatten dagegen nicht ausgeschlossen, daß sich ihr Zustand wieder bessert. Diese beiden - und übrigens einer der anderen drei - haben sogar davon gesprochen, daß eine Ernährung über den Mund, statt per Magensonde, hätte erfolgen können. Es waren jedoch Terris Mann und der zuständige Richter, die verhindert haben, daß man versucht hat, sie mit fester Nahrung zu versorgen.

Sechzig Prozent der US-Amerikaner haben sich laut Umfragen gegen eine Verlängerung der lebenserhaltenden Maßnahmen für Terri Schiavo ausgesprochen.

Marker: Die Erfahrung zeigt, daß die meisten Menschen keinerlei realistische Vorstellung vom Zustand Terris haben. Wenn Sie die Leute fragen, stellen Sie fest, sie glauben, eine Maschine hätte Terris Körperfunktionen vollständig übernommen. Vor dem geistigen Auge haben die Leute das Bild eines ganz und gar lebensuntüchtigen Menschen an einem Apparat. Die Menschen machen sich nicht klar, daß Terri lediglich per Maschine ernährt wird. Sie glauben folglich, Terry "abzuschalten", bedeute einen "natürlichen" Tod per Organversagen. Tatsächlich aber verhungert Terri - eine Todesart, die nur Zyniker "natürlich" nennen können. Vor zwei Wochen waren übrigens noch 89 Prozent der Befragten in den USA der Meinung, man solle Terri "sterben lassen". Dann fiel die Zahl auf 79 Prozent, Ende letzter Woche waren es noch 60 Prozent. Je mehr die Menschen mit dem Fall vertraut werden, desto geringer ist die Zahl derer, die für eine "schnelle Lösung" plädieren.

Also ein Medien-Problem?

Marker: Auch. Seien wir ehrlich, die meisten Leute lesen Zeitung, indem sie die Schlagzeilen überfliegen und dann ihrem Gefühl nachgeben. Das soll ein Maßstab sein? Und ich frage mich: Wozu eigentlich diese Umfragen? Die Meinung der Leute zu erkunden, ist eine Sache, aber so wie die Erhebungen dann in den Medien behandelt werden, muß man sich fragen: Sind wir im Collosseum in Rom, wo das Publikum per Handzeichen darüber entschied, ob ein Mensch sterben soll oder nicht? Vor allem aber bilden diese Umfragen den Resonanzboden für die Strategie der Euthanasiebewegung: Anrührende, "wahre" Geschichten sollen Schlagzeilen produzieren. Die Euthanasie-Lobby zielt direkt auf den Sensationshunger der Menschen und ihre Sehnsucht nach "Helden", "edlen" Taten und einem "Happy End". So wird auch Terris Ehemann Michael Schiavo gerne dargestellt.

Sie haben Zweifel?

Marker: Ihr Mann hat vor dem Gericht Millionen von Dollar erstritten, angeblich um sich um seine kranke Frau kümmern zu können. Er beschwor seine Liebe zu ihr und erklärte, sie für den Rest ihres Lebens pflegen zu wollen. Kaum war Terri das Geld zugesprochen worden - er ist übrigens der Erbe -, verlor er merklich das Interesse an Terris Pflege. Er ließ sogar gewisse Medikamente und Therapien einstellen. Nachdem Terri jedoch nach fünf Jahren dennoch nicht gestorben war, erinnerte er sich plötzlich, daß sie früher einmal den Wunsch geäußert habe, lieber zu sterben.

Ein schwerwiegender Vorwurf.

Marker: Nicht so schwerwiegend, wie jemanden verhungern zu lassen.

Haben Sie Beweise?

Marker: Sie müssen sich nur mit der Geschichte des Falles beschäftigen.

Sie haben zuvor von einer "Strategie" gesprochen. Klingt das nicht etwas nach "Verschwörungstheorie"?

Marker: Immerhin geht es darum, ein nach bisher üblichen Maßstäben schweres Verbrechen, das in dieser Form öffentlich abgelehnt werden würde, zu einer von der Öffentlichkeit akzeptierten medizinischen Maßnahme umzudeklarieren. Glauben Sie, das geht ohne Strategie?

Bitte werden Sie etwas konkreter.

Marker: Die Vertreter der Euthanasie benutzen schönfärberische Begriffe wie "Recht auf eigenen Tod", "selbstbestimmtes Sterben", "Sterben in Würde" oder "Sterbehilfe". Es handelt sich dabei um eine Manipulation durch Sprache, also um verbal engineering, das auf ein social engineering, also auf eine Veränderung unsere Lebensweisen und der sie regelnden Rechtsnormen zielt. Ein Beispiel für die Manipulation der Euthanasie-Lobby ist etwa der Fall der amerikanischen Krankenschwester Patty Rosen, die ihrer Tochter beim "Freitod" geholfen hat. In einem 60-Sekunden-Werbespot für Sterbehilfe wurde der Vorgang als Bereitstellung einer Pillen dargestellt, die die Tochter "freiwillig" eingenommen hat. In Wahrheit aber hat Rosen - nach eigener Aussage - ihre Tochter mit einer Injektion totgespritzt. Diese "Version" konnten die Sterbehilfebewegung aber natürlich für ihren Werbefeldzug nicht gebrauchen.

Es ist allerdings doch legitim, daß die Euthanasie-Bewegung den Fall Schiavo in ihrem Sinne interpretiert - solange sie bei den Fakten bleibt. So wie das die Lebensrechtsorganisationen auch tun.

Marker: Sicher, aber man muß sich bewußt sein, wie sehr dabei auf der Klaviatur der natürlichen Vorurteile gegenüber Behinderten gespielt wird. Es stimmt, daß der Fall Schiavo zeigt, wie tief diese Vorurteile bei uns angelegt sind. Denn die Frage, die viele Medien - die natürlich unter dem Einfluß des verbal engineering stehen - etwa im Fall Schiavo nahelegen, ist: "Würden Sie so leben wollen?" Die implizite Antwort ist natürlich "Nein!" Natürlich betrachten wir als gesunde, mehr oder minder glückliche und leistungsfähige Normalbürger das Leben schwerbehinderter Menschen wie Terri Schiavo unterschwellig als unwert - oder lassen Sie es mich neutraler formulieren -, als "nicht lebenswert". Deshalb sind es unter anderem auch Behindertenverbände, die so massiv gegen das Verhungernlassen Terri Schiavos protestieren. Stellen Sie die Frage dagegen so, daß klar wird, worauf sie in letzter Konsequenz hinausläuft, nämlich: "Sollte ein schwerbehinderter Mensch wie Terri getötet werden?", dann sind die meisten Leute sehr viel zögerlicher mit ihrer Antwort.

Wen genau meinen Sie mit "Euthanasie-Bewegung"?

Marker: Die Pro-Euthanasie-Bewegung ist eine weniger personalstarke als vielmehr finanzkräftige Bewegung. Einer, der für sie kräftig die Werbetrommel rührt, ist zum Beispiel der Milliardär George Soros ...

... der neben diesem "social engineering" in den USA auch noch eine Art "political engineering" im Ausland- etwa in Gestalt der "orangenen Revolution" in der Ukraine - betreibt (JF 51/04).

Marker: Die Pro-Euthanasie-Bewegung hat ihren Rückhalt in den eher wohlhabenden gesellschaftlichen Schichten der oberen Mittelklasse. Das sind Menschen, die in einer gewissen Sicherheit leben und deren Erfahrungshorizont ist, sich frei entscheiden können. Sie begreifen daher Euthanasie auch als ein Angebot: als Fortsetzung des Zustandes der Entscheidungsfreiheit - selbst bei einer so bestimmten Sache wie dem Tod. Sie können sich zudem eher schwer vorstellen, im Fall von Schicksalsschlägen wie einer Behinderung mit den daraus folgenden "Unannehmlichkeiten" belästigt zu werden. Die Anti-Euthanasie-Bewegung ist dagegen eher in der Schicht der kleinen Leute verankert: normale Bürger wie du und ich. Man könnte sagen, sie hat weniger Geld, vielleicht weniger Zugang zu Politik und Medien, dafür aber mehr Aktivisten. Das sind Menschen, für die das Leben nicht aus Entscheidungsfreiheit, sondern aus Nöten und Notwendigkeiten besteht, Leute, die die Unzulänglichkeit des alltäglichen Lebens mit seinen Mühen wie Kindererziehung, Altenpflege und Nachbarschaftshilfe kennen.

Euthanasie, eine soziale Frage?

Marker: Durchaus. Es sind schließlich eher wohlhabende Menschen, die sich in den USA überhaupt eine medizinische Betreuung leisten können, die es ermöglicht, bei einer extrem schweren Erkrankung am Leben zu bleiben. Ärmere Menschen sterben, bevor sie überhaupt ein Fall für die Euthanasie werden. Es ist bitter, aber arme Leute beschäftigt weniger, ob die Ärzte sie sterben lassen, als daß sie sie am Leben erhalten. Außerdem können sich wohlhabende Leute - in ihrer Idealvorstellung - für Euthanasie entscheiden - oder eben dagegen. Für die Mehrheit der Amerikaner stellt sie sich dagegen nicht als Wahlmöglichkeit dar. Sie fürchten sie vielmehr als Konsequenz, die sich bei entsprechender Erkrankung aus ihrer sozialen Lage ergibt. Sie fürchten nicht, daß sie nicht, sondern daß sie "abgeschaltet" werden, weil die Gesellschaft, Krankenhäuser oder Angehörige die Kosten nicht mehr länger tragen können oder wollen.

In den deutschen Medien ist immer wieder von der "christlichen Rechten" als dem Rückgrat der Anti-Euthanasie-Bewegung im Falle Schiavo die Rede.

Marker: Das ist die Sicht, die die Euthanasie-Bewegung von der Anti-Euthanasie-Bewegung gerne in der Öffentlichkeit vermitteln möchte: Sie versuche lediglich ihre religiösen Vorbehalte in die Öffentlichkeit zu tragen. Tatsächlich kann man nicht sagen, daß Christen und Rechte per se gegen Euthanasie, Liberale und Atheisten dagegen dafür wären. Sicherlich sind viele religiöse Gruppen gegen Euthanasie, andererseits aber ist zum Beispiel die Unitarian Church dezidiert dafür.

Welche Rolle spielt die Religion für die Anti-Euthanasie-Bewegung?

Marker: Es geht uns nicht um Religion, sondern um Politik. Natürlich haben die Mitglieder der Taskforce ihre religiösen Überzeugungen, aber die sind hier nicht relevant. Die Euthanasiefrage ist eine Frage der Gesellschaftspolitik! Die Euthanasiefrage ist eine Bürgerrechtsfrage! Die Taskforce ist eine Bürgerrechtsbewegung. Eher als politisch und religiös läßt sich die US-Gesellschaft in puncto Euthanasie in sozialer und in ethnischer Hinsicht sowie unter dem Gesichtspunkt des Alters sortieren. So sind etwa farbige Amerikaner eher gegen Euthanasie eingestellt, als weiße Amerikaner.

Ist das nicht nur eine andere Beschreibung der sozialen Zustände?

Marker: Nein, denn wenn man eine bestimmte Anzahl von sozial gleichgestellten Amerikanern schwarzer und weißer Herkunft befragt, sind in der Gruppe der Schwarzen in der Regel mehr Euthanasiegegner zu finden als in der der Weißen.

Warum?

Marker: Es handelt sich eben nicht nur um eine Frage der sozialen Standards, sondern auch der kulturellen Erfahrung. Und ebenso ist ein deutlicher Unterschied zwischen alten und jungen Menschen zu bemerken. Je älter die Amerikaner sind, desto skeptischer sind sie gegenüber der Euthanasie. Junge Menschen betrachten Euthanasie offenbar eher als freie Entscheidung eines Lebens, das ihnen unendlich viel zu bieten hat, während alte Menschen sie eher als soziale oder gesellschaftliche Konsequenz aus ihrer Hilfsbedürftigkeit gegenüber der Gesellschaft fürchten. Offenbar dämmert vielen, daß bei einer gesellschaftlichen Gewöhnung an die Euthanasie sich nicht etwa eine wunderbare neue Welt der Selbstbestimmung eröffnet, sondern daß ein gesellschaftliches Klima des unterschwelligen sozialen Drucks entsteht: Ein Druck, unter dem sich Alte und Kranke mehr oder weniger dafür rechtfertigen müssen, daß sie der Gesellschaft noch zur Last fallen. Die Euthanasie wird langfristig die offene Frage nach der finanziellen und gesellschaftlichen Wirtschaftlichkeit von Alten und Kranken bewirken. Nicht nur im öffentlichen Bereich, auch im Privatleben, wo Alte und Kranke den Angehörigen zu Hause zur Last fallen. Zudem werden sich Alte und Kranke selbst zunehmend der Vorstellung erwehren müssen, daß ihr Leben eigentlich nicht mehr wirklich lebenswert sei.

Sie malen schwarz.

Marker: Wer das glaubt, den erinnere ich an den Fall von Ann Humphrey, ursprünglich eine der Mitbegründerinnen der Euthanasie-Bewegung, die heute bereits sagt: "Bevor ich selbst an Krebs erkrankte, habe ich überhaupt nicht erkannt, wie unterschwellig - und auch offen - Druck auf Menschen ausgeübt wird, das Feld zu räumen und zu sterben."

 

Rita Marker ist Geschäftsführerin der Lebensrechtsorganisation International Taskforce on Euthanasia and Assisted Suicide. Die 64jährige Rechtsanwältin lehrt außerdem an der Universität von Steubenville in Ohio Politikwissenschaft und Ethik.

International Taskforce on Euthanasia and Assisted Suicide: Die 1987 in Washington State gegründete "Einsatzgruppe gegen Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen" versteht sich als weltweites Netzwerk aus Anti-Euthanasie-Gruppen und -Aktivisten. Kontakt: PO Box 760, Steubenville, OH-43952, USA www.international-taskforce.org

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen