© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Wenn's hart auf hart kommt
Filmen nach Zahlen: "Million Dollar Baby" von und mit Clint Eastwood
Michael Insel

Clint Eastwoods Behauptung, sein neuester Film "Million Dollar Baby" sei in Wirklichkeit "keine Geschichte übers Boxen", mag manchen Zuschauer verwundern, der das Kino in dem Glauben verläßt, eine ebensolche gesehen zu haben. In der Tradition von Melodramen im und um den Boxring wie King Vidors "Der Champ" (1932), Mark Robsons "Champion" (1949), John G. Avildsens "Rocky" (1976) und Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" (1980) vermischt "Million Dollar Baby" die schonungslose Darstellung der Brutalität im Ring mit Gesellschaftskritik und einem tragischen Ende, nur daß diesmal Hilary Swank in die Boxhandschuhe schlüpft, die einst den Kirk Douglas, Sylvester Stallone und Robert DeNiro vorbehalten waren. Die Handlung basiert auf der Sammlung "Champions: Geschichten aus dem Ring" aus der Feder F. X. Tooles, der jahrelang als "cut man" Platzwunden und kleinere Verletzungen verarztete, damit der Kampf weitergehen konnte.

Swank spielt Maggie Fitzgerald aus dem bettelarmen Trailerpark-Milieu der Ozarks, die eines Tages in einem heruntergekommenen Boxclub in Los Angeles auftaucht. Betrieben wird der "Hit Pit" von Frankie Dunn (Clint Eastwood), einem Einzelgänger mit knorrigem Äußeren und empfindsamer Seele, und dessen einzigem echten Freund, dem einäugigen Ex-Boxer Eddie "Scrap Iron" Dupris. Sie liefern sich verbale Schlagabtäusche wie ein altes Ehepaar und leben so jämmerliche Junggesellendasein, daß einem schier das Herz bricht - jedoch sollte man sich derartige Anwandlungen für die zweite Filmhälfte aufsparen.

Maggie schlägt sich als Kellnerin mehr recht als schlecht durch und hat wohl selber genug Boxfilme gesehen, um von einem Ausbruch aus der Armut zu träumen. Frankie weigert sich zunächst standhaft, eine Frau zu trainieren, geschweige denn eine, die mit 31 Jahren eigentlich schon über den Berg ist, besinnt sich aber dank Maggies Hartnäckigkeit und Scraps Fürsprache eines besseren.

Frankie ist ständig auf der Hut, ein Mann, dessen Lebensmaxime innerhalb und außerhalb des Boxrings lautet, man müsse sich immer schützen. Er geht so oft zur Messe, daß es sogar dem Pfarrer zuviel wird, und findet doch nicht die Absolution, die er sucht - für die (nie erläuterte) Entfremdung von seiner Tochter und weil er Scraps letzten Kampf, der mit dem Verlust seines Auges endete, nicht rechtzeitig beendete.

Wie kaum anders zu erwarten wäre, schließt er Maggie bald in sein waidwundes Herz: sie seine verlorene Tochter, er ihr früh verstorbener Vater. Derweil feiert sie - auch das nicht anders zu erwarten - im Ring einen phänomenalen Erfolg nach dem anderen und erhält bald ihre ganz große Chance. Beim Kampf um den Weltmeistertitel schlägt Frankie seine sonstige Vorsicht in den Wind, die Tragödie nimmt ihren Lauf, und "Million Dollar Baby" gleitet in ein sentimentales Drama wie aus dem sonntagnachmittäglichen Fernsehprogramm ab.

Nachdem ein Film vier Oscars gewonnen und den Zorn der Gottesfürchtigen auf sich gezogen hat (JF 10/05), erübrigt sich beinahe der ansonsten gebotene, dem Rezensenten das Geschäft erschwerende Anstand, eine plötzliche Wendung im Geschehen nicht preiszugeben. Wirklich ärgerlich wäre dies, wenn Eastwood die Verknüpfung von Sportfilm und Rührstück überzeugender gelungen wäre.

Tatsächlich fragt man sich, ob Swank ihre Rolle am Ende des Films noch nach demselben Drehbuch spielt wie in den ersten neunzig Minuten: Welche Kämpferin, die soviel austeilen und einstecken kann wie Maggie, würde sich derart sanftmütig in ihr Schicksal ergeben, wenn's wirklich hart auf hart kommt? Wer würde in ihrer geschundenen Haut nicht hadern, verbittern, Schuld zuweisen, doch wenigstens fragen: "Warum gerade ich?"

Statt Eastwood vorzuwerfen, daß er ein heikles Thema wie Sterbehilfe angepackt hat, sollte man sich wünschen, er hätte sich seriöser damit auseinandergesetzt und nicht gar so arg auf die Tränendrüsen gedrückt. Eins muß man ihm jedoch lassen: Ohne ein einziges Klischee des Genres auszulassen (und nicht ohne ein paar neue hinzuzudichten, wie etwa Frankies wenig plausible Leidenschaft für William Butler Yeats und die gälische Sprache), bietet "Million Dollar Baby" für jeden Geschmack etwas. Wem die Kampfszenen des ersten Teils zu blutig sind, den mögen die ethischen Dilemmata des zweiten erbauen, wenn auch nicht ihre Lösung.

Herausgekommen ist ein Film, der bis zu seinem mißglückten letzten Akt durchaus mitzureißen vermag. Den Hauptfiguren wird viel Raum und Zeit gelassen, dem Publikum ihre alltäglichen Sorgen und Triumphe nahezubringen. Swanks markige Darbietung erinnert an ihre Rolle in "Boys Don't Cry", für die sie 1999 schon einmal einen Oscar erhielt.

Eastwoods abgeklärte Leinwandpräsenz und schnörkellose Regierführung, die ihm die Oscars für beste Regie und besten Film eintrugen, schaffen eine Atmosphäre dichter Klaustrophobie: sparsame Beleuchtung mit dunklen Winkeln und Pfützen fahlen Kunstlichts wie aus einem Film noir und das Gefühl, draußen vor der Boxhalle beginne eine Welt stiller Verzweiflung. Sportfolklore mischt sich mit dem katholischen Dreimaleins, das alles präsentiert von Morgan Freeman als weisem Märchenonkel, der für die Rolle des Scrap ebenfalls einen Oscar als bester Nebendarsteller absahnte.

Frankie Dunn (Clint Eastwood), Maggie (Hilary Swank): Kein einziges Klischee des Genres ausgelassen


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