© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Nicht immer reichen Verdächtigungen
Gedenkpolitik: Ein Blick auf die Fakten bringt die geplante Umbenennung eines Platzes in Göttingen ins Stocken
Christian Vollradt

Das gemeinsam mit der neudeutschen Antifa-Angina grassierende Umbenennungs-Virus macht auch vor der bundesrepublikanischen Provinz nicht halt. Vor kurzem brachten die Fraktionen von SPD und Grünen im Rat der Universitätsstadt Göttingen einen Antrag auf Umbenennung eines Platzes ein. Begründung: Der bisherige Namensgeber sei ein Hitler-Verehrer und Antisemit gewesen.

Ehrung für die Erforschung der Stadtgeschichte

Bei dem solchermaßen Bezichtigten handelt es sich um den 1968 verstorbenen Pfarrer Albrecht Saathoff, nach dem 1978 ein eher unscheinbarer Platz samt dort befindlichem Altenheim benannt worden war. Diese Ehrung - genau wie zu Lebzeiten die Ehrenplakette der Stadt - erhielt der Kirchenmann nicht für sein politisches Bekenntnis, sondern für seine Verdienste um die Erforschung der Stadtgeschichte. 1937 hatte Saathoff anläßlich des zweihundertsten Geburtstag der Göttinger Universität eine zweibändige "Geschichte der Stadt Göttingen" verfaßt, die noch heute als Standardwerk gilt.

Den Stein für die postmortale Entnazifizierung Saathoffs brachte nun ebenfalls ein Theologe ins Rollen, der sich nach eigenem Bekunden mit besonderem historiographischen Eifer der Offenlegung von "Verstrickungen" seiner Kirche in die nationalsozialistische Diktatur verschrieben hat. Seine Ergebnisse im Falle des vor annähernd vier Jahrzehnten verstorbenen Amtsbruders teilte der ehemalige Pfarrer dem Rat der Stadt mit, um sogleich die Dekontaminierung des betreffenden Platzes von seiner braunen Namenslast zu fordern.

In der Tat hatte Saathoff in Ankündigungen oder im Gemeindeblatt dem "Führer" manchen Segenswunsch zuteil werden lassen und etwa in dem von ihm herausgegebenen "Kriegsgedenkbuch" gewünscht: "Gott schenke dem weltgeschichtlich großen Werk des Führers Gelingen und unserem Volke Heil und Sieg!" Wohlgemerkt stammen die Worte aus dem Jahre 1935.

Besonders frevelhaft, so die Nachforschungen des Hobby-Historikers, habe sich Saathoff jedoch gegenüber einem Göttinger Amtsbruder verhalten, der als jüdischstämmiger Protestant 1936 aus seiner Pfarrstelle gedrängt worden sei, nachdem der sogenannte "Arierparagraph" auch in der hannoverschen Landeskirche zum Tragen kam.

Kulturausschuß gab Gutachten in Auftrag

Nachdem der Fall "Saathoffplatz" in der lokalen Presse ausführlich dargestellt worden war, sah sich der Kulturausschuß des Rates zum Handeln gezwungen und gab beim Göttinger Stadtarchivar ein Gutachten dazu in Auftrag. Nach ersten Ermittlungen stellte dieser fest, Saathoff sei ein typischer Mitläufer gewesen, der sich den jeweiligen politischen Verhältnissen - auch denen der Nachkriegszeit - angepaßt habe. Die Namensgeberschaft gehe eindeutig auf seine Verdienste in der Stadtgeschichtsschreibung zurück.

Gleichermaßen entlastend äußerte sich im Lokalblatt der Sohn des einst aus dem Amt gedrängten jüdischstämmigen Pfarrers: Diese Entscheidung sei allein durch das Landeskirchenamt getroffen worden, Saathoff habe dem Vater nur geraten, den Posten zu räumen. Bis zuletzt sei Saathoff ein "Freund der Familie" gewesen.

Spätestens damit geriet die Umbenennungsaktion jetzt ins Stocken, obwohl Grüne und SPD betonen, es bliebe ja die "Hitler-Verehrung". Der wahre Grund für den nachlassenden Eifer könnte jedoch ein schlichter ökonomischer sein. Die Stadt beabsichtigt, das "Altenheim am Saathoffplatz" in Bälde zu veräußern. Eine Umbenennung des Platzes würde natürlich auch das Heim betreffen und daher im Vorfeld des Verkaufs noch eine zusätzliche Investition nach sich ziehen.


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