© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Frisch gepresst

Flucht und Vertreibung. "Der gewaltige Eisberg, der unter der Wasseroberfläche gehalten wurde, taucht auf und will bearbeitet werden." Diese Feststellung von Arno Surminski aus dem Vorwort des großen Bandes "Flucht und Vertreibung. Europa zwischen 1939 und 1948" (Ellert & Richter, Hamburg 2005, 280 Seiten, Abbildungen, gebunden, 24,95 Euro) stellt die Rezeption eines "Dramas von biblischen Ausmaßen, das nahezu jede Familie in Mittel- und Osteuropa direkt oder indirekt berührt hat" im Zuge seines sechzigsten Jahrestages bildhaft dar. Dabei sind die meisten Fakten und auch viele Bilder aus der reich illustrierten Übersicht bekannt - die Flucht über verschneite Alleen, die Schrecken, die die Daheimgebliebenen unter der sowjetischen Soldateska erleiden mußten, die Verschleppungen und schließlich die systematische Vertreibung durch die neuen polnischen, tschechischen oder russischen Herren in Viehwaggons, die in Nissenhütten und Notquartieren im daniederliegenden "Restdeutschland" ihr Ziel finden mußten. Doch die Aufarbeitung habe in Deutschland - insbesondere seitens der Intellektuellen - bis heute nur begrenzt stattgefunden. Bis heute überwog das Schweigen - teils aus Scham, teils aus politischer Korrektheit.

Zusammenbruch. Der Stuttgarter Historiker Gerhard Hirschfeld und seine "Rechte Hand" an der dortigen Bibliothek für Zeitgeschichte, Irina Renz, präsentieren - ähnlich dem "Blütenstaub"-Sammler Kempowski - Tagebucheintragungen, Briefe und "Gerüchte" aus den letzten Kriegsmonaten 1945, um anhand dieser Dokumente die Stimmung vieler Deutscher unmittelbar vor dem Zusammenbruch bildhaft zu machen. Aus der Mehrzahl dieser Zeugnisse spricht die Angst vor dem "bedrohlichen Verlust, der Zerstörung und der Katastrophe" (Jürgen Kocka). Von Befreiung sprachen damals nur Opfer und Gegner der Nationalsozialisten, sagt Hirschfeld, der damit die Identifikation der Deutschen mit ihrem Regime statt mit ihrem Vaterland, welches die NS-Herrschaft für sich reklamierte, als entscheidenden Grund des "kaum verständlichen Durchhaltewillens" erkennen will. Zumindest gesteht er zu, daß auch "die alliierte Kriegsführung selbst" dazu ihren Beitrag geleistet haben könnte (Vormittags die ersten Amerikaner. Stimmen und Bilder vom Kriegsende 1945. Klett-Cotta, Stuttgart 2005, 207 Seiten, gebunden, Abbildungen, 19 Euro).

Letzte Berichte. Bereits 1985 veröffentlichte der damalige Welt am Sonntag-Chefredakteur Günter Böddeker eine Arbeit über die letzten Kriegsmonate bis zur Kapitulation in Berlin-Karlshorst (Der Untergang des Dritten Reiches. Eine Bilddokumentation. Herbig Verlag, München 2005, 287 Seiten, 87 Abbildungen, 19,90 Euro). Dabei stützt er sich auf die Berichte des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Januar bis zum 9. Mai 1945, die er jeweils seiner propagandistisch entfärbten Erläuterung voranstellt. Nun ist diese interessante Mischung von Quelle und kenntnisreicher Analyse wieder zugänglich gemacht worden.


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