© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Argentinische Verhältnisse drohen
Finanzpolitik: Deutschland ist mit bis zu sieben Billionen Euro verschuldet / Zinsen verschlingen ein Fünftel der Steuereinnahmen
Bernd-Thomas Ramb

Wenn nicht ein (Wirtschafts-)Wunder geschieht, übersteigt Deutschland auch in diesem Jahr wieder die Obergrenze der im Stabilitätspakt festgelegten Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum vierten Male in Folge wird damit nicht nur EU-Recht gebrochen, sondern auch der Schuldenstand des Staates erheblich ausgeweitet. Die von der Bundesregierung angestrebte Aufweichung des Maastrichter Stabilitätspaktes kann bestenfalls die Strafzahlungen Deutschlands an die EU abwehren, der Schuldenanstieg bleibt jedoch ungebrochen. Im Gegenteil, das übermäßige Schuldenmachen wird nochmals erleichtert, frei nach dem Motto: "Was erlaubt ist, ist auch geboten".

Schon jetzt erreicht Deutschland einen bisher nie erfahrenen Schuldenstand. Zum Bilanztag 31. Dezember 2004 meldet das statistische Bundesamt Gesamtschulden der öffentlichen Hand von 1.394,7 Milliarden Euro. In alter D-Mark gerechnet sind das mehr als 2,7 Billionen - Größenordnungen, die an Zustände der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnern. Allein der Bund verantwortet einen Schuldenberg von mehr als 814 Milliarden Euro. Die Länder sind insgesamt mit rund 446 Milliarden beteiligt, und auf die Kommunen entfallen 110 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr wuchs der Schuldenberg um 69,1 Milliarden Euro oder 5,2 Prozent. Damit verletzt Deutschland auch das zweite Stabilitätskriterium, das einen Schuldenstand von mehr als 60 Prozent des BIP verbietet. Deutschland liegt nun bei 64 Prozent.

Dabei beziffern diese Zahlen nur die explizite Staatsverschuldung, also Kredite, die von Bund, Ländern und Gemeinden bei Banken und privaten Organisationen oder Einzelpersonen im In- und Ausland zur Finanzierung ihrer defizitären Haushalte aufgenommen wurden. Wirtschaftswissenschaftler, insbesondere die des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung und der Bundesbank, meinen, daß diese allein zu wenig über die finanzielle Belastung des Staates aussagen. Zusätzlich müsse die implizite Verschuldung beachtet werden, die sich aus Zahlungsverpflichtungen des Staates für Renten, Pensionen und ähnliche unabwendbare Ausgaben ergeben.

Nach Einschätzung des Sachver-ständigenrates beträgt die implizite Verschuldung zirka 270 Prozent des BIP. Damit läge die Gesamtverschuldung bei etwa 330 Prozent des BIP, umgerechnet mehr als 7,2 Billionen Euro - eine astronomische Horrorzahl. Werden in einer moderateren Berechnung die aktuellen Zahlungen der öffentlichen Haushalte für ihre Pensionäre und die Zuschüsse zur Rentenversicherung zugrunde gelegt und der Zinssatz berücksichtigt, der für die expliziten Schulden zu zahlen ist, offenbart sich eine implizite Verschuldung von mehr als 2,2 Billionen Euro. Die Gesamtschuldenhöhe Deutschlands bewegt sich damit irgendwo zwischen 3,6 und 7,2 Billionen Euro.

Die implizite Verschuldung durch die Pensionsverpflichtungen und Ren-tenkassenzuschüsse unterscheidet sich von der expliziten in wesentlichen Punkten: Es muß keine Tilgung erfolgen, der Schuldenstand hängt von der Anzahl der Pensionäre, präziser von deren Renteneintrittsalter und ihrer Lebensdauer ab, und die Höhe der Zahlungen kann willkürlich gesenkt werden. Die Rürup-Kommission hat bereits vorgerechnet, daß eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre eine beachtliche Reduktion der Zahlungsverpflichtungen bringen könnte. Renten-, aber auch Pensionskürzungen sind nicht nur legale oder legalisierbare, sondern angesichts der dauerhaft desolaten Staatsfinanzen auch mit großer Sicherheit zu erwartende "Entschul-dungsmaßnahmen".

Die expliziten Schulden sind dagegen tatsächlich zu tilgen, und das wirkt zunehmend wie Sprengstoff auf die Staatshaushalte. Momentan gelingt es dem Staat noch, nicht nur die laufenden Tilgungsverpflichtungen durch die Neuaufnahme von Krediten zu decken, sondern auch zusätzliche Kredite für die Finanzierung weiterer Haushaltsdefizite zu erwerben. Dazu tragen weniger die Bürger bei, die Vorsorge für das Altereinkommen treffen wollen. Sie finanzieren nur ein Fünftel der Staatsschulden. Die Hauptgruppe der Inhaber deutscher Staatsschuldentitel bilden mittlerweile ausländische Institutionen. Ihr Anteil stieg seit 1982 steil von fünf Prozent auf über vierzig Prozent. Dagegen haben die Banken, die bis 1999 über die Hälfte der Staatsschulden übernahmen, ihren Anteil nun auf unter 40 Prozent gesenkt.

Das kann an den wenig lukrativen Zinskonditionen liegen. Zur Zeit bieten Staatspapiere nur eine Rendite von 3,75 Prozent - ein absoluter Tiefstwert in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch verschlingen wegen der ungeheuren Höhe des Schuldenberges die Zinszahlungen fast ein Fünftel der Steuereinnahmen des Bundes und mehr als elf Prozent der Ländersteuereinnahmen. Steigt der Zinssatz demnächst wieder an, platzen die öffentlichen Haushalte endgültig. Dann droht die Gefahr, daß die öffentliche Hand ihre Zinszah-lungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann oder die Tilgung aussetzen muß. Die Banken scheinen das zu ahnen.

Die möglichen Folgen lassen sich aktuell am Beispiel der argentinischen Staatsschulden verdeutlichen. Die Käufer der argentinischen Staatsanleihen, zu 62 Prozent Ausländer, darunter Deutsche, die mehr als fünf Milliarden Dollar investiert haben, erhalten nur noch zwanzig Prozent ihrer Einlagen zurück. Die argentinische Regierung war es satt, für die Schulden ihrer Vorgänger geradezustehen. Ähnliches ist durchaus auch in Deutschland denkbar, wenn die nachwachsende Generation nicht mehr gewillt ist, für die von den Alten aufgetürmten Schulden einzustehen.


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