© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Die Woche
Die Skepsis überwiegt
Fritz Schenk

Nicht nur natürliche Wesen haben ihre eigene, gottgegebene Form, sondern auch vom Menschen geschaffene gesellschaftliche Einrichtungen. Uns interessiert insbesondere die Form der Staaten. Die Staatsform der Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Grundgesetz die des sozial verpflichteten demokratischen Rechtsstaats. Sein gesellschaftspolitisches Wesensmerkmal war seit Gründung das der Sozialen Marktwirtschaft. Von Ludwig Erhard entwickelt, basierte es auf zwei einfachen Grundüberlegungen: Ich wünsche mir, so Erhard, daß der Bürger sagt: "Ich will mein Leben eigenverantwortlich gestalten, meinen Beruf wählen, mich selber weiterbilden, für mein familiäres Umfeld sorgen, auch für die Fährnisse des Lebens selber vorbeugen - sorge du, Staat, dafür, daß ich das kann." Und die zweite lautete: Die Soziale Marktwirtschaft ist ein gesellschaftspolitischer Ordnungsrahmen, im dem der Wirtschaftsprozeß von vornherein in sozialen Formen und mit sozialen Ergebnissen abläuft.

Von dieser Grundform unserer Ordnung hat sich Deutschland durch Reformen längst verabschiedet, das heißt, wir haben uns zurückentwickelt, unsere Form zurückgebildet in den Verwaltungsstaat autoritärer Systeme.

Heute sagt niemand mehr, sorge du, Staat, dafür, daß ich das oder das (selber) kann, sondern sorge du, Staat, für mich. Und das ist nicht verwunderlich. Denn die Reformen der vergangenen Jahrzehnte waren ausnahmslos Rückbildungen der Sozialen Marktwirtschaft, Einschränkungen von Freiheiten und das Überwuchern gesetzlich-bürokratischer Regelungen, welche die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten immer stärkerer Bevormundung unterwerfen. Das kennzeichnet den Doppelsinn des Begriffs "Reform". Dahinter können sich nämlich sowohl Verbesserungen wie Nachteile verbergen. Die Staatsbürger haben dafür ein sehr empfindliches Gespür, weshalb sie vor allem den großen Parteien keine wirklichen Reformen mehr zutrauen.

Was sich in den letzten Jahrzehnten hinter "Reformen" verborgen hat, waren nämlich vorwiegend Erziehungsmaßnahmen. Wir sollten unsere Daseinsformen verändern. Vor allem in Richtung Sparsamkeit, Ökologie, Gutmenschlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Friedens- und Nächstenliebe, Gemeinschaftssinn und was sich hinter den Floskeln oder Ge- und Verboten der Political Correctness jeweils versteckte. Herausgekommen ist dabei ein Staatsmoloch mit der größten Bürokratie, die Deutschland je gehabt hat, 7,2 Billionen öffentlichen Schulden, mehr als fünf Millionen Arbeitslosen, Sozialsystemen am Rande des Bankrotts und allen Sünden, die Bundespräsident Horst Köhler wie schon sein Vor-Vorgänger Roman Herzog den Spitzen unserer Gesellschaft soeben wieder unter die Nase gerieben hat.

So dürfen wir denn gespannt sein, was das Spitzengespräch der Unionsvorsitzenden Angela Merkel und Edmund Stoiber bei Bundeskanzler Gerhard Schröder in dieser Woche an tatsächlichen Wirkungen auslösen wird: ob es zu solchen Reformen kommt, welche die rückwärtsgewandten Reformen wieder nach vorn korrigieren, das heißt den Staat zurückbauen werden, oder ob sich nur die Macher selbst reformieren und den Grundstein für eine Große Koalition legen, mit der sich die Mißstände besser, das heißt geräuschloser, verwalten lassen. Die Skepsis überwiegt.


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