© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Keine Zeugen, keine Beweise - aber immer wieder gern erzählt
Das ARD präsentiert die durch nichts belegte Geschichte eines Fußballspiels mit tödlichem Ausgang zwischen deutschen Besatzungssoldaten und ukrainischen Opfern
Jochen Arp

Materielle Zerstörungen, die ein Krieg mit Bomben und Granaten anrichtet, können meist in den Jahren nach der bewaffneten Auseinandersetzung behoben werden. Weitaus länger wirkt sich jedoch die psychologische Kriegführung aus. So findet man heute noch, vor allem im besiegten Deutschland, Überreste jener damals von Ost wie West verbreiteten angeblichen Tatsachenberichte und Meldungen, die der Brechung der gegnerischen und der Stärkung der eigenen Kampfmoral dienen sollten.

Sefton Delmer, der Chef der britischen "schwarzen Propaganda", einer Abteilung der psychologischen Kriegführung, berichtet in seinen Erinnerungen "Die Deutschen und ich" amüsiert, daß er bei seinen Inkognito-Reisen durchs Nachkriegsdeutschland mehrmals Deutsche traf, die die von ihm während des Krieges verbreiteten Legenden für historische Wahrheiten hielten, so die Geschichte des angeblich von dem hochdekorierten deutschen Luftwaffenobersten Werner Mölders verfaßten Briefes an einen Domprobst. Mölders war bei einem Unfall zu Tode gekommen. Die britische psychologische Kriegführung benutzte den Tod, um das Gerücht zu lancieren, das damals populäre Fliegeridol sei als frommer Katholik ein Gegner der damaligen deutschen Führung gewesen und habe das in diesem Brief zum Ausdruck gebracht, dabei auch die Vermutung geäußert, er werde von den "Gottlosen" (Nationalsozialisten) verfolgt. Sefton Delmer amüsierte sich noch Jahrzehnte nach dem Krieg darüber, daß die Deutschen diesen von A bis Z von seinen Psychokriegern fabrizierten Brief für wahr hielt.

Eine ähnliche Legende, die offensichtlich von der sowjetischen psychologischen Kriegführung stammt, taucht in schöner Regelmäßigkeit in deutschen Medien auf: Die Geschichte von dem "Fußballspiel auf Leben und Tod" im ukrainischen Kiew. Am 9. August 1942 fand dort ein Fußballspiel zwischen einer ukrainischen Fußballmannschaft und einer Mannschaft der dort stationierten deutschen Flak (Flugabwehr) statt, was durch ein im Sportmuseum Leipzig aufbewahrtes Plakat in ukrainischer Sprache belegt wird, ein offenbar nicht ungewöhnliches Ereignis, begegnete den deutschen Truppen doch gerade in der Ukraine anfangs viel Sympathie. Weil nun aber die ukrainischen Sportler die Deutschen das Spiel nicht gewinnen ließen - es endete 5: 3 für die Ukrainer -, wurden angeblich hinterher vier von ihnen exekutiert.

Alle Klischees der psychologischen Kriegführung

In der UdSSR wurde diese Legende unter erheblichem Aufwand ausgebaut. Man errichtete in Kiew sogar ein Denkmal für die Ermordeten. Und dann geisterte die Geschichte durch die Welt. Am 5. Dezember 1973 veröffentlichte sie die Stuttgarter Zeitung. In den USA griff sie ein Produzent auf, verlegte sie aber nach Frankreich und drehte darüber 1981 den Film "Escape to victory". Er enthielt alle Klischees, die zur psychologischen Kriegführung gehören: Brutale, dumme Deutsche, die sich von den pfiffigen patriotischen Fußballspielern austricksen ließen und sich dann nicht anders zu helfen wußten, als die tüchtigsten Spieler umzubringen. Am 26. Mai 2002 berichtete der Süddeutsche Rundfunk 2 über das Fußballspiel, und auch die Welt ließ sich dazu verleiten, als sie in Großaufmachung am 19. Mai 2002 von dem "vergessenen Kapital Sportgeschichte" berichtete, von dem "blanken Zynismus" des Schiedsrichters, einem "großen kahlen Mann in SS-Uniform", von der brutalen Spielweise der deutschen Flak-Soldaten und der tapferen patriotischen Haltung der "sowjetischen" Spieler, die "provokativ mit dem traditionellen Gruß der kommunistischen Sportler" das Spielfeld betraten.

Jetzt hat die ARD das fotogene Geschehen entdeckt und daraus einen Dokumentarfilm gedreht, der am 9. März 2005 unter dem Titel "Die Todeself - Ein Fußballspiel auf Leben und Tod" gesendet wurde. Autor war Claus Bredenbrock, produziert wurde er vom Westdeutschen Rundfunk.

Nun hatte bereits nach der Veröffentlichung in der Stuttgarter Zeitung im Jahre 1973 die Staatsanwaltschaft beim Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg Ermittlungen wegen des angeblichen Kriegsverbrechens der Ermordung einiger Spieler aufgenommen. Auf Anfrage antwortete die Staatsanwaltschaft am 30. September 1985 unter dem Aktenzeichen JPr 161/85: "Die von der Staatsanwaltschaft in dieser Sache geführten Ermittlungen führten zu keiner Klärung des Vorfalls. Auch nach Maßgabe der von den sowjetischen Behörden erbetenen und von diesen auch geleisteten Rechtshilfe konnte weder ein Vorgang der behaupteten Art selbst noch ein - wie von der Stuttgarter Zeitung beschrieben - Sonderlager für sowjetische Kriegsgefangene noch eine Luftwaffeneinheit, die für die behauptete Ausschreibung in Betracht kommen könnte, festgestellt werden. Die sowjetischen Behörden haben keinen Zeugen für die Tat benannt. Da weitere Beweismittel nicht zur Verfügung standen, mußte das Verfahren im März 1976 eingestellt werden. Mit freundlichen Grüßen - Beck - Oberstaatsanwalt."

Das hätten die zuständigen Personen des WDR auch ermitteln können. Doch sie ließen lieber ihrer von der politischen Korrektheit geprägten Phantasie freien Lauf.


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