© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Faktensalat an Polemik
Kritik an Benes-Dekreten
Ekkehard Schultz

Auch nach dem EU-Beitritt Tschechiens 2004 hat die Forderung nach der Aufhebung der die Entrechtung und Vertreibung der Sudetendeutschen und Madyaren regelnden Nachkriegsgesetzgebung ihre prinzipielle Berechtigung nicht verloren. Um so wichtiger ist es, die Materie in Form von seriösen Darstellungen in ständiger Erinnerung zu halten.

Leider spiegelt sich dieser Anspruch in der aktuellen Dokumentensammlung Gerhoch Reiseggers mit dem programmatischen Titel "Weg mit den Benesch-Dekreten!" bestenfalls rudimentär wider. Sie enthält neben den wesentlichen Erlassen und Dekreten das stark umstrittene, im Auftrag des Europaparlamentes 2002 erstellte Gutachten des früheren Vizepräsidenten der Europäischen Menschenrechtskommission, Jochen Frowein. Auch das von der Sudetendeutschen Landsmannschaft im gleichen Jahr vom Würzburger Minderheitenrechtler Dieter Blumenwitz entgegengestellte Gutachten mit fast gegensätzlicher Aussage sowie die Einleitung eines Rechtsgutachtens des österreichischen Experten für Volksgruppen- und Minderheitenschutz Felix Ermacora zur "sudetendeutschen Frage" von 1991 und ein aktuelles Gutachten zur "Frage der deutschen Heimatvertriebenen" von Frans du Buy werden dokumentiert. Ergänzt werden die Texte von aktuellen Stimmen aus der tschechischen, deutschen und österreichischen Regierung, von Vertretern der Heimatvertriebenen sowie durch historische Erläuterungen wie zur Staatsgründung der Tschechoslowakei 1919 sowie zum Münchner Abkommen von 1938.

Eigentlich sprechen schon diese Dokumente für sich und erlauben dem Leser leicht ein eigenes Urteil. Vollkommen kontraproduktiv sind daher die größtenteils höchst problematischen Kommentierungen und völlig unsinnigen Abschweifungen des Autors. Wenn Reisegger in den Dekreten und ihren unzweifelhaft mörderischen Folgen nicht das Werk von Menschen, sondern von "Dämonen" sieht, grenzt er sich vollständig aus jeglicher ernstzunehmenden Diskussion aus. Ob dem zu befürwortenden Anliegen damit gedient wird, läßt sich mit Fug und Recht bezweifeln.

Gerhoch Reisegger: "Weg mit den Benesch-Dekreten!" - Das ungesühnte Jahrhundert-Verbrechen. Texte, Gutachten, Folgen. Grabert-Verlag, Tübingen 2004, 448 Seiten, broschiert, 19,50 Euro


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