© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Nicht nur Rot-Grün macht arm
Armutsberichte: Unicef und die Bundesregierung schweigen sich über die Folgen der Masseneinwanderung aus
Kurt Zach

Armut ist im einstigen Wirtschaftswunderland auf dem Vormarsch. Jedes zehnte Kind in Deutschland wächst in relativer Armut auf, konstatiert eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) im Auftrag des Uno-Kinderhilfswerks Unicef. Unter den wohlhabenden Industrieländern zählt Deutschland in puncto Kinderarmut mit Platz 18 von 24 zu den Schlußlichtern. Der Armutsbericht der Bundesregierung bestätigt den Befund: Seit 1998 ist die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland größer geworden, und das Tempo nimmt zu. An schonungslose Ursachenforschung trauen sich indes weder die Berichterstatter noch die politisch Verantwortlichen heran.

Alarmierend ist vor allem die rasche Zunahme der Armutsquoten: In Westdeutschland habe sich die Kinderarmut seit 1989 von 4,5 auf 9,8 Prozent mehr als verdoppelt, in den neuen Ländern seit 1991 von 8,3 auf 12,6 Prozent um mehr als die Hälfte erhöht, berichtet Unicef. Als "relativ arm" gilt, wer in Haushalten mit weniger als der Hälfte des Durchschnittseinkommens lebt; 1,5 Millionen Kinder in Deutschland trifft dieses Schicksal. Der Armutsbericht der Bundesregierung verzeichnet zwischen 1998 und 2003 ein Anwachsen der relativ Armen von 12,1 auf 13,5 Prozent - das sind mehr als elf Millionen Menschen. 15 Prozent der Kinder bis 14 Jahre und 19,1 Prozent der Jugendlichen und jungen Leute bis 24 leben unter der Armutsschwelle, die die Bundesregierung nach EU-Norm höher, bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens ansetzt. Der Anteil der "in strenger Armut" Lebenden, die weniger als vierzig Prozent des Durchschnittseinkommens haben, ist dagegen mit 1,9 Prozent gleich geblieben.

Besonders betroffen von Kinderarmut sind in Deutschland laut RWI und Unicef die Kinder Alleinerziehender mit einer Quote von vierzig Prozent sowie Ausländerkinder, bei denen sich die Armutsrate in den letzten anderthalb Jahrzehnten von fünf auf 15 verdreifacht hat. Die Unicef-Studie sieht einen direkten Zusammenhang zwischen Kinderarmut und dem Umfang der staatlichen Sozialtransfers; als Beispiele werden die USA und Mexiko genannt, wo über ein Fünftel der Kinder in Armut leben. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt will mit gezielteren Sozialtransfers gegensteuern und verweist darauf, daß Rot-Grün auf diesem Feld einiges getan habe - etwa die Erhöhung des Kindergeldes. Den Negativtrend konnte diese Politik bisher gleichwohl nicht aufhalten: Die Wurzeln des Problems liegen offensichtlich tiefer.

Relative Armut bedeutet in einem Industrieland nicht automatisch Not und Elend. Anders als in Entwicklungsländern, wo mit Maßzahlen für absolute Armut ermittelt wird, wie viele Menschen in ihrer Existenz bedroht sind und ums nackte Überleben kämpfen, ist die Messung der relativen Armut in westlichen Industrieländern für Wissenschaftler ein "sozialpolitischer Seismograph": Der Index zeigt, wie groß der Teil der Bevölkerung ist, der vom Lebensstandard der Mehrheit abgekoppelt ist. Die nationalen Quoten sind international schwer vergleichbar. Wer in Deutschland arm ist, gilt in Ost-Anatolien immer noch als wohlhabend.

Hier liegt das erste Grundübel: Auch ein verarmendes Deutschland ist für Einwanderer aus noch ärmeren Ländern noch attraktiv, und zwar gerade wegen des hohen Niveaus seiner Sozialtransfers, die auch dem Armen ein Auskommen sichern. Armut ist in Deutschland - darauf deutet die hohe Ausländerquote - zu einem Gutteil importiert, und zwar durch die von Friedrich Merz einst konstatierte "Einwanderung in die Sozialsysteme". Konsequenzen haben aus dieser Erkenntnis bislang weder die Regierung noch die Opposition gezogen, die sich auf Parolen wie "Rot-Grün macht arm" beschränkt.

Das zweite Übel liegt im Ökonomischen: Armutsquote und Konjunkturentwicklung hängen, über längere Zeiträume gesehen, aufs engste zusammen. Je besser die Konjunktur, desto geringer die Armutsquote und das Ungleichgewicht in der Einkommensverteilung. "Armut läßt sich über Umverteilung von Einkommen zwar lindern, wirksame Armutsbekämpfung führt aber nur über Wachstum und Arbeitsplätze", kommentiert die FAZ. Theoretisch ist das auch der Bundesregierung klar, doch fallen der zuständigen SPD-Ministerin zur Lösung wiederum nur dirigistische Maßnahmen ein: "Gute Kinderbetreuung" ist Schmidt eine wichtige Voraussetzung der Erwerbsaufnahme, damit auch Alleinerziehende wieder wirtschaftlich selbständig werden können. Kollegin Ulla Schmidt ergänzt, "Investitionen in Bildung, Kinderbetreuung und die bessere Vermittlung von Arbeitslosen" seien "die Antworten auf die Probleme, die im Armutsbericht genannt sind".

Damit hätten die beiden Damen elegant das Teilproblem herausgepickt, das zu ihrer ideologischen Ausrichtung paßt. Gewerkschaften und Kirchen stimmen ein und fordern eine Ausweitung der Sozialtransfers - von der längeren Auszahlung des Arbeitslosengeldes und Beschäftigungsprogrammen (DGB-Chef Sommer) bis zur Gebührenfreiheit für Kinderhorte (GEW). Etwas richtiger liegt die Opposition von CDU und FDP, die die Ursache der steigenden Armut in wirtschaftspolitischen Versäumnissen sieht.

Der Hinweis aus SPD-Kreisen, immerhin habe man es doch fertiggebracht, daß der Sozialstaat noch halte, greift jedenfalls zu kurz: Das soziale Netz ist zum Zerreißen gespannt, es verschlingt jeden Euro, der noch irgendwo aufgetrieben kann, und erstickt dadurch jeden Ansatz zum Aufschwung.

Um die Gretchenfrage drücken sich Regierung und Opposition gleichermaßen herum. Deutschland kann sich bei 5,2 Millionen offiziellen und geschätzten über neun Millionen realen Arbeitslosen die weitere Finanzierung von Einwanderung nicht mehr leisten und muß den Kreis der Anspruchsberechtigten einschränken, um Produktivkräfte für den Wirtschaftsaufschwung freizusetzen und die nötige Liquidität für die solidarische Unterstützung der Bedürftigen im eigenen Volk zu erhalten. Das Problem der Einwanderung in die Sozialsysteme läßt sich nicht durch eine Neujustierung der Sozialtransfers lösen, sondern nur durch ein Umsteuern in der Ausländer- und Einwanderungspolitik.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen