© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Der deutsche Name
Ein Land, das aus der Krise kommen will, braucht ein Wir-Gefühl
Thorsten Hinz

Die Propheten des Postnationalismus in Deutschland sind größtenteils verstummt. Der Realitätsschock, unter dem das Land steht, trifft auch sie. Erstens haben andere Länder die Behauptung, daß die Nationen sich überlebt hätten und der Patriotismus ein atavistischer Hordeninstinkt sei, nie geteilt. Sie haben die deutsche Canossa-Mentalität nach Strich und Faden ausgenutzt, sie hinter vorgehaltener Hand aber für ein Zeichen von nationaler Verblödung gehalten. Die deutschen Funktionseliten beginnen zaghaft, daraus Konsequenzen zu ziehen, und zwar, zweitens, unter dem Eindruck nachlassender Wirtschaftskraft.

Das Postnationalismus-Gerede basierte ja nicht wirklich auf geschichtlicher Reflexion und Antizipation, sondern auf dem Gefühl materieller Überlegenheit, sozialer Sicherheit und ökonomischer Stärke. Was zum Wohlbefinden fehlte, war "der Zement des Empfindens einer gemeinsamen Identität" (Norbert Elias).

Den sollte ein postnational angelegter "Verfassungspatriotismus" liefern: ein politischer Avantgardismus, der einen moralischen Mehrwert versprach. Wortführer waren verbissene Oberlehrer, die im Bewußtsein ihres bombensicheren Pensionsanspruchs lebten. Für den sollte selbstverständlich der deutsche Staat aufkommen. Doch wo nichts mehr sicher ist, steht sogar die eigene Pension in Frage. Wen soll man dagegen anrufen? Die Welthandelsorganisation? Die EU-Kommission? Lächerlich! Bleibt nur der Nationalstaat. Der durchschnittliche Arbeitnehmer wußte das schon immer.

Drittens: Ein Land, das aus der Krise kommen will, braucht ein Minimum an positivem Wir-Gefühl. Um bei der Wirtschaft zu bleiben: Gerade Ökonomen betonen den Zusammenhang zwischen kollektiver Depression und fehlender Investitionsbereitschaft in Deutschland.

Kanzler Schröder versucht nun zu später - allzu später? - Stunde, einen neuen Patriotismus aus dem Geist des "Wirtschaftswunders" und des "Wunders von Bern" zu destillieren. Dieses beschränkte Konzept wird nicht aufgehen, denn das "Wirtschaftswunder" war nicht voraussetzungslos. Es bezog sich auf Traditionen, Vorkenntnisse, auf ein ausgeprägtes Arbeitsethos und einen hohen technischen Entwicklungsstand. Wichtige Akteure waren die Vertriebenen, die gezwungenermaßen ein mobiles Proletariat darstellten. Wer den Quellen des "Wirtschaftswunders" nachforscht, muß also den zeitlichen und territorialen Horizont der BRD überschreiten.

Und schließlich bedeutete die BRD-Gründung die Exklusion der SBZ/DDR. Der Nationalkommunist Wolfgang Harich war noch im Alter verbittert über die Zurückweisung der Stalin-Note durch die Bundesregierung 1952. Adenauer habe "eiskalt noch zu Lebzeiten des paranoiden alten Tyrannen (gemeint ist Stalin, Anm. d. Verf.) 18 Millionen Deutsche in den Stalinismus und seine Höllen zurückgestoßen". Ob damit die Motive und Möglichkeiten des ersten Bundeskanzlers realistisch eingeschätzt sind, sei dahingestellt. Jedenfalls wirft die deutsche Nachkriegszeit Fragen auf, die nicht mit dem Rekurs auf ein Fußballspiel zu beantworten sind.

Alternativkonzepte liefern weder die FDP noch die Grünen, auch nicht die zwischen Feigheit und Stumpfsinn schwankende Union. Um so bemerkenswerter ist ein Aufsatz, den Peter Brandt im SPD-nahen Theorieorgan Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte (Ausgabe März 2005) unter dem Titel: "Universelle Werte und Nationalkultur. Was ist deutscher Patriotismus?" veröffentlicht hat.

Ja, was ist deutscher Patriotismus? Keine Rückkehr ins 19. Jahrhundert, sondern "die spezifische Verbindung universeller Werte mit der Nationalkultur (...) sowie den nationalgeschichtlichen Traditionen". Dürfen die Deutschen die für sich in Anspruch nehmen? Müssen sie nicht des Sonderwegs eingedenk sein, den ihre Nation gegen den Normalfall des Westens eingeschlagen hat?

Von dieser These hält der Historiker Brandt gar nichts. "Denn im größeren Teil des 19. Jahrhunderts gehörten die kulturnationale Identifikation und die liberale Verfassungsbewegung Deutschlands zusammen, so wie umgekehrt in Frankreich und anderen vermeintlich rein staatsbürgerlichen Nationen historisch-kulturelle Eigenheiten mit prägend waren und in die jeweilige Nationalidentität eingingen. Anders hätte ein demokratischer Patriotismus niemals und nirgendwo Massenwirksamkeit erreicht."

Sind die "historisch-kulturellen Eigenheiten" Deutschlands denn nicht durch das "Dritte Reich" auf ewig kompromittiert? "Bezogen auf die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs stünde nicht der militärische Einsatz der Alliierten im Mittelpunkt der Identifikation, sondern - trotz Scheiterns - der deutsche Widerstand einschließlich des Exils in seiner ganzen Breite."

Die Memoiren Willy Brandts, die im denkwürdigen Jahr 1989 erschienen sind, schließen übrigens mit dem Satz: "Mitgetan zu haben, daß der deutsche Name, der Begriff des Friedens und die Aussicht auf europäische Freiheit zusammengebracht werden, ist die eigentliche Genugtuung meines Lebens."

Das Wort "deutsch" steht in der Aufzählung an erster Stelle. Würde man es streichen, verlöre die Beschreibung einer langen, reichen, schicksalhaften Existenz ihren Sinn.


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