© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Schattenwelt Multikultopia
Die "Ehrenmorde" werfen ein Schlaglicht auf die düstere Kehrseite von Einwanderer-Gesellschaften
Ellen Kositza

Die Ermordung Hatin Sürücüs - mutmaßliche Täter: ihre Brüder - am 7. Februar dieses Jahres war der sechste "Ehrenmord" in Berlin innerhalb der vergangenen fünf Monate. Die junge Türkin, die in Deutschland aufwuchs und als Fünfzehnjährige mit einem Landsmann verheiratet wurde, hatte sich dem Lebensstil westlicher Frauen und damit der Kultur ihrer neuen Heimat angepaßt - in den Augen ihrer Sippe ein tödlicher Fehler. Ähnlich wie nach dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh branden die Wogen der Empörung auf - bis zum nächsten Großthema.

Es ist ja keineswegs so, daß Themen wie Zwangsheirat, Ausländerkriminalität - jüngst machte wieder der multikriminelle Jugendliche "Mehmet" Schlagzeilen -, Frauenbeschneidung und eben "Ehrenmorde" totgeschwiegen werden: Wer Augen und Ohren hat zu sehen und zu hören, weiß auch ohne Schlagzeilenknüller Bescheid über die düstere Kehrseite der multikulturellen Utopie.

Dabei sind Terrorismus, Mord, Ehrenhändel und selbst der Kopftuchstreit nur die heißesten Sprühfunken eines Feuers, das als "multikulturelle Gesellschaft" die "Menschen in unserem Lande" (Angela Merkel) via Vielfaltserfahrung und verordnete Lektion in Toleranzdenken wärmen sollte - und dabei in Wirklichkeit beharrlich und fordernd an den Festungen unseres Wertesystems leckt. Daß auf Schulhöfen "Du Deutscher!" mancherorts zum üblen Schimpfwort taugt, daß unverschleierten Frauen in Großstädten wie Frankfurt oder Stuttgart der Einkaufsbummel zum Spießrutenlaufen geworden ist, kennzeichnet den Alltag jener fleischgewordenen "Multikultopia". Wo Werte allein längst diskutabel und angreifbar geworden sind, stehen nun aber Recht und Gesetz auf dem Spiel, und dies bringt den Schmelztiegel, wenigstens phasenweise, zum Überkochen.

Um markige Symbolbegriffe zur Kennzeichnung der akuten Lage - und im gleichen Atemzug pulverdampfenden Vernebelung des eigentlich Notwendigen, einer Abwanderungspolitik nämlich - ist man hierzulande nicht verlegen. Nach der "Boot ist voll"-Metapher und der "Leitkultur"-Debatte ist nun bildkräftig von einer "Parallelgesellschaft" die Rede, wenn urbane no-go areas gemeint sind, städtische Bezirke, die selbst für die Ordnungsmacht tabu sind, wenn es um befremdende Bräuche und Sitten von Minderheiten geht.

Das Bild einer drohenden Parallelgesellschaft wurde Mitte der Neunziger von dem Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer geprägt. Den Traum von einer funktionierenden Multikultur hat er bis heute nicht ad acta gelegt. Die Beantwortung der Frage nach Opfer und Täter im blutigen kulturellen Zusammenprall wird nicht nur aus Heitmeyers Sicht - und somit: aus einer Verursacher-Sicht - mittels halsbrecherischer Konstruktionen vorgenommen: Mangelnde Integrationsbemühungen auf deutscher Seite seien es, die Migranten zur Ghettoisierung und Ausprägung einer Parallelkultur bringen würden. So betont Riza Baran von der Berliner Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain/Kreuzberg, das Erstarken islamistischer Strömungen sei eine natürliche Reaktion auf hiesige Zustände, die Migranten immer noch ausgrenzten.

Im "Islamischen Portal", dem Internet-Auftritt von Mili Görüs, wird dem Begriff der Parallelgesellschaft mit Hohn begegnet: Man müsse dann auch von einer Parallelgesellschaft der Katholiken, Protestanten, Senioren usw. sprechen. Feridun Zaimoglu, literarisches enfant terrible, bezieht sich dagegen affirmativ auf die sogenannten Parallelgesellschaften intergrationsunwilliger Migranten: Sie gelten ihm als lobenswert und "kreative Sonderzonen" der Kultur. Damit berührt er die Frage nach den tragenden Pfeilern von Kultur überhaupt: Sprache, Religion und eine gemeinsame Vergangenheit. Drei Faktoren, die sich hierzulande im Stadium der Zersetzung befinden. Was hat eine post-heroische Gesellschaft wie unsere den glaubensstarken Macho-Kulturen eines Großteils der Einwanderer mit einem erhöhten Gewalt- und Aufopferungspotential entgegenzusetzen? Die Antwort dürfte bescheiden ausfallen. Allein die Verantwortung vor unseren Kindern gebietet, zu schützen, was an Restbeständen der christlich-abendländischen Kultur noch greifbar ist.

Das Stichwort zur Einwandererdebatte lautet dabei "Inkompatibilität". Multikulturelle Staaten, bestehend aus inkompatiblen Kulturen, hieß es jüngst auf einer Internationalen Terrorismuskonferenz in Berlin, verlören ihre gesellschaftliche Konsensfähigkeit: Wo das religiös-kulturelle Selbstverständnis der jeweiligen Herkunftsländer mehr störende denn ergänzende - oder, im Idealfall, bereichernde - Faktoren mit sich bringe, seien Regel-, Rangordnungs- und Ressourcenkonflikte unumgängliche Folge. Die berufsmäßigen Verharmloser solcher Zustände dürfen dennoch weiterhin das große Wort führen.

Würde dem Vorschlag des migrationspolitischen Sprechers im Berliner Abgeordnetenhaus, Thomas Kleindam (SPD), Folge geleistet, wonach künftig mit dem 7. Februar der Todestag Hatun Sürücüs als "Gedenktag für die Opfer von Gewalt gegen Frauen" Einzug in die lippenbekenntnisreiche Jahresgedenkleiste halten solle, so stünde im nächsten Jahr ein 48stündiger Gedenkmarathon an, der die Inkompatibilität gerade der Stellung der Frau in islamisch geprägten Ländern mit dem hiesigen Verständnis gedenkwütig verklausuliert: Der 6. Februar nämlich ist laut internationalem Gedächtnisplan als "Tag gegen die Mädchenbeschneidung" zu begehen. Etwa 24.000 Frauen meist afrikanischer Herkunft sind hierzulande an ihren Genitalien grausam verstümmelt, 6.000 Mädchen deutschlandweit von diesem blutigen und lebensgefährlichen Hinterhof-Ritus bedroht. Hier hilft auch kein per "Verfassungspatriotismus" anvisiertes social engeenering, im Gegenteil: Hier ist Integration bereits zum Scheitern verurteilt.

Eines darf auch bei dem gern getätigten Blick auf fleißige Auslandsstudenten, auf selbstbewußt durch Einkaufsstraßen flanierende Muslimas mit roten Lippen und Stöckelschuhen sowie den agilen Jungtürken in der Handballmannschaft nicht vergessen werden: Partizipation am Wohlstandsverhalten allein bedeutet nicht gelungene Integration!

Debatten, ob integrationsunwillige Migranten als harmlose "Subkulturen" oder als aggressive "Gegenkultur" von Minderheiten anzusehen seien, dürften sich jedoch in absehbarer Zeit erledigt haben. Der Kampf der Kulturen ist längst zu einem einseitig erklärten "Kampf der Wiegen" geworden. Laut Uno-Schätzungen wird die Anzahl der Europäer in den nächsten 45 Jahren um 70 Millionen schrumpfen, während rund 90 Millionen neue Einwanderer aus Entwicklungsländern in die Industrienationen erwartet werden.


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