© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Vorbereitungen für den Tag X
Enteignungen: Mögliche Folgen einer Niederlage in Straßburg / Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages legt Gutachten vor
Klaus Peter Krause

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat geprüft, was zu tun ist, wenn die Bundesregierung das Beschwerdeverfahren der sogenannten Bodenreformopfer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verliert. In einer "Ausarbeitung" wägt er unter der Überschrift "Innerstaatliche Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte" die Rechtslage ab. Abgeschlossen wurde dieses Gutachten schon am 17. Dezember vergangenen Jahres, es ist aber erst jetzt bekannt geworden. Weil es allein für den Fall verfaßt ist, daß die Bundesregierung in dem Verfahren unterliegt, werten Beobachter dies als Zeichen dafür, daß politische Kreise in Berlin mit einer Niederlage der Bundesregierung rechnen. Wer aus dem Bundestag die Begutachtung der Rechtslage in Auftrag gegeben hat, ist noch nicht bekannt.

Die Hauptaussage des Gutachtens kommt in der Zusammenfassung zum Ausdruck: Falls der Gerichtshof entscheide, der sogenannte Restitutionsausschluß verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), würde diese Entscheidung im Widerspruch zu Artikel 143, Absatz 3 des Grundgesetzes stehen. Sie dürfe also nicht befolgt werden. Allerdings würde dies, so heißt es in der Zusammenfassung weiter, an der Völkerrechtswidrigkeit des Restitutionsausschlusses nichts ändern. Dann obläge es dem Gesetzgeber, die innerstaatliche Rechtslage durch eine entsprechende Verfassungsänderung mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands in Einklang zu bringen.

Mit dem Begriff Restitutionsausschluß ist das vermeintliche Rückgabeverbot für Vermögenswerte jener Bevölkerungsschicht gemeint, die die Kommunisten während der sowjetischen Besatzungszeit (1945 bis 1949) als "Klassenfeinde" in grob rechtsstaatswidriger Weise politisch verfolgt und sie dabei auch sämtlichen Vermögens beraubt hatten, um sie wirtschaftlich zu vernichten. Zu diesen Verfolgten gehören auch die "Bodenreformopfer". Das Rückgabeverbot soll die einstige Sowjetunion zu einer Bedingung für ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung gemacht haben, was als unzutreffend aber längst nachgewiesen ist.

Kein Rückgabeverbot der einstigen Sowjetunion

Allerdings besagt jener Artikel 143, Absatz 3 des Grundgesetzes nur, daß Artikel 41 des Vertrages zur deutschen Einheit und Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit Bestand haben, als sie vorsehen, daß Eingriffe in das Eigentum im Gebiet der späteren DDR nicht mehr rückgängig gemacht werden. Dieser Artikel 41 macht die "Gemeinsame Erklärung vom 15. Juni 1990 zur Regelung offener Vermögensfragen" zum Bestandteil des Einheitsvertrages. Sie ihrerseits formuliert feststellend, die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszeit seien nicht mehr rückgängig zu machen. Aber diese bloße Feststellung wird nach wie vor als umfassendes Rückgabeverbot dargestellt und die genannte Bestimmung im Grundgesetz dahingehend verstanden, daß sie das vermeintliche Rückgabeverbot "verfassungsfest" mache.

Die Frage sei allerdings, meint der Verfasser des Gutachtens, inwieweit die Prämisse, daß der Artikel 143, Absatz 3 tatsächlich eine Restitution verbiete, richtig sei. Er besage ja nicht ausdrücklich, daß eine Rückgabe ausgeschlossen sei. Man könne ihn auch so interpretieren: "Die Verfassung verbietet nicht selbst die Rückgabe, sondern sagt nur, daß die unterverfassungsrechtlichen Normen, welche das tun, aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich sind." Dann sei der Gesetzgeber durch den Artikel 143, Absatz 3 nicht gezwungen, es beim Rückgabeausschluß zu belassen, er könne sich vielmehr auch für eine Rückgabe entscheiden. Würde sich also aus der erwarteten EGMR-Entscheidung eine Pflicht zur Rückgabe konkretisieren, stünde diese nicht zur Verfassung in Widerspruch, sondern "nur" zur Nicht-Rückgabe-Entscheidung des einfachen Gesetzgebers. Ob aber der Artikel 143, Absatz 3 so auszulegen sei, sei umstritten. Die überwiegende Ansicht scheine eher dahin zu tendieren, daß er das Rückgabeverbot festschreibe, also nicht nur dessen Verfassungsmäßigkeit sichere, und daß er es damit der Disposition des einfachen Gesetzgerbers entziehe. Doch selbst dann, wenn man dieser Ansicht folge, biete sich noch ein kleines Schlupfloch, um eine Rückgabe-Entscheidung des EGMR zu befolgen. Der Verfasser verweist dabei auf die Feststellung des Verfassungsgerichts: Da das Grundgesetz völkerrechtsfreundlich sei, könne der Fall vorliegen, in dem es "von der Interessenlage her angezeigt ist", Ausgleich im Wege des "Rückerwerbs" zu ermöglichen.

Entschädigung auch bei strengster Auslegung möglich

Aber auch in seiner strengsten Auslegung schließt der Artikel 143, Absatz 3, wie es im Gutachten abschließend heißt, nur die Rückgabe aus, nicht aber eine gerechte Entschädigung. Das heißt: Würde das Urteil für die Opfer nur auf eine solche Entschädigung hinauslaufen, müßte ihnen der deutsche Staat mehr zahlen als er ihnen bisher zubilligt. Fiskalisch günstiger allerdings wäre es, der Gesetzgeber entschlösse sich zur Rückgabe; sie würde den Haushalt nicht belasten. In beiden Fällen haben aber nur diejenigen unmittelbar etwas davon, die in Straßburg geklagt haben.


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