© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

Kolumne
Gespannt, wie es weitergeht
Heinrich Lummer

Wenn einer plötzlich stirbt, sagt man, er habe einen schönen Tod gehabt. Ist es wirklich so schön, so plötzlich zu sterben? Sterben ohne leiden zu müssen, das ist sicherlich angenehm. Im Mittelalter jedenfalls hat man darum gebetet, keinen plötzlichen Tod zu erleiden, sondern bewußt zu sterben. Und, was mich persönlich anbetrifft, so möchte ich nicht von irgendeinem Arzt oder was immer es sei in den bewußtlosen Tod hineingebracht werden. Ich möchte auch nicht hinters Licht geführt werden, wenn es ums Sterben geht. Manchen Arzt habe ich darauf angesprochen, wie er es denn hält mit der Frage, ob er dem Patienten sagt, daß er nun todkrank und die Zeit gemessen sei, die er noch zu leben habe.

Die Regelantwort der Mediziner ist die, man soll es nicht sagen und man sagt es auch nicht. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt in einer solchen Entwicklung, da wissen alle, daß derjenige gezeichnet ist vom Tode, daß seine Tage gezählt sind, nur der Betreffende selbst weiß es nicht. Ob das richtig ist, ist die Frage. Denn die Frage bleibt ja doch, ob nicht das Bewußtsein zum Sterben erst die letzte Chance eröffnet, "dem Leben einen würdigen Abschluß zu geben", eine letzte Chance. Die Frage ist nämlich die, wird man im Tode möglicherweise ein anderer, wenn man es weiß und weil man es vorher weiß? Ich glaube schon, daß dies wichtig ist.

Ich glaube wirklich, daß jener Satz von Montaigne richtig ist, der gesagt hat: Sterben lernen heißt leben lernen. Und nur dann, wenn wir in diesem Sinne vom Tode her das Leben begreifen und auch verstehen, eine Antwort auf die ewige Sinnfrage geben können, werden wir mit dem Phantom Tod fertig werden.

Je nach Anschauung und Bekenntnis der einen oder anderen Weise des Todes und der Todesvorstellung wird auch die Wertvorstellung und die Lebensanschauung jeweils anders ausfallen. Es gibt nur dann - wenn es ans Sterben geht - die Möglichkeit, eine gewisse Heiterkeit zu besitzen, wenn wir eine Vorstellung vom Tode haben und auch vom Tode her gelebt haben. Nicht nur - versteht sich. Und Zweifel wird es immer geben. Ich habe einen solchen Menschen erlebt, und ich will sagen, daß es selten ist, einen solchen Menschen zu erleben, aber dennoch: Es gibt solche Menschen. Eine Abgeordnete bei uns im Berliner Abgeordnetenhaus, die dort lange tätig war und die bewußt gestorben ist, hat am Ende lächelnd gefragt: Nun bin ich mal gespannt, wie es weitergeht.

 

Heinrich Lummer, Berliner Innensenator a. D., war bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


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