© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Experiment
Karl Heinzen

Skandalös an der sogenannten Visa-Affäre snd nicht die Vorgänge in der Verantwortung des Außenministers selbst, mit denen sich nun ein Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages im Zeichen wichtiger Landtagswahlkämpfe befaßt. Skandalös ist die künstliche Aufregung der Unionsparteien und der ihnen nahestehenden Medien, die eine Detailfrage der Tourismusförderung zu einem Problem der Inneren Sicherheit aufbauschen.

Als besonders perfide erscheint dabei, daß bedenkenlos alle guten Grundsätze des europäischen Miteinanders außer Betracht gelassen werden. Nach dem Ende des Kalten Krieges galt eigentlich: Wir wollen Schranken zwischen den Menschen unseres lange geteilten Kontinents einreißen und keine neuen errichten.

Folgerichtig ist die Europäische Union gewachsen, und manche Staaten, die ihr heute noch nicht angehören, machen sich berechtigte Hoffnungen, in absehbarer Zukunft dazustoßen zu dürfen. Zu ihnen zählt, wenngleich die Brüsseler Bürokratie hier bislang noch wenig Euphorie an den Tag legt, auch die Ukraine. Sicherlich hat sie ihren demokratischen Neuanfang, den die europäische Öffentlichkeit gebannt an den Bildschirmen verfolgte, nicht ganz aus eigener Kraft ins Werk gesetzt. Sie hat ihn aber gewagt, weil sie hoffen konnte, geistig, wirtschaftlich und langfristig auch institutionell Anschluß an den Westen zu finden. Diese Aufbruchstimmung darf jetzt nicht dadurch getrübt werden, daß man ihre Bürger sozusagen rückwirkend unter Generalverdacht stellt und zum Sicherheitsrisiko erklärt.

Niemand hat bisher zu erklären vermocht, warum ausgerechnet Ukrainer krimineller sein sollten als etwa die Bürger von EU-Partnerstaaten. Im Zuge der europäischen Freizügigkeit reisen auch aus Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Österreich ohne Formalitäten immer wieder Menschen in das Bundesgebiet ein, um in diesem dann gegen Gesetze zu verstoßen. Im übrigen werden, dies gerät zu oft in Vergessenheit, durchaus auch Bayern in Sachsen kriminell oder Rheinländer in Baden-Württemberg. Wen man also partout verhindern wollte, daß Gesetzesbrecher sich von Ort zu Ort bewegen, müßte man in letzter Konsequenz allen Menschen Mobilität untersagen. Dieser Preis totaler Sicherheit ist jedoch zu hoch.

Offenkundig ist die Kriminalitätsstatistik durch die beanstandete vorübergehende Praxis der Visa-Vergabe nicht signifikant beeinflußt worden. Man sollte den Fischer-Erlaß daher nicht diskreditieren, sondern als ein gelungenes Experiment betrachten.


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