© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Ein unbequemes Land
Naher Osten: USA setzen Syrien nach Hariri-Mord unter Druck / Notbündnis Damaskus-Teheran? / Russische Interesse
Alexander Griesbach

Die US-Regierung und das libanesische Oppositionsbündnis in Gestalt seiner Wortführer Nassib Lahoud und Walid Dschumblatt sind sich einig: Keiner will Syrien direkt für den Mord an dem libanesischen Ex-Premier Rafik Hariri verantwortlich machen, dem am 14. Februar eine 400-Kilogramm-Bombe zum Verhängnis wurde, die im Zentrum von Beirut detonierte.

Das Attentat habe aber gezeigt, so Richard Boucher, Sprecher des US-Außenministeriums, daß die militärische Präsenz Syriens keine Sicherheit biete und deshalb nicht notwendig sei. Sprich: Syrien hat aus Sicht der USA den Libanon gefälligst zu räumen.

Truppenabzug und Entwaffnung aller Milizen

US-Präsident George W. Bush behalte sich mehrere Möglichkeiten vor, erklärte US-Außenministerin Condoleezza Rice am Donnerstag letzter Woche bei einer Anhörung im US-Senat. Die US-Regierung setze aber zunächst weiter darauf, daß "gemeinsamer internationaler Druck" Syrien dazu bringe, die UN-Resolution 1559, die u. a. den Abzug "aller ausländischer Truppen" aus dem Libanon und die "Entwaffnung aller Milizen" vorsieht, zu erfüllen und seine 14.000 verbliebenen Soldaten aus dem Libanon abzuziehen.

Den USA stünden "viele, viele diplomatische Werkzeuge" zur Verfügung, ließ Rice sybillinisch durchblicken. Dem syrischen Präsidenten Bashar Assad hat es nichts genützt, daß er sich von dem Mord an Hariri distanziert hat - er sieht sich "international" auf die Anklagebank gesetzt. Die Beisetzung Hariris in Beirut, an der Hunderttausende teilnahmen, geriet zu einer Demonstration gegen Syrien, das mehr oder weniger offen für den Anschlag verantwortlich gemacht wurde.

Dem Autobombenanschlag auf Hariri gingen eine Reihe ähnlicher Anschläge voraus. Im Oktober 2004 entkam etwa Marwan Hamadeh, der ehemalige Wirtschaftsminister und ein Vertrauter Dschumblatts, nur schwerverletzt einer Autobombe. Im Januar 2002 kam Elie Hobeika, ehemaliger libanesischer Minister und Milizenführer, bei einem Mordanschlag ums Leben. Er wurde auf einer Beiruter Straße durch eine ferngezündete Bombe getötet. Hobeika war 1982 in die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila involviert und hat kurz vor seiner Ermordung über die Rolle, die Israels Premier Ariel Scharon bei diesen Massakern gespielt haben soll, aussagen wollen.

Die Opposition im Libanon sieht sich durch den Mord an Hariri im Aufwind. Der baathistischen Regierung des amtierenden Präsidenten Emile Lahoud verweigert sie die Anerkennung. Der Ex-General hat seine Amtszeit über eine Verfassungsänderung mit entsprechender Unterstützung Syriens um weitere sechs Jahre verlängert. Über die Forderung nach einem Abzug der syrischen Truppen herrscht in Reihen der libanesischen Opposition Einigkeit. Differenzen sind allerdings im Hinblick auf die Entwaffnung der Milizen im Libanon zu erwarten. Die christlichen Gruppierungen wollen die Entwaffnung der Hisbollah und der Palästinensergruppen in den Flüchtlingslagern. Drusische und muslimische Politiker hingegen plädieren für eine Stufenlösung, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist.

Daß Syrien oder die libanesische Regierung an der Ermordung Rafik Hariris in irgendeiner Art und Weise verwickelt sein könnten, dafür gibt es bislang keinerlei Beweise. Im Gegenteil: Ein nachvollziehbares Interesse an der Ermordung Hariris seitens der libanesischen Regierung oder Syriens kann beim besten Willen nicht ausgemacht werden. Hariri ist nicht als Syrien-Gegner in Erscheinung getreten. Er war nach den Ausführungen des Publizisten Alfred Hackensberger zunächst und vor allem ein "Geschäftsmann", der sich alle Optionen offenhielt. Hackensberger weist darauf hin, daß Syrien "für die USA ein unbequemes Land" sei, das einen "unabhängigen politischen Kurs" verfolge. Syrien unterstütze Palästina und die Hisbollah und behindere "so wenig wie möglich den Kampf der 'Aufständischen' im Irak". Gerade durch die Präsenz der USA im Mittleren Osten sei der "Einfluß Syriens" stärker geworden. Es ist also keineswegs so, wie es etwa die Washington Post glauben machen will, daß das "Schurken-Regime in Damaskus" von dem Mord profitiert.

Eine Kommandozentrale irakischer Baathisten

Die USA beschuldigen Syrien schon lange, eine Art Kommandozentrale irakischer Baathisten zu sein, von der aus die Angriffe auf die US-Streitkräfte koordiniert werden sollen. Auch Israel ist Syrien ein Dorn im Auge, weil es Palästinensergruppen wie der Hamas Zuflucht gewährt hat. Weiter unternimmt die syrische Regierung aus Sicht Israels zu wenig gegen die libanesische Schiiten-Bewegung Hisbollah. Wohl nicht zu Unrecht spekuliert daher der Publizist Bill van Auken in einem Beitrag vom 18. Februar darüber, daß Washington und Tel Aviv mit einem syrischen Truppenabzug oder einem "Regime-Wechsel" in Damaskus die Hoffnung verbinden, daß dadurch die Stellung der Hisbollah geschwächt und Israel erneut in die Lage versetzt werde, "auf beiden Seiten seiner nördlichen Grenze die Kontrolle zu übernehmen".

Nach van Auken sei es des weiteren sowohl das Interesse Israels als auch das der USA, daß der Libanon den etwa 400.000 Palästinensern im Land "die Staatsbürgerschaft gewährt". "Damit wären diese de facto ihres - von Israel nie anerkannten - Rechts beraubt, in ihre Heimat zurückzukehren, aus der sie im Verlauf der Errichtung und Ausdehnung des zionistischen Staates verdrängt worden waren", schlußfolgert van Auken.

Der Publizist verweist auch auf Verbindungen von Israel-nahen US-Beamten zum Likud-Block in Israel hin. Hierfür stünde beispielsweise David Wurmser, der Nahost-Berater von Vizepräsident Dick Cheney. Wurmser soll 1996 zu den Autoren eines Berichts für den neugewählten israelischen Premier Benjamin Netanjahu gehört haben, in dem empfohlen wurde, alle regionalen Gegner Israels "zurückzuschlagen".

In diesem Bericht sollen weiter - neben der Befürwortung des Sturzes des Saddam-Regimes im Irak - auch Schläge gegen "syrische Ziele im Libanon" und gegen Syrien selbst empfohlen worden sein. Weitere Mitautoren dieses Berichtes sollen laut Auken der Staatssekretär für Politik im US-Verteidigungsministerium, Douglas Feith, sowie Richard Perle, der Ex-Chef des verteidigungspolitischen Ausschusses im Pentagon, gewesen sein.

Syrien und der Iran haben als Antwort auf den US-Druck nach dem Anschlag eine engere Kooperation verkündet. Inzwischen haben sich auch die Hinweise darauf, daß US-Drohnen bereits seit längerem Irans Atomanlagen ausspähen, verdichtet. Dafna Linzer, Redakteurin der Washington Post, schrieb in einem Beitrag, daß die Ausspähung aus der Luft in der Regel zu den militärischen Vorbereitungsmaßnahmen für mögliche Luftschläge gehöre und als Mittel der Einschüchterung genutzt werde. Der Iran hat erklärt, diese Drohnen abschießen zu wollen.

Als direkte Provokation dürften die USA in dieser Situation die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putins auslegen, die atomare Zusammenarbeit mit dem Iran vertiefen zu wollen. Putin will Teheran außerdem einen Besuch abstatten.


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