© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Leichtmatrosen und Kapitäne
Bundespolitik: Die knapp verpaßte Regierungsbeteiligung in Schleswig-Holstein schmälert die Chancen der Union
Paul Rosen

SPD-Chef Franz Müntefering griff bei der Kommentierung der Wahl in Schleswig-Holstein zu Hohn und Spott: "Zwei Leichtmatrosen konnten sich für einige Stunden als Kapitän fühlen", sagte er über seine Kollegen von CDU und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle. Tatsächlich hatte es für einige Stunden am Abend der Landtagswahl so ausgesehen, als hätten die bürgerlichen Parteien aus eigener Kraft eine Mehrheit im Landtag erhalten. Aber schließlich fehlten einige hundert stimmen, um nach 17 Jahren wieder einen CDU-Regierungschef in Kiel zu sehen.

Schnell erklärten sich in Berlin wie schon bei früheren Wahlen alle Parteien zu Siegern. Müntefering gab schon vor Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses die Devise aus, die SPD habe die Talsohle durchschritten. Dabei hatten die Sozialdemokraten fünf Prozentpunkte verloren, was eher nach einem Absturz als nach Aufstieg aussieht. Da vor allem Arbeitnehmer der SPD nicht mehr ihre Stimme gaben, dürfte der Hauptgrund für die SPD-Verluste in Enttäuschung über die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung zu suchen sein. Landespolitische Erwägungen kommen weniger in Betracht: "Eine Landesregierung unter CDU-Führung galt zu keinem Zeitpunkt seit der Landtagswahl 2000 als Alternative zur SPD-geführten Landesregierung", heißt es in der Analyse der Landes-CDU über die Wahl.

Es gibt nur eine hauchdünne Chance, daß CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen mit einer Stimme der dänischen Minderheitsvertreter oder mit Hilfe eines SPD-Abweichlers doch noch zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte. Die wahrscheinliche Variante ist die Wiederwahl von Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD), die dann ein rot-grünes Minderheitenkabinett anführt. Die SPD-Führung weiß längst, daß die Sozialdemokraten in diesem Fall als Wahlsieger dastehen werden. Der Verlust einiger Prozentpunkte und der rot-grünen Mehrheit wird schnell vergessen.

Für Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder bedeutet die Lage eine gute Ausgangsbasis für die wichtigere Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Wenn Rot-Grün in Kiel weiterregiert, ist auch das Gespenst einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat endgültig weg. In Kiel wie in Düsseldorf sind die Verhältnisse ähnlich: Die CDU-Opposition hat schlechte Karten, die Spitzenkandidaten sind nicht sehr bekannt. Gelingt es der SPD, Nordrhein-Westfalen zu halten, sind die Chancen der Union nicht mehr besonders gut, 2006 einen Wechsel in Berlin zu erreichen. Müntefering kann sich zunächst einmal entspannt zurücklehnen. Daß die rot-grüne Koalition vor der Wahl in NRW noch irgendwelche Gesetzgebungsvorhaben anpackt, ist nicht zu erwarten.

Die Grünen kamen trotz Visa-Affäre fast ungeschoren davon. Grüne Wähler dürften mit der erleichterten Einreise von Ausländern einverstanden sein, weil sie damit der multikulturellen Gesellschaft näherkommen. Personelle Konsequenzen scheinen ausgeschlossen. Zwar hat das Parteidenkmal Joschka Fischer Risse bekommen, aber die Grünen werden ihn nicht in die Wüste schicken. In diesen Zwang könnte sie nur geraten, wenn im Visa-Untersuchungsausschuß neue Fakten gegen Fischer vorgebracht werden. Für Merkel sieht die Lage nicht so gut aus. Ein Sieg hätte ihre Probleme zum Teil weggeräumt und ihren Anspruch auf die Kanzlerkandidatur gefestigt. Aber jetzt steht sie wieder ohne Erfolg da. Der Zuwachs in Kiel ist zum Teil auch damit zu erklären, daß die CDU vor fünf Jahren wegen der Spendenaffäre abgestraft wurde. Auch die Wahlen im Jahr 2004 hatten deutliche Schwächen der CDU gezeigt.

Führende CDU-Politiker wie Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, sein hessischer Kollege Roland Koch und der ehemalige Fraktionsvize Friedrich Merz warten nur darauf, nach dem Verlust der nordrhein-westfälischen Landtagswahl einen Aufstand gegen Merkel zu inszenieren. Sie trauen der Politikerin aus Mecklenburg-Vorpommern nicht zu, die Bundestagswahl zu gewinnen. Genauso sind die Einschätzungen der CSU. Wenn CSU-Chef Edmund Stoiber am Montag nach der Wahl wütende Angriffe in Richtung FDP startete, dann war das nur die halbe Wahrheit. Aber Kritik an Merkels CDU verkniff er sich. Stoiber, der Erfinder der Bezeichnung "Leichtmatrosen" für Merkel und Westerwelle, will jetzt keinen neuen Streit in der Union anzetteln, um nicht für eine Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen verantwortlich gemacht zu werden.

Natürlich hat Westerwelles FDP Federn lassen müssen. Die Liberalen haben unter Westerwelles Führung kein Profil entwickeln können. Wenn die FDP auch in Nordrhein-Westfalen Verluste erleidet, dürfte es nicht ausreichen, nur die Generalsekretärin Cornelia Pieper auszuwechseln. Auch Westerwelle selbst könnte schnell zur Disposition stehen. Müntefering und Stoiber haben recht: CDU und FDP werden von zwei Leichtmatrosen geführt. Das Staatsschiff übernehmen können sie nicht.


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