© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Der Tod weinte mit
Als die Bomben auf Dresden fielen: Eine Erinnerung an den Maler Wilhelm Lachnit
Stefanie Wegner

Ein unqualifizierbares Gemälde (...), das nicht einmal in einem Provinzmuseum zu verantworten wäre", urteilte der Kunstkritiker Gottfried Sello 1966 in der Zeit über Wilhelm Lachnits "Der Tod von Dresden". Heute gilt das Bild nicht nur als eines der bedeutendsten Werke der Dresdner Gemäldegalerie Neue Meister, sondern auch der deutschen Kunst nach 1945. Es ist ein Zeugnis der unmittelbaren Konfrontation des Dresdner Künstlers mit den Schrecken der alliierten Bombenangriffe vom 13./14. Februar vor sechzig Jahren, bei denen auch der größte Teil seines Werkes vernichtet wurde.

Das 1945 entstandene großformatige Gemälde "Der Tod von Dresden" (200 x 113,5 cm) zeigt eine weinende Mutter inmitten eines symbolischen Trümmerinfernos, ein Kind in Weiß, das ins Leere starrt; und dahinter sitzt der Tod und weint, die Geste der Mutter wiederholend. Wer je dieses Gemälde im Original in der Dresdner Galerie gesehen hat, weiß um seine ergreifende, erschütternde Wirkung.

Auch Wilhelm Lachnits Biographie ist nicht ohne Brüche: Geboren 1899 im Dresdner Vorort Gittersee, absolvierte er zunächst eine Lehre als Schriftmaler und Lackierer, bevor er sich über Abendkurse der Kunstmalerei zuwandte. 1921 begann er mit dem Studium der Malerei und Grafik an der Dresdner Akademie für Bildende Künste bei Richard Dreher, das er zwei Jahre später mit Auszeichnung abschloß. In dieser Zeit machte er auch Bekanntschaft mit Otto Dix, Otto Griebel, Conrad Felixmüller und Curt Großpietsch.

Nach dem Studium arbeitete Lachnit als freischaffender Künstler und begann sich für den Sozialismus zu begeistern. Er wurde Mitglied der KPD und Mitbegründer kommunistischer Vereinigungen wie der "Roten Gruppe", der "Association Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands" (ASSO) und der "Neuen Gruppe"; zudem nahm er an einer Ausstellung in Rußland teil.

Künstlerisch galt Lachnit nun als Vertreter der Neuen Sachlichkeit und Sozialistischen Kunst, obwohl seine Werke wie "Mädchen mit Pelz" (1925) oder "Schwangeres Proletariermädchen" (1924/26) poetischere, stillere Töne anschlagen als die seiner kämpferischen Zeitgenossen. Neben Beteiligungen an Ausstellungen in Dresden hatte sich Wilhelm Lachnit inzwischen in Paris und Amsterdam einen Namen gemacht.

Am Vorabend der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten entstanden Holzschnitte und Bilder wie "Der traurige Frühling", kurz bevor 1933 vier seiner Zeichnungen als "Entartete Kunst" beschlagnahmt wurden. Lachnit wurde inhaftiert. Er kam zwar nach kurzer Zeit frei, stand aber nun unter ständiger Aufsicht der Gestapo und erhielt Berufsverbot. Während er sich sein Geld mit Gelegenheitsarbeiten verdiente, wandte er sich in seinen Gemälden mythologischen Themen zu, die er als arkadische Gegenwelten zu seiner politischen Situation verstand. 1945 wurde Lachnit dann zum Volkssturm eingezogen und traf bei seiner Rückkehr auf das zerstörte Dresden.

Die Nachkriegszeit stand für ihn ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit den Greueln des Zweiten Weltkriegs, so auch "Der Tod von Dresden". Die DDR-Kulturfunktionäre lobten das Gemälde als "starke Leistung". Lachnit erhielt eine Professur für Malerei an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste, wo er selbst studiert hatte, wurde der Lehrer von Peter Bock, Manfred Böttger, Helmut Gebhard, Harald Metzkes, Dietrich Becker und Jürgen Böttcher.

Allerdings war den sozialistischen Kunstwächtern der expressionistische, als "formalistisch" bezeichnete Stil Lachnits gar nicht recht, es kam zu zunehmenden Differenzen zwischen dem Künstler und der Hochschulführung. 1954 gab Lachnit schließlich resigniert und gedemütigt seine Professur auf.

In den folgenden Jahren experimentierte er mit verschiedenen Techniken wie Aquatinta und Farbmonotopien, erhielt auch einige Aufträge zur Gestaltung von sozialistischen Wandfriesen in öffentlichen Gebäuden. Trotzdem wurde für ihn als freischaffenden Künstler, der nicht mehr die Protektion des Staates genoß, die wirtschaftliche Lage immer schwieriger. Lachnit malte traurige Clowns und melancholische Zirkusszenen, zuletzt "Bedrohungsbilder". 1961 erlitt er den ersten Herzinfarkt. Nach einer Kur in Bad Elster begann er an seinem Zyklus "Quellen" zu arbeiten, in den er verschiedene Techniken, unter anderem Aquarell, einbrachte. Ein Jahr später, am 14. November 1962, verstarb er an den Folgen eines zweiten Herzinfarktes.

"Dieser Maler hat geschürft wie ein Bergknappe, und er scheint auch nach seinem Tod unter Tage geblieben zu sein", schrieb Lachnits Schüler Harald Metzkes. Lange Zeit totgeschwiegen und vergessen, begann erst in den 1980er Jahren die Wiederentdeckung seiner Werke. Zuletzt fanden Ausstellungen mit Bildern Lachnits anläßlich seines hundertsten Geburtstages statt.

Wilhelm Lachnit wird heute als bedeutender Nachkriegskünstler und Kunstlehrer verstanden, der in seinem Schaffen versuchte, an die Moderne der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Für Metzkes gehört er "zu den wenigen Künstlern, die nach den großen deutschen Expressionisten ein neues Blatt aufgeschlagen haben. Wir müssen uns vorwerfen, nach diesen Künstlern und vor allem nach ihm nicht oft genug begeistert gerufen zu haben. Er ist fast ein unbekannter Meister des zwanzigsten Jahrhunderts." Insbesondere im Westen Deutschlands ist sein Werk kaum bekannt.

Bild: "Der Tod von Dresden", Wilhelm Lachnit (1899-1962): Ergreifende, erschütternde Wirkung


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