© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Loreley auf dem Mobiltelefon
Südkorea: Die Bedeutung der deutschen Sprache nimmt weiter ab / Wenig Unterstützung aus Deutschland
Gernot Haidorfer

Vor etwas mehr als einem Jahr machte ich eine Wanderung im koreanischen Deogyusan-Gebir-ge. Als ich mich an einem buddhistischen Tempel ausruhe, fragt mich ein koreanischer Wanderer, etwa 40 Jahre alt: "Where do you come from?" Ich sage "From Germany", er ruft begeistert "Deutschland!" und kramt alle deutschen Wörter hervor, die er kennt. Dann zählt er noch seine Grammatikkenntnisse auf ("der, des, dem, den") und erklärt, daß er vor 25 Jahren an der Oberschule (Alter 15 bis 18 Jahre) zwei Jahre Deutschunterricht hatte.

Der Wanderer ist keine Ausnahme. In seiner Generation war Deutsch die zweitwichtigste Sprache in Südkorea. Rund 75 Prozent der Oberschüler lernten Deutsch (1979), an den Universitäten war Germanistik hinter Anglistik und vor Romanistik die zweitgrößte Fremdsprachenphilologie. Diese Bedeutung hat Deutsch heute nicht mehr. Noch etwa zwölf Prozent der Oberschüler lernen die Sprache (2002), sie liegt damit hinter Englisch, Japanisch und Chinesisch auf dem vierten Rang.

An den Universitäten sieht die Lage kaum anders aus. Immerhin gibt es aber noch 74 germanistische Abteilungen im Land, an denen etwa 700 koreanische Dozenten sowie 60 deutschsprachige Lektoren lehren und forschen. Im Schul- und Hochschulbereich bleibt Deutsch aber nach Englisch die wichtigste europäische Sprache, vor Französisch, Spanisch und Russisch. Im Bereich des privaten Lernens, z.B. für den Beruf, spielt Deutsch hingegen nur noch eine geringe Rolle.

Wie kam es zu dieser für Deutsch insgesamt ungünstigen Entwicklung? Der wichtigste Faktor ist die Bedeutungszunahme der ostasiatischen Nachbarsprachen in Korea. Chinesisch als Sprache des mittlerweile größten Handelspartners hat aus wirtschaftlichen Gründen eine starke Bedeutung erlangt. Japanisch wiederum wird in Korea nicht mehr so sehr als Sprache der einstigen Kolonialherren, sondern eher als Sprache der beliebten japanischen Populärkultur (Manga-Comics, Videospiele) gesehen und ist auch relativ leicht erlernbar für Koreaner.

Weitere Gründe sind die erdrückende Macht des "Globalisierungsgewinners" Englisch und das nachlassende Interesse an Deutschland und damit auch an Deutsch. Dies wiederum, soviel läßt sich aus Äußerungen vieler Koreaner schließen, hängt ab von der Wertschätzung, die viele Deutsche ihrer eigenen Sprache entgegenbringen - nämlich keine.

Dies zeigte sich bei einem Fragebogen, den ein deutscher Hochschullektor vor einigen Jahren an die Mitarbeiter deutscher Unternehmen in Korea sandte, um die Bedeutung von Deutsch in den Betrieben zu ermitteln. Gefragt zu ihrer Einstellungspraxis meinten die meisten deutschen Geschäftsleute, Deutschkenntnisse der Koreaner in ihrem Betrieb seien nicht oder kaum wichtig. Die koreanischen Mitarbeiter sahen in der Regel Deutschkenntnisse aber als eher hilfreich an. Sie zeigten sich auch überrascht darüber, daß die Deutschen schnell und oft ohne Not auf das Englische auswichen. Der Lektor war auch überrascht - als er nämlich auf seine deutsche Anfrage das englische Antwortschreiben eines deutschen Geschäftsmannes erhielt.

Ein weiteres Beispiel: der öffentlich-rechtliche Auslandsrundfunksender Deutsche Welle (DW), der sein Programm auch in Korea ausstrahlt. Mehrmals täglich sendet er in einem Fernsehkanal für Ausländer Nachrichten auf englisch. Statt DFB-Pokal heißt es dann "German FA-Cup" und Munich statt München. Die Themen sind ähnlich "weltmännisch". Vor der EU-Erweiterung wurden beispielsweise kaschubische Fischer nach ihrer Meinung zum EU-Beitritt Polens befragt (in der DW-Sendung "Euromaxx").

Was kann man tun gegen den Rückgang von Deutsch in Korea? Zunächst: Einige der genannten Faktoren sind von deutscher Seite aus nicht beeinflußbar. Die Wertschätzung für die eigene Sprache allerdings schon. Diese kann man als Privatperson zeigen durch ein größeres Sprach(selbst)bewußtsein: eine Ansprache wenigstens zum Teil auf deutsch halten, sich in der Öffentlichkeit stärker als Vertreter des deutschen Sprachraums zeigen. Als Unternehmer kann man sich fragen, ob Deutsch wirklich immer verzichtbar für koreanische Mitarbeiter ist. Oder ob es nicht auch ein Vehikel für ein besseres Verständnis der deutschen Mentalität und Unternehmenskultur ist - schließlich beinhaltet Sprachenlernen auch Landeskunde und Kultur.

Der Staat kann Wertschätzung für Deutsch durch die Präsenz deutscher Kultur- und Sprachinstitutionen zeigen. Neben dem Goethe-Institut in Seoul ist auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) zur Zeit mit vier Lektoren an südkoreanischen Hochschulen vertreten. Die Beratung über das deutsche Hochschulwesen ist neben der Lehre deren wichtigste Aufgabe. Schließlich ist Deutschland für koreanische Studenten das drittbeliebteste Land (nach den USA und Japan) für ein Auslandsstudium, über 5.000 sind an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Die zahlreichen Studienrückkehrer, die man in Korea trifft, haben meistens eine große Identifikation mit Deutschland und sind hier wichtige Multiplikatoren für "die deutsche Sache". Sie sind Mitglieder in Alumnivereinen, kaufen deutsche Produkte oder haben deutsche Lieder ("Loreley", "Der Lindenbaum") als Klingeltöne auf ihrem Mobiltelefon.

Trotz Präsenz durch Goethe-Institut und DAAD - es gibt von offizieller Seite noch genug zu verbessern. In der Öffentlichkeitsarbeit für Deutschland und in den deutschen Auslandsmedien sollte Englisch die Ausnahme und nicht die Regel sein. Wer will schon Deutsch lernen, wenn die Deutschen selbst auf ihre eigene Sprache verzichten? Kulturelle Aktivitäten sollten sich eher am Bedarf und weniger an den Ideen der Kulturvermittler orientieren. Im Klartext: Aktionen wie deutsche Filmreihen oder Feste sprechen mehr Koreaner an als Ausstellungen von Künstlern, die man in Korea kaum kennt.

Die Lektoren können auch einiges tun: Besuche des Schulunterrichts zur Steigerung des Interesses der Deutschschüler, Mithilfe bei studentischen Aktionen mit Breitenwirkung (Theater- oder Musikdarbietungen auf deutsch), Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Gerade diese ist durch Gespräche und gemeinsame Projekte mittlerweile auf einem guten Weg.

Deutsch wird seine frühere Stellung in Korea nicht mehr erlangen können. Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre vor allem in Ostasien machen dies unmöglich. Es kann durch große Anstrengungen vor allem auf deutscher Seite aber gelingen, Deutsch auf seinem jetzigen Niveau als bedeutende europäische Fremdsprache in Korea zu halten.

 

Gernot Haidorfer lebt seit 2003 in Südkorea und ist DAAD-Lektor an der Pusan National Universität.

Literatur: Ulrich Ammon, Si-Ho Chong (Hg.): Die deutsche Sprache in Korea - Geschichte und Gegenwart. München 2003.

Lektoren-Vereinigung Korea (LVK) im Internet: www.lvk-info.org 


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