© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Götzen einer gottlosen Zeit
Deutschland, deine Toten: Die Berliner RAF-Ausstellung tut sich mit der Auseinandersetzung schwer
Ekkehard Schultz

Nur wenige Ausstellungen der letzten Jahre lösten bereits lange vor der offiziellen Eröffnung derart kontroverse Diskussionen aus: Als im Sommer 2003 bekanntwurde, daß für eine unter dem Arbeitstitel "Mythos RAF" geplante Präsentation, welche sich der Auseinandersetzung mit der Terroristenvereinigung Rote Armee Fraktion in der Kunst widmen sollte, staatliche Mittel in Höhe von 100.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds bewilligt worden waren, erschien selbst linksliberalen Medien wie der Zeit die Gefahr einer Verklärung allzu groß zu sein und ein Mißbrauch für fragwürdige Zwecke vorzuliegen. Tatsächlich wurde aufgrund des massiven Protestes die bereits erteilte Genehmigung zur Förderung des Projektes zurückgezogen.

Um so größer war die Spannung, als am vergangenen Freitag zur Pressekonferenz anläßlich der nunmehr unter dem Titel "Zur Vorstellung des Terrors" auf privatem Wege finanzierten Ausstellung eingeladen wurde. Mehr als 150 Journalisten hatten sich in der Vorhalle der Volksbühne eingefunden.

Was sie dann jedoch von den Kuratoren Klaus Biesenbach, Ellen Blumenstein und Felix Ensslin hörten, lief letztlich immer wieder auf das gleiche hinaus: Die Ausstellungsmacher fühlen sich mißverstanden und können die nach ihrer Meinung ungerechten Angriffe gegen ihr Projekt nicht nachvollziehen. Die ganze "Verwirrung" und "Diffamierung" beruhe auf einem nicht abgesegneten Thesenpapier, welches der Presse zudem in stark verkürzter Form in die Hände gespielt worden sei.

In der Präsentation gehe es entgegen vielen falschen Behauptungen keineswegs primär um die RAF, sondern lediglich "um die Wahrnehmung der RAF in den Medien und der Kunst". Dabei sei es für die Ausstellungsmacher selbstverständlich gewesen, "daß auch der Opfer gedacht wird". Ohnehin zeige sich die deutliche Distanzierung von der RAF allein schon in der nunmehrigen Verwendung des Wortes "Terror" - das eine eindeutig negative Konnotation aufweise.

Täter und Opfer auf gleicher Augenhöhe

Doch schon am Beginn des Rundgangs in den Räumen der Berliner Kunst-Werke entpuppen sich derartige Euphemismen als bloße Makulatur. Spätestens bei der Betrachtung einer Fotoserie von Hans-Peter Feldmann unter dem Titel "Die Toten" - einem zentralen Objekt - müssen beim Besucher alle Alarmglocken schrillen: In Form von simplen Schwarzweiß-Ausdrucken werden ohne jeden Unterschied Täter und Opfer auf gleicher Augenhöhe und ohne jede Erläuterung präsentiert. Jegliche Form von Differenzierung unterbleibt hier ebenso wie in den wenige Meter entfernten Vitrinen, in denen RAF-Propagandamaterial der siebziger Jahre ausgestellt wird.

Diese Tendenz tritt auch in den weiteren Abteilungen deutlich hervor. So vielfältig die einzelnen künstlerischen Arbeiten auch ausfallen und aus welcher Zeit sie stammen mögen - ob unter dem Eindruck des unmittelbaren Miterlebens in den Siebzigern oder erst in den letzten Jahren entstanden -, immer wieder stehen die Täter im Vordergrund. Ihre Namen und Schriftzüge werden ebenso liebevoll wie ihre Bilder und ihre Körper bearbeitet. Im Porträt "Meinhof" von Johannes Kahrs wird die Terroristin in Überlebensgröße mit starken Bewegungsfalten, zerzausten Haaren und den zusammengelegten Händen über dem Kopf dargestellt. In Claude Leveques "Baader Meinhof" werden die Schriftzüge der beiden Terroristen als Neonschrift in Form eines Werbemittels präsentiert.

Etwas mehr Distanzierung ist bei Lutz Dammbecks "Nibelungen" spürbar. Mit dem Vernähen der Gesichter von Ensslin und Baader mit der Abbildung eines Jünglingskopfes von Arno Breker soll auf die inneren Widersprüche in den Köpfen der Terroristen und ihren eigenen "inneren Faschismus" hingewiesen werden. Generell ist es jedoch auch dabei bezeichnend, daß die Täter im Mittelpunkt stehen. So wird den Opfern nach dem Leben auch noch das Andenken der Nachwelt geraubt.

In einer weiteren Reihe von Werken wird die aus Sicht der Künstler fragwürdige Vermittlung des Bildes von der RAF in den zeitgenössischen Medien kritisiert, die nach Fotografien der Terroristen nach ihrer Verhaftung gierten. So stellt Wolf Vostell ein Foto, das kurz nach der Festnahme Gudrun Ensslins für den Stern aufgenommen wurde, in den Mittelpunkt seiner Arbeit "Regina", die die Sensationslüsternheit des Hamburger Magazins geißeln soll.

Klaus Staeck kritisiert in seiner Montage "Quick", daß die Illustrierte gleichen Namens 1972 im Rahmen einer Serie "Ulrike Meinhof und ihre grausamen Mädchen" ein Bild aus dem Jahr 1952, welches die friedlich schlafende Meinhof im jungen Mädchenalter zeigt, abgedruckt und es mit der Unterschrift versehen hatte, daß es in ihr "im Inneren" bereits zu diesem Zeitpunkt "gärte". Für Staeck war das aus seiner Sicht unsensible Verhalten der Quick-Redaktion weitaus erwähnenswerter als eine auch nur marginale Distanzierung von den Taten Meinhofs.

Ein weiteres beliebtes Objekt ist das Hochsicherheitsgefängnis in Stammheim, hinter dessen Gittern Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Einzelhaft saßen. Die Anlage wirkt in jeder Darstellung bedrohlich. Ebenso deutlich fällt die Aussage aus: Vorrangige Schuld haben nicht die Terroristen, sondern der Staat auf sich geladen. Die bundesdeutsche Gesellschaft trägt zumindest eine Mitverantwortung an dem Tod der Terroristen - "gleichgültig, ob es sich letztlich um Mord oder Selbstmord gehandelt hat". Dagegen ist kein Werk zu finden, welches die Bedingungen und Qualen thematisiert, unter denen die Opfer leiden mußten.

Stammheim ist ein bevorzugtes Objekt

Zur Verdeutlichung der zeitgeschichtlichen Hintergründe dient in der Ausstellung lediglich eine Zeitleiste. Zu 29 Daten, die für bestimmte Ereignisse stehen, wurden Ausschnitte aus der Bild-Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen Zeitung, dem Spiegel, dem Stern sowie - soweit vorhanden - Fernsehbeiträge der ARD und des ZDF ausgewählt: vom Tod von Benno Ohnesorg bei den Studentenprotesten gegen den Schah-Besuch in Berlin am 2. Juni 1967 bis zur "Auflösungserklärung" der RAF am 19. April 1998. Ob dies allerdings ausreichend ist, um gerade jüngere Besucher mit dem Gesamtkomplex und den Hintergründen vertraut zu machen, muß ernsthaft bezweifelt werden.

Es ist bezeichnend, daß all dies, was bereits in der Ausstellung höchst problematisch erscheint, im Katalog eher zusätzlich verstärkt als abgeschwächt wird: Da fordert Gerd Konrad in seinem Aufsatz "Nicht oder Sein - Ikonen zur Zeitgeschichte" Verständnis für die Motive des Terroristen Holger Meins ein. Da resümiert Slavoj Zizek unter der Überschrift: "Das Unbehagen in der Demokratie": "Die eigentliche Frage ist nicht, ob man mit der RAF einverstanden ist oder nicht, sondern sie lautet: Warum ging dieses Projekt eines gewaltsamen Verlassens des liberaldemokratischen ideologisch-politischen Raumes schief? Die RAF scheiterte nicht, weil sie es riskierte, diesen Raum zu verlassen, statt den 'langen Marsch durch die Institutionen' anzutreten, sondern daran, daß sie es versäumte, diesen Raum wirklich zu verlassen."

Und ihr Schirmherr, Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP),der bei der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Oktober 1977 als Parlamentarischer Staatsekretär im Innenministerium dem Krisenstab der Bundesregierung angehörte, meint zu der Ausstellung: "Was die RAF tat, war zweifellos kriminell, aber sie hatte zumindest teilweise eine politische Motivation ... Ulrike Meinhof, die im Oktober 2004 siebzig Jahre alt geworden wäre, wird - bei allen Irrwegen und aller Schuld niemand ernsthaft als 'stammelnde Idiotin' ansehen."

Zur Alimentierung wird das System noch gebraucht

Die Präsentation sei keine zeitgeschichtliche Aufarbeitung der RAF und es gebe auch keinen politischen Auftrag, betonten die Kuratoren mehrfach. In einem zentralen Aufsatz des Katalogbandes klingt das allerdings ganz anders: "Den RAF-Terrorismus aus der Warte des 'Systems', gegen das er antrat, beurteilen zu wollen, ist ... wenig ergiebig. Es, das 'System' selbst, ist an dessen Zustandekommen maßgeblich beteiligt gewesen und ist es ... immer noch und immer mehr. Das 'System' bringt den Terrorismus hervor ... Man muß schon, wenn man hier überhaupt etwas begreifen will, auch in die Not geblickt haben, in der sie (die Terroristen) steckten, bevor sie Terroristen wurden. Wer diese Not nicht kennt, muß sich fragen lassen, warum er sie nicht kennt - ja, warum sie nicht die eigene ist. Er hat teil an dem, was die, die dann zu Terroristen wurden, nicht mehr glaubten ertragen zu können: die Ignoranz des 'Systems'."

Wie lautete doch gleich noch die zentrale Aussage auf der Pressekonferenz? War es nicht die ausführliche Klage darüber, daß sich der bundesrepublikanische Staat aus seiner Verpflichtung zur Finanzierung auch alternativer Präsentationen keineswegs einfach "herausstehlen" dürfe? Ihm müsse bewußt sein, daß "eine Ausstellung, die nicht gefördert wird", als "nicht erwünscht" gelte und daher auch mit großer Sicherheit nicht stattfinde. Mit anderen Worten: Zur Alimentierung wird das auf derartige Weise befehdete "System" vorerst noch gebraucht.

Foto: Lutz Dammbeck, "Nibelungen": Die Widersprüche in den Köpfen

Die RAF-Ausstellung ist bis zum 16. Mai in den Kunst-Werken Berlin, Auguststr. 69, täglich außer montags 12 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr, zu sehen. Die beiden Kataloge (712 bzw. 280 Seiten) kosten in der Ausstellung zusammen 45 Euro. Tel. 030 / 24 34 59 98,       E-Post: visit@kw-berlin.de .


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