© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Bald Zustände wie in Belfast
Niederlande: Erste Anhörung im Mordfall Van Gogh / Politische Bewegung am rechten Parteienrand
Jerker Spits

In den Niederlanden wird derzeit kontrovers über die Frage diskutiert, wie eine westliche Gesellschaft mit Einwanderern umgehen soll, denen die Fundamente der europäischen Demokratie zuwider sind. Dabei geht es um wesentlich mehr als um stärkere Kontrolle, Sprachkurse oder Abschiebepolitik. Wer erwartet hat, daß sich vier Monate nach dem bestialischen Mord am Filmregisseur Theo van Gogh (JF 48/04) die politische Lage beruhigt habe, irrt.

Eine Reihe von Ereignissen stellte in den letzten Wochen den niederländischen Umgang mit dem Islam - und damit das Verhältnis zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen - in Frage. So fand letzte Woche in der Hauptstadt Amsterdam die erste gerichtliche Anhörung im Mordfall Van Gogh statt. Der sechsundzwanzigjährige Mohammed B., der kurz nach dem Mord verhaftet wurde, hat seine Tat inzwischen gestanden. Sein Anwalt Peter Plasman erklärte, sein Klient wolle nicht als Kranker oder Geistesgestörter abgestempelt werden. Vielmehr wolle Mohammed B. die volle Verantwortung für seine Tat übernehmen.

Staatsanwalt Frits van Straelen geht davon aus, daß Mohammed B. nicht allein gehandelt hat. In Telefongesprächen mit anderen Jugendlichen marokkanischer Herkunft sei von der "Abschlachtung eines Lamms" gesprochen worden. Jeder, der sich gegen den Islam wende, müsse mit diesem Schicksal rechnen. Die Polizei hatte nach dem Mord an Van Gogh insgesamt zwölf Personen festgenommen.

Der Staatsanwalt schilderte die Brutalität, mit der Van Gogh umgebracht wurde, und verwies auf die Radikalität des Angeklagten, der für die Einführung der Scharia in den Niederlanden eintritt und noch vor wenigen Tagen versucht hätte, von ihm verfaßte Schriften aus der Haft schmuggeln zu lassen.

Noch ein anderes Ereignis wurde für die Niederlande zum Anlaß, erneut über das Verhältnis zwischen Islam und Rechtsstaat nachzudenken: die Rückkehr der islamkritischen Parlamentsabgeordneten (von der rechtsliberalen VVD) und Publizistin Ayaan Hirsi Ali, die vor zwei Wochen unter großer Medienaufmerksamkeit ihre Arbeit im niederländischen Parlament wieder aufnahm. Die 35jährige gebürtige Somalierin kündigte an, ihren Feldzug gegen den Fundamentalismus in- und außerhalb des niederländischen Parlamentes fortzusetzen. Es war Hirsi Ali, die das Drehbuch für Van Goghs "Submission" schrieb, einen Film, der die Unterdrückung der Frau in der islamischen Welt thematisiert. Nach der Ausstrahlung des Kurzfilms mußte Hirsi Ali für Monate untertauchen - die Mordaufrufe aus Islamistenkreisen waren eindeutig.

Erst kürzlich wurde bekannt, wie die Politikerin vom Militärflughafen Valkenburg aus zu einer Geheimadresse im Ausland gebracht wurde. Hirsi Ali erklärte der versammelten internationalen Presse, ein Buch über den Islam veröffentlichen und in Zusammenarbeit mit einem anonymen Regisseur einen zweiten "Submission"-Film drehen zu wollen.

Nach dem Mord an Van Gogh wurde deutlich, daß die Niederlande eine zerrissene Gesellschaft sind. In einer Islamschule nahe Eindhoven explodierte ein Brandsatz, Angriffe auf Schulen, Moscheen und Kirchen erschütterten das Land. Die empörten, aber ratlosen Reaktionen der Politiker erinnerten an die Worte des Ermordeten: "Wenn sich nichts ändert, haben wir hier bald Zustände wie in Belfast."

Auch wenn die bürgerliche Dreierkoaliton des Christdemokraten Jan Peter Balkenende (CDA) inzwischen eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hat, um die Gefahr des radikalen Islam zu bekämpfen, Härte liegt der politischen Klasse der Niederlande nicht. "Ein Mann aus dem Land von Ehemals", nannte Hirsi Ali den Justizminister Piet Hein Donner (CDA) in Anspielung auf einen niederländischen Freizeitpark für Kleinkinder. Gegner und Mitstreiter gaben ihr schmunzelnd recht. Der phlegmatische Kalvinist Donner ist nicht der Mann, Härte zu zeigen. Seinem Parteichef Balkenende werfen viele Niederländer vor, nach dem Mord an Van Gogh viele Moscheen besucht zu haben, aber kein einziges Mal das Gespräch mit Nicht-Muslimen aufgenommen zu haben.

Von der Angst einer nach wie vor weichen Haltung der Regierung gegenüber der Gefahr des radikalen Islams profitieren Politiker, die Nachgiebigkeit und Laxheit kritisieren und mit der Gründung von neuen Parteien auf die Wählergunst spekulieren. Politiker wie der aus der VVD ausgeschlossene Geert Wilders oder Hilbrand Nawijn verleihen dem niederländischen Unbehagen gegenüber dem Islam Ausdruck. Sie präsentieren sich bewußt als Niederländer - nicht als Europäer oder als Propheten multikultureller Vielfalt -, die an der eigenen nationalen Identität festhalten wollen. Sie sind islamkritisch wie der 2002 ermordete Pim Fortuyn und zudem auch euroskeptisch.

So hat die derzeit als Einmannfraktion im niederländischen Parlament operierende "Gruppe Wilders" angekündigt, im Vorfeld der bevorstehenden Befragung zur europäischen Verfassung mit dem geplanten EU-Beitritt der Türkei Kampagne zu machen. Wilders hat sich mehrmals dafür ausgesprochen, die Türkei nie in die EU aufzunehmen. Im November, kurz nach dem Mord an Van Gogh, konnte Wilders in Umfragen mit gut zwanzig Prozent der Stimmen rechnen. Auch hat der "rebellische Rechte" (JF 50/04) vorgeschlagen, islamische Fundamentalisten zur Not auch ohne rechtsstaatliche Verfahren möglichst schnell abzuschieben.

Auch Hilbrand Nawijn, ehemaliger Minister der Liste Pim Fortuyn (LPF), hat inzwischen angekündigt, vor der neuen Parlamentswahl 2007 eine eigene Partei zu gründen. "Die Niederlande sollen weg vom Prinzip 'eigenes Volk zuletzt'", sagte Nawijn in Anspielung auf eine Aussage des in den neunziger Jahren noch als "rechtsextrem" bezeichneten niederländischen Politikers Hans Janmaat (1934-2002). Nawijn fordert eine strengere Einwanderungspolitik, das Abschieben von kriminellen Einwanderern und ein allgemeines Kopftuchverbot in Firmen und öffentlichen Einrichtungen. Und letzte Woche machte Nawijn als erster niederländischer Politiker von Rang einen Besuch bei Filip Dewinter, dem Chef des Vlaams Belang ("Flämische Sache" /bis 2004 Vlaams Blok). Dewinter zeigte sich erfreut über Nawijns Besuch und sprach von einem "Stück Anerkennung für unsere Partei". Die Niederlande, so Dewinter, seien "ein führendes Land für auf die eigene Nation gerichtete, rechtskonservative Politiker". Ob damit die Grundlage einer EU-weiten neuen Rechtspartei gelegt wurde, bleibt abzuwarten.


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