© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Die vergessene Besatzungszeit
Helmut Vogts Werk über die Alliierte Hohe Kommission porträtiert die Inhaber der obersten staatlichen Gewalt in West-Deutschland bis 1955
Dag Krienen

In der heutigen deutschen politischen Erinnerungskultur wird die Jahreszahl 1949 vor allem mit Ereignissen wie der Verabschiedung des Grundgesetztes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung gebracht. Kaum mehr in Erinnerung ist hingegen, daß der im Westen neu errichtete deutsche Teil-"Staat" sein politisches Leben nicht als souveräner Staat begann, sondern als Protektorat der drei westalliierten Siegermächte.

Diese hatten noch vor der Verabschiedung des Grundgesetzes am 8. April 1949 ein Besatzungsstatut erlassen, das nach der Konstituierung der ersten Bundesregierung am 21. September in Kraft trat. Zwar wurde dadurch die Phase der direkten westalliierten Militärverwaltung in Deutschland beendet. Doch machte das Statut deutlich, daß die Okkupation in abgemilderter Form und unter einer zivilen Spitze zunächst andauern würde und daß die alliierten Mächte weiterhin in Deutschland die - nun allerdings in Regeln gefaßte - oberste Gewalt ausüben würden. Den Deutschen wurde explizit nur die Selbstverwaltung in dem Maße zugestanden, wie sie mit der fortgesetzten Besatzung vereinbar war. Briten, Franzosen und Amerikaner behielten sich eine Reihe von Reservatrechten vor. Dazu zählten nicht etwa nur die Vorkehrungen für Schutz und Ansehen ihrer Streitkräfte sowie die Kontrolle der Demilitarisierung und der industriellen Entwaffnung durch fortgesetzte Demontagen.

Vielmehr unterlagen der Außenhandel und die Devisenbewirtschaftung ebenso der interalliierten Aufsicht wie die Industrie an der Ruhr. Reservatrechte beanspruchten die Besatzungsmächte auch bei der Genehmigung der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen, beim "Schutz" der Verfassung und vor allem in allen Bereichen der Außenpolitik, so daß der jungen Bundesrepublik jede Art selbständiger Außenvertretung zunächst untersagt war. Und selbst in den nicht reservierten Bereichen war der neue westdeutsche Teilstaat alles andere als Herr seiner selbst. Nicht nur bedurfte jede Änderung des Grundgesetzes der ausdrücklichen Zustimmung der Besatzungsbehörde, auch jedes normale vom Bundes- oder von Landtagen beschlossene Gesetz durfte erst 21 Tage nach der offiziellen Bekanntgabe an die Besatzungsbehörde in Kraft treten, sofern diese dagegen keinen Einspruch erhob.

Es wundert nicht, daß diese wenig erbauliche Seite der Wiedererrichtung deutscher Staatlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg heute nicht als erinnerungswürdig gilt. Das betrifft auch das 1949 neugeschaffene zivile Organ der fortgesetzten westalliierten Besatzungsherrschaft, die Alliierte Hohe Kommission (AHK), an deren Spitze drei Hochkommissare aus den USA, Großbritannien und Frankreich standen, die zugleich die Besatzungsverwaltung in ihren jeweiligen Zonen in West-Deutschland und West-Berlin leiteten. Sieht man von einigen wenigen Handbuchartikeln und Aufsätzen und einer Monographie eines von der AHK selbst angestellten Hofhistorikers aus dem Jahre 1953 ab, ist die Hohe Kommission als solche von der Geschichtswissenschaft bislang kaum untersucht worden.

Diese Lücke teilweise zu schließen, bemüht sich das Buch Helmut Vogts, der bislang vor allem als Wirtschafts- und Lokalhistoriker des Köln-Bonner Raumes hervorgetreten ist. Auch bei seinem jüngstes Werk handelt es sich weder um eine detaillierte Darstellung der organisatorisch-institutionellen Entwicklung der AHK noch um eine systematische Analyse ihrer politischen Tätigkeit und somit sicherlich nicht um das letzte Wort, das die Geschichtswissenschaft zu diesem Organ zu sagen hätte, wenn sie denn ernstlich wollte.

Aus fachwissenschaftlicher Sicht bietet das Buch einige Gelegenheiten zur Beckmessereien, auf die hier verzichtet wird. Seine Stärke liegt in der anschaulichen, atmosphärisch dichten Beschreibung der - sich allmählich wandelnden - Natur des Verhältnisses der Hohen Kommissare untereinander sowie zu den Westdeutschen und ihren Vertretern. Dabei macht es der von einer oftmals leicht ironischen, aber nie böswillig verzerrenden Distanz zu den Akteuren geprägte Stil des Verfassers zu einer angenehmen Lektüre, bei der allerdings eine gewisse Vertrautheit mit der westdeutschen Nachkriegsgeschichte vorausgesetzt wird.

Im Zentrum der Darstellung stehen das Selbstverständnis sowie die entsprechende symbolische Repräsentation der alliierten Herrschaft in dem weiterhin als besetzt geltenden westlichen Teil Deutschlands und die entsprechende Gestaltung der Beziehungen zu den - auf Bewährung - zur Selbstverwaltung ermächtigten Westdeutschen. Vogt schildert beispielsweise eindringlich, wie die Alliierten sich 1949 im Raum um die neue westdeutschen Hauptstadt Bonn herum mit zum Teil recht rüden Methoden die besten greifbaren Immobilien für die Installation der Behörden und Bediensteten der AHK beschafften und mit erlesenen Einrichtungen ausstatteten. Mit dem Ergebnis, daß die Vertreter der Hochkommission in Schloßhotels und Villen residierten, als die deutschen Minister noch mit Baracken, freigeräumten Museumsteilen und schäbigen Mietwohnungen vorliebnehmen mußten. Die westdeutschen Steuerzahler kostete die Unterbringung der neuen deutschen Verfassungsorgane in Bonn bis 1952 zirka 168 Millionen Mark, die Installation des neuen alliierten Kontrollapparates hingegen 233 Millionen Mark.

Doch wichtiger als die Kosten war die immer wieder und auf allen Ebenen symbolisch zum Ausdruck gebrachte Eindeutigkeit der Überordnung der alliierten "Prokonsule" über die deutschen "Besetzten", wie sie Vogt unbefangen nennt. Die AHK residierte nicht zufällig hoch oben über Bonn auf dem Petersberg, den der Bundeskanzler und seine Vertreter wiederholt erklimmen mußten. Zwar war das Protektorat der Westalliierten von Anfang an nur auf Zeit angelegt. Die Aufsicht der AHK über die noch unmündige Bonner Republik sollte allerdings fortdauern, bis klar war, daß das neue Staatswesen einen Kurs einschlagen würde, der mit den zentralen deutschlandpolitischen Zielen der Alliierten in Übereinstimmung stand.

Zu diesen gehörte nicht nur die Demokratisierung und Eingliederung der Deutschen in den westlichen Weltmarkt, sondern auch ein immer unverhohleneres Interesse an dem, was man ein halbes Jahrzehnt zuvor noch bekämpft hatte: deutsche Soldaten. Adenauers stetem Bemühen, der Bundesrepublik ein gewisses Maß an Souveränität zu verschaffen, gaben die Hohen Kommissare und ihre Mutterländer schrittweise nach, als im Gegenzug die Westdeutschen die Bereitschaft erkennen ließen, sich wirtschaftlich, politisch und militärisch in das westliche Lager zu integrieren. Unter dem Eindruck des Koreakrieges folgte auf die sogenannte kleine Revision des Besatzungsstatuts vom März 1951 bereits 1952 in Verbindung mit dem Abkommen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die Unterzeichnung des Generalvertrages zwischen der Bundesrepublik und den Besatzungsmächten.

Damit schien das baldige Ende der westlichen Besatzungsherrschaft und der AHK unmittelbar bevorzustehen. Dieses zögerte sich allerdings um drei weitere Jahre hinaus, da die Ratifizierung des EVG-Vertrages von der französischen Nationalversammlung verschleppt und 1954 dann abgelehnt wurde. Zugleich mit dem ersatzweisen Beitritt zur Nato konnte die Bundesrepublik daraufhin im erheblich nachgebesserten Deutschlandvertrag "die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten" erlangen. Halbwegs souverän wurde der westdeutsche Teilstaat (die Alliierten behielten sich weiterhin einige Rechte vor) allerdings keine Minute früher als am 5. Mai 1955 um zwölf Uhr. Der französische Hochkommissar André François-Poncet bemerkte noch um elf Uhr bei der Unterzeichnung der Proklamation über die Aufhebung des Besatzungsstatuts: "Noch eine Stunde haben wir die Macht." Erst zur Mittagsstunde wurde die Hoheitsgewalt der Besatzungsmächte in West-Deutschland aufgehoben und die Hohen Kommissare zu ordinären Botschaftern ihrer Länder in Bonn.

Nicht weniger als zehn Jahre lang blieben so die Besiegten von 1945 auch die "Besetzten" der Sieger - in den Augen der Westmächte, aber auch der betroffenen Deutschen. Vogts Buch macht dies deutlich, ohne Verklärung der Protektoratszeit der Bundesrepublik zu einer von den Siegermächten fürsorglich begleiteten demokratischen Lehrlingszeit, aber auch ohne Ressentiment gegen die Herrschaft der Prokonsule. Tatsächlich war das "Interludium eines Nebeneinanders von Grundgesetz und Besatzungsstatut" nach Kriegsende eine fast unvermeidliche Konsequenz der 1945 von den Siegern getroffenen Entscheidung gewesen, nach der Kapitulation der Wehrmacht jede deutsche Staatlichkeit zunächst zu beseitigen und die oberste Gewalt in Deutschland in die eigenen Hände zu nehmen. Auf deutscher Seite war aber nach Gründung des westdeutschen Teilstaates - bei aller Bereitschaft, das Unvermeidliche zunächst noch zu ertragen - das politische Ziel ebenso selbstverständlich, die oberste Gewalt den Händen der Sieger wenn nicht sofort zu entreißen, so doch allmählich wieder zu entwinden.

Welche langfristigen Folgen dieses Zwischenspiel der AHK im Bewußtsein der westdeutschen politischen Eliten hinterließ, thematisiert Vogt leider nicht. Am Ende seines Buches verweist er jedoch darauf, daß fünfzig Jahre später "erneut Kommissare erhebliche Kontrollrechte über Wirtschaft und Politik" Deutschlands beanspruchen, aber "historische Parallelen zum Regime der Alliierten Hochkommission nach 1949 damit nicht assoziiert" werden. Dies verwundert kaum. Denn derzeit gehörte es, im Gegensatz zu damals, nicht zu den Zielen der deutschen Politik, sich von der Herrschaft der Kommissare zu emanzipieren.

Foto: Die Hohen Kommissare John J. McCloy (USA), Andre Francois-Poncet (Frankreich) und Sir Brian Robertson (Großbritannien) erklären Besatzungsstatut, 21. September 1949: Adenauer ist entgegen der Absprache beim Petersberger Zeremoniell ebenso wie die Alliierten Kommissare auf den Teppich getreten

Helmut Vogt: Wächter der Bonner Republik. Die Alliierten Hohen Kommissare 1949-1955. Verlag Ferdinand Schönigh. Paderborn 2004. 305 Seiten, 32 Abbildungen, gebunden, 29,90 Euro


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