© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Eine Landkarte der Vernunft vermessen
Philosophie: Mit Günter Zehms Jenenser Vorlesungen knüpft die Edition Antaios an eine altehrwürdige Tradition an
Harald Seubert

In Jena verortete philosophische Vorlesungen stehen in einer großen Tradition, die auf den längst legendären Nimbus von Fichtes erster Wissenschaftslehre im Jahr 1794 und auf die explosionsartigen System-Ansätze der jungen Schelling und Hegel zurückweist. Mit "Jenaer Vorlesungen" ist an jene Epoche klassischer deutscher Philosophie und Dichtung erinnert, in der die Stadt an der Saale, "im lieblichen Tale" (G. Benn), zu einem Athen der Neuzeit wurde.

Diese Zeiten scheinen auch in der Philosophie der Vergangenheit anzugehören. Als nicht der Diskussion geöffnete Veranstaltung und letztlich als potentielles Repressionsinstrument wurde die Vorlesung in der Kulturrevolution von 1968 erst verunglimpft, dann gesprengt und durch blutleere Skripten ersetzt, endgültig erledigt wurde sie durch akademische Lehrer, die sie für entbehrlich halten und mit öffentlich verbreiteter Langeweile verwechseln.

Im besten Fall stellt sich allerdings gerade in dieser Gattung die Möglichkeit ein, durch die Stimme des Lehrers hindurch auf den Logos selbst zu hören, so daß sich Charisma und Sache verbinden.

Günter Zehm hat im letzten Jahrzehnt solche Vorlesungen gehalten, die inspirierende, unorthodoxe Einsicht, Witz und rhetorische Verve, alles Tugenden des öffentlichen Vernunftgebrauchs, mit den Tugenden philosophischer Problemarbeit und Selbstbesinnung gekonnt verbinden.

Die Welt muß schmecken, sonst ist das Leben ein Irrtum

Die Vorlesung "Der Leib und die Seele. Von den vielen Wurzeln der menschlichen Vernunft" unternimmt eine Erkundung von Dimensionen der Vernunft und der durch sie erschlossenen Welt, die sich einer Vernunft-Beschneidung und -reduktion nach dem Maßstab mathematischer Rationalität entziehen, wie sie mit den rationalistischen Systemen der frühen Neuzeit kodifiziert wurde. Zehm verbindet dabei den Weg durch verschiedene historische Stationen mit der Vermessung einer Landkarte der Vernunft, ihren verschiedenen Strömen und Perspektiven. Er sucht, gegen einen linearen Rationalismus und gleichermaßen gegen postmoderne Vernunft-Kritik gewandt, aber auch in Ablösung von Nietzsche oder Heidegger, den Anfang der Identität von Denken und Sein in der vorsokratischen Philosophie auf. Bei Heraklit und Parmenides kommt es erstmals zu der Denknötigung, "für die Logik gewissermaßen Platz zu schaffen, sie vom Willen der Götter, von ihrer ARCHE abzulösen". Erkenntnis und zu erkennende Welt wurden durch Zahl und Atom diszipliniert und um ihren sinnlichen Bestand gebracht.

Zehm zeigt sodann, wie der Gestus Platonischer Philosophie durchgehend vom Eros bestimmt ist, einer Grundmacht, die immer im unmittelbar sinnlichen Verlangen ihren Anfang nimmt und den Platonischen Logos bis zur höchsten Idee leitet. Wenn er (mit Heinrich Niehues-Proebsting) feststellt, daß Rhetorik und Politik am Eros, nicht am Logos orientiert gewesen seien, ergeben sich aufschlußreiche, nachdenkenswerte Einsichten zum Verhältnis Platonischer Idee und attischer Poliswirklichkeit.

Gängige Schemata, die gerade Platon oder Augustinus unbekümmert um die innere Denkbewegung als sinnlichkeits- und leibfeindliche Denker rubrizieren, werden unter Zehms scharfsinnigem Blick von Grund auf fragwürdig. Gerade bei Augustinus gewahrt er eine Entdeckung des Unbewußten und Unterbewußten, vor allem der Träume, in deren Medium sich Transzendenz, die Rückkehr aus endlicher Zerstreuung auf Gott hin wesentlich vollzieht. Zehms Eigenständigkeit zeigt sich besonders in seinen anthropologischen und mythengeschichtlichen Erkundungen, etwa wenn er Nietzsches Deutung des Dionysoskultes als der Urschicht griechischer Kultur als historisch nicht haltbare Konstruktion erweist: Ekstasis und bacchantische Besinnungslosigkeit waren nicht Mittelpunkt des Gottesdienstes, sondern esoterische Spätformen.

Die Gefühlsphilosophie im 18. Jahrhundert, zwischen Baumgarten, Winckelmann und den Frühromantikern, ist, wie Zehm an einer anderen Schlüsselstelle seines Kollegs eindrucksvoll deutlich macht, zugleich die Geburtsstunde der philosophischen Ästhetik. Schon im Begriff wird deutlich, daß Ästhetik Lehre von der Sinnlichkeit und ihren Wahrnehmungen ist. Kants dritte Kritik versuchte sich ihrer in Begriffsdistinktionen des Nicht-Begrifflichen zu bemächtigen. In Hegels "Phänomenologie des Geistes" und in seinem ausgereiften System ist das ästhetische Eigenrecht gesehen und in der "Kunstreligion" der Griechen verankert worden. Doch geht über sie die Bewegung des seiner selbst bewußten Geistes hinweg: Im Begriff, nicht in der Erscheinung vollendet sich der Lauf der Vernunft.

Der Auslotung des psychisch-physischen Lebenszusammenhangs gilt Zehms eigene höchste Aufmerksamkeit, wobei er sich zum Teil an der von Hermann Schmitz entwickelten Phänomenologie leiblichen Erspürens orientiert, vor allem aber Selbstbeobachtung und -kenntnis seiner Leser und Hörer animiert und steigert. Ein Paradestück ist die Phänomenologie der Sinne, mit dem Fazit, daß die Welt schmecken muß; sonst wäre das Leben ein Irrtum. Geschmack und Weisheit (sapor-sapientia) haben einen gemeinsamen Wortstamm, worüber sich Kant nicht genug erstaunen konnte. Günter Zehm zeigt, daß in dieser sprachlichen Verbindung ein guter Sinn waltet.

Zehms ausgezeichnete polyhistorische Fähigkeit zu Querschnitten instrumentiert und bereichert die Phänomeneinsichten. So verweist er souverän in wenigen Strichen vom Platonischen Eros auf die Topoi von Liebesrhetorik zwischen Stendhal und Sartre, nicht ohne auch der tiefenpsychologischen Abgründigkeit von Libido und Todestrieb bei Freud kritischen Tribut zu zollen.

Als Vernunftwurzeln werden erkennbar die Einheit der Liebe in der berückend irritierenden Vielfalt ihrer Formen, wobei Zehm zu Recht gerade bei den Mystikerinnen des Mittelalters in die Schule geht; der Hunger wird ihm zum Schlüssel für die Analyse gesellschaftlicher Haushaltung, der Makro- und Mikroökonomie.

Nur eine blühende Phantasie garantiert eine gute Küche, und diese läßt wiederum Schlüsse auf die Qualität von Staatsverfassung und Staatsfreundschaft zu. Der Traum, eine Form volltönender Vernunft, wird sodann in seinen Variationen sichtbar gemacht, die von der Machtutopie bis zur Sehnsucht nach dem Tod reichen. Anders aber als Ernst Bloch, der Lehrer seiner Jugend, erkennt Zehm dem Nachttraum gleichberechtigt zum Tagtraum seine Bedeutung zu.

Die Vorlesungsreihe schließt mit einem dreifachen Grundakkord: Zehm wendet sich der Heimat als dem "territorialen Imperativ", zu, der (wie er mit Heidegger weiß) in der Sprache gründet. Er bedenkt sodann die Sprache selbst als leiblich-geistiges Gesamtphänomen. Sprache spricht sich, mit Heidegger gesagt, "zu", sie gründet aber im Schweigen, woran jede Sprachkommunikation und -konvention ihrerseits gebunden bleibt und woran die Hybris von Kunstsprachen immer wieder jählings in babylonische Sprachverwirrung umschlägt.

Sprache ist geschichtlich gewordene einzelne Sprache, Artikulation einer Zunge. Hier setzt Zehm die Einsichten Herders und Humboldts fort. An der Muttersprache endet klares, distinktes Verstehen. Sie ist nicht auf den Begriff zu bringen. Und eben weil wir sie in diesem Sinn letztlich nicht verstehen, ist sie Heimat. Schließlich wendet sich der Gedankengang dem religiösen Gefühl zu, das Schleiermacher als "Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit" verstand und das Antidotum bleibt zu allen konstruierten Utopien, die in der Moderne ihre Spur von Angst und Schrecken ziehen. Es ist eindrucksvoll (und macht das eigentlich Originelle dieser Vorlesungen mit aus), daß Zehm wie jeder Anthropologe von Rang der scharfen Diagnostik des krummen Holzes (Kant) des Menschen Tribut zollt. Er eignet sich Machiavelli oder Hobbes mit Gewinn an. Desungeachtet bleibt für ihn die Denk- und Spekulationsbewegung von Idealismus und Romantik unverlierbar.

Gerade die letzten Vorlesungskapitel Zehms lassen sich als Befreiung endlicher, humaner Menschenvernunft und Besonnenheit nach dem Ende des Totalitätswahns im Zeitalter der Extreme verstehen. Sie kommen nicht ohne Leidenschaft, doch ohne Rancune aus, woraus der klare Blick auf Dummheiten und Verkommenheiten im Mentalitätshaushalt der Gegenwart seine Ressourcen zieht: namentlich der Entweihung des sakralen Raums durch Gottesdiener widmet Zehm unvergeßlich klare Skizzen.

Nach dem Wesen, nicht dem Schein der Dinge fragen

Der zweite vorgelegte Vorlesungsband "Eros und Logos" unternimmt eine Besinnung auf einen wesentlichen Strang des geistigen Erbes Europas: die griechisch-römische philosophische Überlieferung. Dies ist in der heutigen verwirrten Europadiskussion von höchster öffentlicher, ja politischer Bedeutung. Der Untertitel "Eine Geschichte der antiken Philosophie" weist darauf hin, daß jede exponierte Perspektive auf die Anfänge des geistigen Europa der Ergänzung und Korrektur durch andere Blickpunkte bedarf. Doch dürfte eine derart konzise, pointierte Geschichte antiker Philosophie heute ihresgleichen suchen. Zu Recht verweist Zehm darauf, daß öffentliche Vergegenwärtigung des Vergangenen neben archivalischer Spezialforschung wichtig bleibt, und bei aller Wertschätzung neuerer Forschung weiß er sich vor allem in der Schuld der großen Altertumswissenschaftler des 19. Jahrhunderts.

Zehm gibt in souveränen Skizzen ein höchst lebendiges Porträt der antiken Welt, ihrer konstanten und wechselnden Faktoren: Er legt dar, welche Spannungen zwischen Polis und Philosophie, zwischen Philosophie und Kunst den Gang des Logos in Atem hielten. Deshalb geht er vom Mythos und der Herrschaft des Chaos, von Epos und Tragödie aus, um Leistung, aber auch Verlust der Grundlegung der Ontologie bei Parmenides, Heraklit und in der ionischen Naturphilosophie verständlich zu machen. Als Spezifikum griechischer Kultur begreift er indessen, darin Jacob Burckhardt verpflichtet, die "ewige Spannung" von Kunst und Philosophie. Ein "ästhetisches" Lebensverhältnis war ihr von ihren greifbaren Anfängen her eigen, in eindeutiger Selbstunterscheidung gegenüber der orientalischen und ägyptischen Welt.

Die griechische Physik zwischen Demokrit und Pythagoras wird immer im Verweis auf die politischen Realitäten geschildert. Zehm wagt auch hier Ausgriffe von der antiken Atomistik bis zu Heisenberg und Capra, vor allem aber profiliert sich seine Skizze durch eine gekonnte Ehrenrettung der Pythagoreer.

Die Prägung der Polis durch Überredungs- und Lebensmacht der Sophisten verkehrte den Logos zum Kampfmittel; das Schillern von Meinung und Verleumdung, dieses Gehäuse der Doxa und der Eitelkeiten legt dem Leser immer wieder schlagende Parallelen zur gegenwärtigen Mediendemokratie nahe.

Sokrates' Befragungskunst wäre freilich ohne die Sophistik nicht denkbar. Daß er nicht nach dem prestigeträchtigen Schein, sondern dem Wesen der Dinge fragt, um zur Selbsterkenntnis zu gelangen, ebendies wird zum Impuls für Platons Idee des Guten. Der historische Sokrates wird von Zehm in der Spannung zwischen Platonischen Dialogen und anderen Sokrates-Zeugnissen (Aristophanes, Xenophon) in seinem Lebenszusammenhang und seiner Nähe zur Sophistik begriffen, wobei Zehm in Sokrates gerade nicht das Ende des tragischen Zeitalters besiegelt sieht (wie Nietzsches wirkmächtiges Sokrates-Bild nahelegte). Die Überwindung nominalistischen, wortklaubenden Nihilismus bedeutete vielmehr eine Wiederentdeckung des Eros und machte die Philosophie zur "wahren Tragödie".

Die Platon-Abschnitte sind dort am stärksten, wo Zehm sich den Daseinsmächten von Liebe und Tod, der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, von der die Ideenlehre ausgeht, und der Erprobung der Ideenerkenntnis am Einzelfall, der Rettung der Phänomene, zuwendet. Er entscheidet sich gegen eine an den Dialogen orientierte und für eine systematische Darstellung von Platonischer Erkenntnislehre, Ontologie, Psychologie, Ethik, Politologie und Ästhetik. An dieser Stelle hat der Rezensent kritische Einwände: Die philosophischen Disziplinen waren bei Platon eben noch nicht geschieden, sein philosophischer Eros kommt gerade in der thematischen Verflechtung in ein und demselben Dialog zur Erscheinung. Wenn man sich bewußt wird, daß die Ideenpolis in der "Politeia" nur ein Hilfsmittel ist, um die Schrift der Gerechtigkeit entziffern zu können, modifiziert sich das Urteil von der "Diktatur der Philosophen" und dem eugenischen Programm.

Es mag also sein, daß Zehm die beständige Selbstbefragung, das delphische und sokratische "Erkenne dich selbst" (Gnothi seauton) zu wenig als den Grundtext der Platonischen Dialoge begreift. Obwohl Karl Poppers Name nicht fällt, ist seine Lektüre Platons im Gegenlicht der totalitären Erfahrung gegenwärtig. Zehm macht freilich als Gegengewicht sehr stark, daß Platon kein Wort im eigenen Namen schrieb, sich nie von Sokrates löste - mit der Folgerung: "Alles ist Spiel, Dialog, Maske".

Auch wenn man sich seiner Platon-Deutung nicht umstandslos anschließt, wird man Zehm für seine profilierten Überlegungen dankbar sein. Sein Umgang mit dem Platonischen Dialogwerk kann ein sinnvolles Gegengewicht zu einer allzu großen Scheu sein, mit der man den Dialogen - ausgehend von der Schule von Leo Strauss - heute vielfach begegnet und die dazu führen kann, daß hinter der Kunst des "verdeckten Schreibens" die Sache verschwindet.

Mit größtem Gewinn verfolgt man die Vorlesungen über Aristoteles vor dem Hintergrund des Übergangs von der Polis zur Kosmopolis, an der Aristoteles als Lehrer Alexanders Anteil hatte. Kosmopolit (und nicht mehr Polisbürger) ist Aristoteles aber nicht allein aufgrund seines Zeithintergrunds. Sein "Interesse gilt buchstäblich der ganzen Welt", im Unterschied zu Platon: auch der sinnlichen Erscheinungswelt und ihrem dramatischen Phänomenreichtum von Zoologie, Biologie, Botanik bis hin zur Literaturüberlieferung.

Die Zuwendung zum Oikos, zur Wirtschaft und die Katharsis- und Affektenlehre hebt Zehm zu Recht besonders hervor. Er weist auf die Aktualität des aristotelischen Gedankens der Staatsfreundschaft hin, die theoretische Philosophie konzentriert er auf Kategorienlehre und Logik und auf die Erste Philosophie und Theologie.

Von der Kosmopolis verlief der Weg der politischen Geschichte zu einer hellenistischen Weltkultur, einem Zeitalter vollendeter Gottlosigkeit, in der man schlagende Parallelen zu heutiger Gegenwartsdekadenz bemerken kann. Epikurs Lehre von der inneren Freiheit, der vergeistigte Hedonismus, zielt auf die Kunst, im Verborgenen zu leben, während die Stoa unmittelbarer auf die Welt des Imperium Romanum bezogen blieb: In ihrer Weisheit artikuliert sich ein all-menschlicher Humanismus des Weges zu sich selbst, am eindrucksvollsten vielleicht bei dem Philosophenkaiser Marc Aurel. Den Affinitäten und Differenzen altrömischer Pietas zur Stoa, wie sie besonders eindrucksvoll bei Cicero sichtbar werden, geht Zehm leider nur am Rande nach. Ihm gelingen aber auch hier aufschlußreiche Brückenschläge bis zur heute drängenden Frage nach der Begründung allgemeiner Menschenrechte.

Zehm schließt seine Vorlesungen mit einem besonders geglückten Kapitel zu der "Ankunft des einen Gottes", der Konfrontierung und Amalgamierung der Philosophie der alten Welt mit dem Christentum: der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Mensch gewordene Gott in Jesus Christus und der Gott der Philosophen, der Monotheismus des Glaubens und der Idee, sie werden hier in ihrem Zusammenhang und ihrer Spannung sichtbar gemacht.

Wo käme man der Wurzel und geistigen Mitte Europas näher? Daß die antike Philosophie gegenüber einem triumphierenden Christentum in der "sanften Lächerlichkeit" des Polytheismus von Julian Apostata erstarb, bleibt eine nur vorübergehende Bilanz. Denn weder ist der durchgehende Wesenszug antiker Philosophie polytheistisch, noch ist das Christentum im Triumph bei sich selbst.

Neue Einsichten und Perspektiven

Mit dieser schönen, vorerst zweibändigen Vorlesungsedition kommt Günter Zehm erfreulicherweise und längst überfällig als philosophischer Lehrer und Denker hohen Karates zu Wort. Wer ihn als einen der großen konservativen Publizisten durch Jahrzehnte hochschätzt, wer die Pankraz-Kolumnen als Refugium der Urteilskraft bewundert, wird über die Hintergründe unterrichtet, ohne die ein solches publizistisches Œuvre nicht möglich wäre.

Man vertraut sich gerne Zehms unprätentiöser, kenntnisreicher Darstellungskunst an, die dem Fachkenner immer wieder neue Einsichten und Perspektiven eröffnet, dem Anfänger aber Welten erschließen dürfte. Grundlegend ist jeder der beiden Vorlesungsbände auf seine Weise: Der erste verweist auf den Grund humaner Vernunft, der zweite auf den Grund europäischen Selbstverständnisses.

Die Edition Antaios und ihr Verleger Götz Kubitschek haben sich um die Präsentation in hohem Maß verdient gemacht. Die Vorlesungseinheiten sind erkennbar (man hätte sich vielleicht noch wünschen können, daß das Datum der jeweiligen Vorlesungsstunde mitgeteilt worden wäre), der Gedankengang durch Zwischenüberschriften pointiert strukturiert. Die Anmerkungen begrenzen sich auf das Notwendigste, bieten aber solide Hinweise zu weiterem Studium. Allenfalls hätte man sich bei dem Band zur antiken Philosophie eine stärkere Referenz auf Primärquellen und jene große Forschung des 19. Jahrhunderts denken können.

Auch die Umschlaggestaltung mit Bildmotiven des großen Malers Wolfgang Mattheuer ist in einer Zeit diskurshafter modeorientierter Massenproduktion eine besondere Wohltat. Man wünschte sich sehr, daß die Edition der Jenenser Vorlesungen fortgesetzt wird, sie bieten eine "Einführung in die Philosophie", die den Vergleich mit den herausragenden Exemplaren der Gattung nicht zu scheuen braucht.

 

Prof. Dr. Harald Seubert, Jahrgang 1967, lehrt Philosophie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Religionsphilosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.

Günter Zehm: Eros und Logos. Eine Geschichte der antiken Philosophie. 319 Seiten, geb.; ders.: Der Leib und die Seele. Von den vielen Wurzeln der menschlichen Vernunft. 276 Seiten, geb.; beide Edition Antaios, Schnellroda 2004

Foto: Wolfgang Mattheuer, "Erschrecken" (1977): Unmodische Wohltat


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