© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Schelmisch zwinkert der Papst
Sätze von nachhaltiger Heilkraft: Der sechste Band von Eckhard Henscheids Werkausgabe erschließt wundersame Welten, in denen doch alles bleibt, wie es ist
Werner Olles

Es gibt Autoren, deren Sätze einem wie Maschinengewehrfeuer um die Ohren donnern und dennoch kaum einen Nachhall haben. Und es gibt andere wie Eckhard Henscheid, die eine Epik pflegen, die im mehrfachen Sinne "welterschließend" (Armin Mohler) ist. Henscheids Erzählkunst kann der Leser jetzt mit dem neuen Band der großen Werkausgabe genießen, der gleich drei längst vergriffene Romane wieder zugänglich macht und mit dem Romanfragment "Die Unverblühten" und der Erstveröffentlichung "Dr. med. Erika Werner - Roman einer jungen Ärztin" zusätzlich zwei Kleinode bietet.

Beginnen wir mit "Dolce Madonna Bionda", einem herzzerreißenden Liebesroman um den Italienurlaub des Dr. Bernd Hammer, der in Gardone zunächst den "jetzt zum Museum ausgestatten Wohnsitz Gabriele D'Annunzios besucht", um am Ende seiner Vergnügungsreise in Bergamo zu landen. Dort lernt er eine weitere Reisegesellschaft kennen, bestehend aus trinkfesten Herren und einer nicht mehr allzu jungen, gleichwohl immer noch recht ansehnlichen Dame namens Mrs. Karin Wellington-Hundemer. Nachdem ebenjene "Dolce Madonna Bionda" in der letzten Bergamo-Nacht nach einer tobenden Abschiedsfeier unversehens zärtlich-romantisch über Hammer gekommen ist, trifft dieser zu guter Letzt noch auf Johannes Paul II., der ihm aus dem Heckabteil seines Mercedes mit einem Taschentüchlein winkend jovial-schelmisch zuzwinkert, während Hammer beherzt zurückzwinkert.

Über "Maria Schnee - Eine Idylle", 1988 erstmals erschienen, ist schon soviel Lobendes geschrieben worden, nicht zuletzt von Armin Mohler, daß eine Steigerung kaum noch möglich scheint. Allein die Worte sprechen für sich: "Das Kirchlein stand recht treu und hold. Dreimal segelten drei Lerchen oder vielmehr Schwalben um den Zwiebelturm, dann verloren sie sich im Blätterwald des Birn- oder auch Nußbaums. An ihm stand eine hölzerne Leiter angelehnt. Geräuschlos flink schlüpfte ein Tierlein durch das Gras, eine Eidechse oder ihr sehr Ähnliches. Der Hund hatte sich mittlerweile nach etwas hinterhalb verzogen und schnuffelte zwischen den Mohn- und Dotterblumen. Das Kirchlein wirkte aus der Nähe recht eindrucksvoll und fest und trutzig, erst wenn man etwas weiter von ihm wegstand, erst dann schaute es gar so niedlich. So niedlich, treu und treulich."

Es sind solche Sätze, die den Autor zu einem Klassiker der Gegenwartsliteratur avancieren und Brigitte Kronauer zu dem Resümee kommen ließen: "Die hier sich ereignenden Wunder sind weniger spektakulär, aber von nachhaltiger Heilkraft." Und in der Tat, wie Henscheid die Alltagseindrücke des menschenscheuen "Wahrnehmungsneurotikers" (Gustav Seibt) Hermann in der sommerlichen Idylle der Pensionsgaststätte Hubmeier schildert, das ist nicht nur vorbildlich, sondern mehr noch: genial, vor allem aber staunenswert. Und dies in einer Zeit, in der den Lesern das Staunen über handwerkliche Genauigkeit, Manierismus im besten Sinne und die Kunst der Tautologie weitestgehend abhanden gekommen ist.

In die familienpolitischen Niederungen der hedonistisch-konsumorientierten Moderne mit ihrer verwirrend krisenhaften Freizeitgestaltung führt der zunächst als scheinbares Feierabendidyll beginnende Roman "Beim Fressen beim Fernsehen fällt der Vater dem Kartoffel aus dem Maul". Unaufhaltsam von Seite zu Seite sich steigernd muß der Leser miterleben, wie des Vaters stolzer, aber auch glücklicher Blick sich nicht mehr auf die fröhliche Kinderschar um ihn herum richtet, er auch das Eheweib, die Mutter seiner Kinder, kaum noch beachtet, geschweige denn liebevoll betätschelt, und das treue Haustier gar vollends ignoriert, sondern quasi süchtig nur noch dem verfluchten Fernsehkasten zugewandt ist. Bis schließlich auf allen Ebenen alles eskaliert und kollidiert, und doch bleibt, wie es ist, denn: "Das Fernsehen ist ein Siegeszug, jedoch auch viel Gefahr, ist klar."

Eckhard Henscheid: Gesammelte Werke. Band 6, Romane 3. Zweitausendeins, Frankfurt 2004, 715 Seiten, 25 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen