© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Physik? Nebensache!
Einstein-Jahr: Der Vater der Relativitätstheorie war ein genialer Physiker, doch das interessiert in Wirklichkeit herzlich wenig
Moritz Schwarz

Zur offiziellen Eröffnung des Einstein-Jahres am 19. Januar in Berlin räumte Festredner Gerhard Schröder in seiner Ansprache unbarmherzig die letzte Hoffnung der Pisa-Generation ab: "Einstein ist niemals sitzengeblieben!" Au Backe, finis maturae!

Was der Bundeskanzler jedoch unangetastet ließ, ist die Legende, Einstein sei heute so populär, weil er ein so bedeutender Naturwissenschaftler war. Die Wahrheit aber, lieber Gerhard Schröder, ist, die Wurzel für Einsteins Popularität liegt nicht im Jahre 1905 bzw. 1915 (Spezielle bzw. Allgemeine Relativitätstheorie), sondern sozusagen im Jahr 1968. Da war der Physikus zwar schon 13 Jahre tot, wurde jedoch als Popikone neu geboren. Freilich war zuerst der Wissenschaften Tatenruhm - aber dann vor allem das weltbekannte Bild mit rausgestreckter Zunge! Ganz ehrlich: Was, wenn Einstein - statt pazifistisch und antiautoritär - sich "national" geäußert hätte wie etwa Werner Heisenberg? Werner wer? Eben! - Gut, Heisenbergs Unschärferelation mag an die Relativitätstheorie nicht heranreichen, war aber immerhin so genial, daß sie selbst Einsteins Weltbild sprengte.

Seine wirre Haartracht, die Art, sich als großes Kind zu inszenieren, seine Masche, bürgerliche Konventionen als "verrückter Professor" zu unterlaufen - nicht das Geniale, das Infantile und Gefällige hat ihn bei einer Generation von Pazifisten, Kommunarden und Spaßguerilleros berühmt gemacht. Und auch seine intellektuelle Moral paßt zu den Menschenfreunden mit klarem Feindbild: "Ich verachte alle, die es lieben, im Takt der Musik zu marschieren, sie haben ihr Gehirn nur aus Zufall bekommen, ein Rückgrat hätte gereicht", so Einstein. Er selbst beließ es allerdings nicht bei Militärmusik: 1939 leitete sein Brief an Roosevelt den Bau der Atombombe ein.

Die Welt verdankt Einstein viel, aber wäre es nach den Menschen von Hiroshima und Nagasaki gegangen, hätte ein Rückgrat für Einstein wohl gereicht.


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