© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Identität durch Irritation
Berliner Denkmalpläne: Es hätte schlimmer kommen können
Oliver Busch

Der gedenkstrategisch so bedeutsame 8. Mai 2005 wirft lange Schatten voraus. Vor allem Peter Eisenmans "wogendes Stelenfeld", das an diesem Tag seiner Bestimmung übergeben wird, fordert derzeit zu gesteigerter Deutungsproduktion heraus. Zu den besseren Beiträgen dieses Genres zählt ein Aufsatz von Michael Schmitz über das "Berliner Holocaust-Denkmal im Fokus von nationaler Identität und universaler Abstraktion" (Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 12/2004). Obwohl er Rudolf Augstein mit dem Diktum zitiert, dieses "Schandmal" sei gegen das "in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet" und eine "Absage an die allmählich wiedergewonnene Souveränität unseres Landes", kann Schmitz im Rückblick auf die Wettbewerbsentwürfe doch plausibilisieren, daß die Entscheidung für Eisenmans Stelenfeld Schlimmeres verhütet hat.

Eisenmans Konzeption verhinderte Schlimmeres

Nicht realisiert wurde etwa der Entwurf von Horst Hoheisel, der auf die "Dekonstruktion" der Symbole setzte, die "deutsche nationale Identität codieren". Darum wollte er das Brandenburger Tor abtragen, die Trümmer zu Staub zermahlen und auf dem "Denkmalgelände" verstreuen. In einer modifizierten Form dieses Konzeptes sollten es dann immer noch "einige Säulen" des nationalen Monumentes am Pariser Platz sein. Nicht weniger obskur waren ein geplanter "Davidstern mit umlaufender Stacheldrahtbewehrung" oder die anfangs favorisierte monströse sieben Meter dicke und 20.000 Quadratmeter große Betonplatte von Christine Jackob-Marks.

Eisenmans Werk biete hingegen auf vertrackte Weise sogar die Chance zu neuer nationaler Selbstfindung. Wie Schmitz glaubt, habe sich der New Yorker Architekt an einer recht einzigartigen Form kollektiver Identitätsbildung orientiert. Bundesdeutsche "Erinnerungs- und Identitätspolitik" habe nämlich eine weltweit konkurrenzlose Strategie entwickelt, mit "Nationalsozialismus und Holocaust" so umzugehen, daß die intensive Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit "keine Gefahr" sei, sondern eine "Chance" für die Ausbildung nationaler Identität biete. Die "Nie wieder Deutschland"-Fraktion dürfte über soviel Dialektik erbost sein, aber was Schmitz hier referiert, das sind die Grundlinien der offiziösen Geschichtspolitik.

Denn ein an Auschwitz gebundenes nationales Bewußtsein, im Sinne von Jürgen Habermas und Joschka Fischer - der 1999 zu Bernard Henri Lévy sagte: "Alle Demokratien haben eine Basis, einen Boden. Nun, für Deutschland ist das Auschwitz. Das kann nur Auschwitz sein" -, lasse eine neue Form "selbstreflektierter" kollektiver Identität entstehen. Die Gedächtnistheoretikerin Aleida Assmann nennt das "symbolische Außenstabilisierung", da sich die deutsche Gesellschaft angesichts des Mahnmals fortwährend selbst in Frage stelle. Das "Gründungsmonument der neuen Republik" (Assmann) liefert also eine Art architektonischen Imperativ. Biederer ausgedrückt: In Sichtweite von Parlament und Regierung mahne es "Nie wieder!" (Bernhard Schulz).

Indem Eisenman auf jede nationale Ikonographie und damit auf jede explizit sinnstiftende Dimension verzichtet, gehorche sein Stelenfeld diesem Imperativ. Seine Steine seien nach dem "Prinzip der Irritation" installiert, das "geläuterte" Identität durch "Problematisierung" generiere. Dieses Prinzip diene "in geradezu idealer Form einer zentralen Intention des Denkmals, nämlich der permanenten irritierenden Mahnung und Motivation von gegenwärtigem und zukünftigem Handeln".


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