© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Vernetzte Multiplikatoren
Eine Untersuchung beschreibt die politische Mobilisierung durch Nutzung des Internets
Claus-M. Wolfschlag

Dient das Internet der politischen Mobilisierung? Dieser Frage ist eine empirische Untersuchung zur politischen Kommunikation der Bürger nachgegangen, die in der Ausgabe 2/2004 der Politischen Vierteljahresschrift erläutert wurde. Bislang standen nicht parteipolitisch eingebundenen Bürgern nur beschränkte Möglichkeiten zur politischen Diskurs-Teilhabe zu. Sie konnten Leserbriefe an Zeitungen und Magazine schreiben, in der Hoffnung, daß diese dann auch gedruckt würden. Sie konnten an Demonstrationen oder Diskussionsrunden teilnehmen. Einige wenige konnten mit finanziellem Aufwand eigene Rundbriefe postalisch verschicken.

Mit der Einführung des Internets stehen den Bürgern nun weitaus größere Möglichkeiten der Mitsprache offen. E-Post-Rundschreiben, Chat-Foren oder die Anlage eigener kostengünstiger Netzseiten eröffnen neue Möglichkeiten eines schnellen und massenwirksamen Zugangs zum politischen Diskurs. Bei der nun veröffentlichten Untersuchung von Martin Emmer und Gerhard Vowe ging es darum, die konkreten Auswirkungen des Internets auf die individuelle politische Kommunikation der Bürger zu betrachten. Das Spektrum der Vermutungen in der Forschergilde reichte dabei von einer "Abkehr"-Reaktion der Bürger über die These der gesellschaftlichen "Spaltung" bis hin zur Möglichkeit einer "Mobilisierung" durch die neuen Medien.

Möglichkeit politischer Einflußnahme steigt

Die einen nehmen also an, daß die Reizüberflutung, mediale Ablenkung und technische Überforderung der Bürger durch das neue Medium zu einer Abkehr von politischer Teilhabe, zu Ignoranz, führen könne. Internetnutzer würden demnach weniger demonstrieren, sich seltener an Wahlen und der politischen Willensbildung beteiligen. Dies war eine Sorge, die allerdings

schon zahlreiche frühere Medieninnovationen begleitete.

Vertreter einer "Indifferenztheorie" gehen hingegen von einer Spaltung der Gesellschaft aus. Diejenigen Gruppen, die auch jetzt schon politisch den Ton angeben, würden das Netz besser für ihre Zwecke nutzen können und ihren Einfluß nur vergrößern. Anhänger der Mobilisierungshypothese vertreten die Auffassung, daß sich Bürger mit Internetanschluß häufiger und intensiver an politischen Prozessen beteiligen und daß über das Internet Leute in die politische Willensbildung einbezogen werden, die über andere Kanäle nicht mehr erreichbar sind. Somit könne man von einer stärkeren Einbindung in das politische Kommunikationssystem sprechen. Die Bestätigung dieser These würde bedeuten, daß ein technischer Erneuerungsschub auch diskursive Aktivitäten verstärkt.

Nach einer früheren Untersuchung Elisabeth Noelle-Neumanns hatte bereits die Einführung des Fernsehens in den fünfziger und sechziger Jahren einen Anstieg des politischen Interesses bewirkt, vor allem bei denjenigen Schichten, die sich vorher nicht viel um Politik kümmerten. Durch die alltägliche Fernsehnutzung wurden sie stärker in die politischen Auseinandersetzungen einbezogen. Zwar haben - das muß erkannt werden - politische Themen bei der gesamten gesellschaftlichen Kommunikation grundsätzlich nur einen geringen Stellenwert, doch in die Fülle der täglich verschickten E-Mails reihen sich eben auch zunehmend solche an Zeitungen oder eine Partei ein.

Die nun erfolgte Untersuchung konnte auf der Basis eines Bevölkerungsquerschnitts durchgeführt werden, denn bei den heutigen Internet-Nutzern handelt es sich sozialkulturell nicht mehr nur noch um technikbegeisterte Spezialpopulationen. Das Internet ist durchaus eine breite, alle Bevölkerungsgruppen erreichende Einrichtung geworden. Nach einer Zufallsstichprobe wurden 1.219 Personen aus den Städten Kassel und Erfurt für die Untersuchung rekrutiert. Die Befragten wurden in zeitlichem Abstand zweimal kontaktiert.

Besonders interessant war dabei die Gruppe der "Einsteiger". Letztlich zeigte sich dabei, daß diejenigen, die neu ins Internet gehen, herkömmliche Formen politischer Kommunikation nicht weniger nutzen als zuvor, sondern das Internet zusätzlich für politische Zwecke eingesetzt wird. Vor allem die internetgestützten Möglichkeiten zwischenmenschlicher Kommunikation werden dazu wahrgenommen. Es wird also E-Post verschickt, in der sich Bürger politisch austauschen. Außerdem nimmt man am Chat teil.

Als Ursache für Verschiebungen in der persönlichen Kommunikationsform werden die "Kosten-Nutzen-Relationen" angeführt. Die These einer Abkehr von der politischen Meinungsbildung kann also verworfen werden. Die individuelle politische Kommunikation insgesamt bleibt nach der Untersuchung durch die längere Nutzung des Internets unberührt. Langjährige Internet-Nutzer verändern ihre Gewohnheiten also nicht mehr stark durch den puren Gebrauch des Mediums.

Dies wäre eine Art Bestätigung der Indifferenzthese: Alles bleibt weitgehend, wie es ist. Doch die Gruppe der Einsteiger mit ihren hinzutretenden Online-Aktivitäten bestätigt die Hypothese in dieser Form nicht. Die bei Einsteigern mehrheitlich zu beobachtende Zunahme von politischen Online-Aktivitäten, zum Beispiel Online-Leserbriefe oder Foreneinträge, geht über das Maß hinaus, mit dem sie bisherige Kommunikationsformen, zum Beispiel postalisch versandte Leserbriefe, schleifen lassen.

Dies wird als Indiz dafür gewertet, daß bei Internet-Einsteigern eine Mobilisierung zu beobachten ist. Zwar wird die Möglichkeit einer eigenen Netzseite bislang nur von einer kleinen Minderheit genutzt, doch die Veränderungen sind signifikant: Internet-Einsteiger unterhalten sich nach einem Jahr deutlich öfter über politische Themen als Nicht-Nutzer. Sie zeigen demnach in höherem Maße ihre politische Meinung offen und unbefangen als die Nicht-Nutzer. Das Aktivitätsniveau steigt deutlich. Persönliche Befindlichkeiten, unterschiedliche soziale und materielle Komponenten oder das Alter der "Surfer" spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Starke Mediennutzung bedingt mehr politisches Interesse

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß von einer Politik-Abkehr der Bürger durch das Internet keine Rede sein kann. Zwar sprechen manche Anzeichen für die "Indifferenzthese", nach der ein Internet-Gebrauch für den Polit-Diskurs keine verändernde Rolle spielt, doch vor allem im Bereich interpersonaler Kommunikation (zum Beispiel Chat) sind Mobilisierungstendenzen unübersehbar. Genutzt werden Kommunikationsaktivitäten, die leicht erlernbar und unkompliziert einsetzbar sind. Kommunikation, die größeres Wissen und höheren Aufwand erfordert, wird hingegen vom "einfachen Surfer" kaum beachtet.

"Je intensiver Personen aktuelle Medienangebote nutzen, desto intensiver unterhalten sie sich auch mit anderen über Politik, desto stärker ist ihr Einflußüberzeugung, desto intensiver nehmen sie Möglichkeiten der politischen Teilhabe wahr und desto intensiver nutzen sie wiederum die aktuellen politischen Medienangebote - der klassischen und der neuen Medien", erklären Emmer und Vowe zu ihrer Untersuchung.


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