© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Der beste Golfspieler der Welt
Kino I: Martin Scorseses "Aviator" ist ein Puzzlestück, das nur Himmel zeigt
Michael Insel

Der Populärkultur ist der Multimilliardär Howard Hughes (1905-1976) als jener nackte, vor sich hin murmelnde Einsiedler im Gedächtnis geblieben, der er in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens war: Kleenex-Schachteln statt Schuhen an den Füßen, umgeben von eigenen Exkrementen und Dreck. Mormonische Leibwächter mit weißen Baumwollhandschuhen, die erst nach einer rituellen Handwäsche die Suite in einem seiner Casinos in Las Vegas betreten durften, um den paranoiden Zwangsneurotiker mit Kodein zu versorgen, schirmten ihn vor der neugierigen Öffentlichkeit ab.

Doch dies ist nur eines von vielen Bildern, die zusammen den facettenreichen Mythos Howard Hughes ausmachen. Hughes selbst hatte die Angewohnheit, für längere Zeit aus seinem Leben zu verschwinden (mal verdingte er sich unter falschem Namen als Linienpilot, mal als einfacher Arbeiter) und war dieser Mythenbildung auch sonst keineswegs abhold, und so wurden die Fakten zu Fiktionen oder vielleicht umgekehrt. Als Clifford Irving 1971 behauptete, bei der Abfassung seiner Autobiographie als Hughes' Ghostwriter gewirkt zu haben, gelang es Hughes nur mit Mühe, ihn als Betrüger zu entlarven und die Rechte an seiner eigenen Lebensgeschichte zu behalten.

Als Schablone für diese Geschichte mag eine ebenso maßlose wie kaum übertriebene Prahlerei herhalten: "Ich beabsichtige, der beste Golfspieler der Welt, der beste Filmproduzent in Hollywood, der beste Pilot und der reichste Mann der Welt zu werden." Über den "besten Piloten der Welt" hat Martin Scorsese nun einen durchaus vergnüglichen Film mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle gedreht, auf daß der Mythos um ein weiteres Puzzlestück bereichert werde.

In dem Golden-Globe-Gewinner und Oscar-Favoriten "Aviator" ist Hughes ein idealistischer Held, der an seinem achtzehnten Geburtstag den Familienbetrieb, die Hughes Tool Company (sein Vater patentierte die diamantenbesetzte Bohrspitze), und das damit einhergehende Vermögen erbt und nach Hollywood zieht. Dort beginnt er als 22jähriger die Arbeit an seinem Epos über die Kampfpiloten des Ersten Weltkriegs, "Höllenflieger", dessen Fertigstellung ihn drei Jahre seines Lebens und über drei Millionen seiner Erbschaft kostet; entwirft Flugzeuge, in denen er im Rekordtempo quer durchs Land und um die Welt fliegt; kauft TWA, um Pan Ams Lufthoheit Konkurrenz zu machen; und unternimmt Testflüge in Maschinen, die er für die Airforce entwickelt.

In seiner Freizeit macht er Starlets wie Jean Harlow (enttäuschend: Gwen Stefani), Katherine Hepburn (hervorragend: Cate Blanchett) und Ava Gardner (Kate Beckinsale) den Hof, schlägt sich mit seinen Phobien und seinen Widersachern Louis B. Mayer von Metro Goldwyn Mayer, Pan-Am-Chef Juan Trippe (Alec Baldwin) und Senator Owen Brewster (Alan Alda) herum und steuert schließlich 1947 sein Ungetüm, die "Hercules", auf ihrem Jungfern- und zugleich letztem Flug.

Von dem echten Hughes ist in all den packenden Szenen wenig zu sehen. In ihrem Eifer, einen genialen Visionär mit ein paar harmlosen Schrullen zu porträtieren, unterschlagen Scorsese und sein Drehbuchautor John Logan, wie brutal, rücksichtslos und politisch korrupt die Machenschaften dieses komplexen Charakters oft waren. Aus Hughes' Vorliebe für minderjährige Mädchen etwa wird eine Beziehung mit einem jungen Sternchen (Kelli Garner), die er aushält und ausführt, bis sie aus Eifersucht einen Autounfall baut. Auch über die "Bungalow-Girls", denen er Exklusiv-Verträge mit seinen Produktionsfirmen verschaffte, die er aber in Wirklichkeit nicht für die Leinwand, sondern fürs Bett vorsah, geht der Film großzügig hinweg, während Hughes' zwei Ehen, die in seinen Zeitrahmen fallen, nicht einmal Erwähnung finden.

In einer hochdramatisch-humoristischen Szene entdeckt Gardner, daß Hughes ihr Haus mit Wanzen gespickt hat. Auf ihre empörte Frage, ob er ihre Gespräche abgehört habe, entgegnet er lachend: "Nein, natürlich nicht, ich lese nur die Abschriften." Spielerischer hätte man die Schnüffelei kaum darstellen können, die Hughes routinemäßig praktizierte, um seine Geschäftskonkurrenten zu überwachen und sich Politiker durch Erpressung und Bestechung gefügig zu machen. Hinzu kamen regelmäßige Parteispenden. Wie unantastbar Hughes war, zeigt eine Begebenheit, die Scorsese ebenfalls ungeschehen macht: 1936 raste er den Wiltshire Boulevard entlang und überfuhr dabei einen Fußgänger. Hughes wurde des Totschlags angeklagt, später aber ohne Prozeß freigelassen.

Eine der spektakulärsten Passagen des Films zeigt, wie Hughes mit dem Spionageflugzeug XF-11 beim Testflug über Beverly Hills abstürzt, mehrere Häuser zerstört, aber wundersamerweise nur einen Hund tötet. Was Scorsese dem Zuschauer nicht verrät, ist, daß Hughes sich geweigert hatte, über das gering besiedelte Nevada zu fliegen. Seine alternative Route führte über die MGM-Studios und würde, so hoffte er, "diesen Juden Mayer" zwingen, die Produktion für einen Tag zu unterbrechen.

Wem der Sinn nach historischer Genauigkeit steht, der sollte den Blick einen Moment von DiCaprio abwenden und über Kostüme und Ausstattung schweifen lassen. Mit dem "Höllenflieger"-Set und dem Innern der Hollywood-Kaschemme "Coconut Grove" hauchen Sandy Powell und Dante Ferretti einer ganzen Ära neues Leben ein. Kameramann Robert Richardson wiederum bediente sich des ab 1929 von der Firma Technicolor entwickelten Zwei- bzw. Drei-Streifen-Verfahrens, so daß das Gras zwar blau, der Film aber um so authentischer aussieht.

Herausgekommen ist gelungenes, wenn auch überlanges Popcorn-Kino, das sich in die Vielfalt der literarischen und filmischen Legenden über diesen unheimlichen Heimlichtuer einreihen wird. Aufschluß darüber, wer Howard Hughes wirklich war, gibt auch "Aviator" nicht, dies allerdings auf hohem Unterhaltungsniveau. 

Foto: Howard Hughes (Leonardo DiCaprio): Wer Authentizität will, muß auf Kostüme und Ausstattung gucken


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