© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Kolumne
Widerspruch
Klaus Motschmann

Menschen in schwerer Not haben zu allen Zeiten die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gestellt und nach Erklärungen für den vermeintlichen Widerspruch zwischen Gottes Allmacht und Gottes Ohnmacht angesichts zerstörerischer Gewalten gesucht. Diese sogenannte Theodizee-Frage ist auch nach der Flutkatastrophe in Asien gestellt worden. Es handelt sich um ein zentrales Problem von Theologie und Kirche. Um so überraschender sind die heutigen Antworten auf diese Frage. Sie dokumentieren ein erschreckendes Unverständnis vom Wesen des christlichen Glaubens. Es erklärt sich nicht allein aus dem Prozeß der systematischen Entchristlichung unseres Volkes durch Ideologen aller Art, sondern auch aus der nicht minder systematisch betriebenen Entmythologisierung des Glaubens durch evangelische Theologen. Dazu gehört die Vermittlung eines Gottesverständnisses, das mit dem der Ideologen und nicht weniger Philosophen sehr viel, mit dem der Bibel allerdings nichts zu tun hat. Gott ist demnach ein multireligiöses, metaphysisches Phantom, eine Widerspiegelung menschlicher Sehnsüchte und Erwartungen am Dunsthimmel menschlicher Phantasien, aus dem im Ernstfall keine Antwort kommen kann. Dieser "Märchenbuchliebergott" (Wolfgang Borchert) ist wirklich tot; genauer: er hat nie existiert - außer in der Phantasie von naiven Gemütern oder gewieften Agitatoren, deren Prinzip Täuschung ist, die unweigerlich zu Ent-Täuschungen führen muß - sofern man sie nicht rechtzeitig entlarvt.

Ein erster Schritt dazu wäre die Erinnerung daran, daß der lebendige Gott der Christen sich offenbart, aber auch verbirgt; rettet, aber auch verstößt; vergibt, aber auch richtet; liebt, aber auch straft. Seinen Sohn Jesus Christus hat er durch schweres Leiden geführt und am Kreuz einen qualvollen Tod sterben lassen. "Das Leiden Jesu ist das ungerechteste Leiden der Welt." (Helmut Gollwitzer) In diesem Sinne hat uns Luther im Kleinen Katechismus gelehrt, daß wir Gott fürchten und lieben sollen, und ermahnt, Gottes Gebote zu achten: "Gott dräut zu strafen alle, die diese Gebote übertreten. Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn und nicht wider solche Gebote tun."

Die Flutkatastrophe in Asien sollte Anlaß sein, das bisher gepflegte Gottesbild der Spaßgesellschaft, das sogenannte E-fun-gelium von der gründlich mißverstandenen "Freiheit eines Christenmenschen" zu entlarven. Die bekannten Verdächtigungen und Anwürfe einer fundamentalistischen Gesinnung müssen entschlossen in Kauf genommen werden und sollten nicht davon abhalten, das Notwendige zu tun.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


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