© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

CD: Schlager
Kultfigur
Holger Stürenburg

An der aus Wanne-Eickel stammenden Schlagersängerin Andrea Jürgens scheiden sich die Geister. Für einige sind ihre Lieder, vor allem jene aus ihrer Frühzeit, mit klischeehaften Texten versehen und mit weinerlicher Stimme vorgetragen, ein reiner Greuel. Anderen hingegen gilt die heute 37jährige als "starke, selbstbewußte Frau" (Presseinfo), die ihre Songs "romantisch und provokant zugleich" interpretiert. Die überwiegende Mehrheit der Schlagerfans erkennt an beiden Thesen etwas Wahres und erklärt den Ex-Kinderstar schlichtweg zum Kult, ohne den das schnellebige deutsche Popgeschehen um einiges langweiliger wäre. Grund genug, ihre neueste CD-Produktion "Best of" (White Records/BMG) genauer unter die Lupe zu nehmen.

Seit mehr als 28 Jahren steht die brünette Schönheit auf der Bühne. Sie veröffentlichte zwischen 1978 und 2004 sage und schreibe 64 Singles; zudem erschienen fast zwei Dutzend Alben und Hit-Kompilationen. "Best of" ist beileibe nicht die erste Sammlung ihrer größten Erfolge, die den Weg auf CD gefunden hat, aber vermutlich die umfangreichste und gelungenste, da sie tatsächlich nahezu alles Wichtige aus den vergangenen knapp 30 Jahren Andrea Jürgens beinhaltet und in bester Klangqualität ins Gedächtnis zurückruft. Zudem hören wir drei neue Lieder und einen "Hitmix 2005", in dem fünf ihrer Evergreens verhackstückt wurden.

Zu Silvester 1977 stellte das am 15. Mai 1967 geborene künftige Schlagersternchen in der Fernsehshow "Am laufenden Band" seinen Erstling "Und dabei liebe ich Euch beide" vor, in dem das schüchterne Mädchen in mehr als nur jammervollem Ton die Scheidung ihrer Eltern besang. Das Stück rührte viele so zu Tränen, daß die von Schlagermogul Jack White komponierte Ballade umgehend den ersten Rang der deutschen Hitlisten eroberte. Das Lied legte den Grundstein für eine phänomenale Karriere im deutschen Schlagergeschäft.

Anfang der 1980er Jahre war Andrea Jürgens aus den hiesigen Hitlisten nicht wegzudenken. "Mamma Lorraine" (im englisch gesungenen Original ein Discohit für G. G. Anderson), "Japanese Boy" (die irische Folksängerin Aneka zeichnete für das gleichnamige Original verantwortlich), "Playa Blanca" und "Manuel Goodbye" hießen einige ihrer erfolgreichen Titel. Letztgenannte Lieder hatte White für seine Entdeckung, den "Dallas"-Star Audrey Landers, komponiert. Fortan übertrug Andrea Jürgens viele englische White-Hits ins Deutsche.

Mit Erreichung ihrer Volljährigkeit setzte Produzent White plötzlich auf mondänen Großstadtpop mit Disco-Touch und New-Romantics-Anklängen. Doch "Chinatown ist in New York" (1984) oder "Shy, Shy Sugarman" (1986) blieben hinter den kommerziellen Erwartungen zurück. Seit den ausgehenden Achtzigern war Andrea Jürgens kaum noch in den weitestgehend angloamerikanisch dominierten deutschen Single-Charts vertreten. Sie veröffentlichte zwar Maxi-CDs en masse und auch das eine oder andere Album, dennoch dauerte es bis zum vergangenen Jahr, als ihr mit "Komm laß uns reden" ein erneuter Toperfolg gelang.

Das jetzt vorliegende "Best of"-Album enthält zwar alles Hörens- und Wissenswerte von Andrea Jürgens - 20 Lieder mit einer Gesamtlänge von über 76 Minuten, dazu einen penibel chronologisch geordneten Rückblick auf ihr Schaffen -, zeigt aber auch, daß ihre besten Zeiten viele Jahre zurückliegen. Aus dem kleinen zehnjährigen Mädchen von damals ist nach so manchem Imagewechsel eine Kultfigur auf Schlagerpartys geworden; aus der Masse musikalisch ähnlich auftretender Interpretinnen sticht Andrea Jürgens jedoch nicht mehr hervor.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen