© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Was billig ist, kommt in den Korb
Handelsunternehmen: Nach Deutschland kam die Lidl-Kette auch in Ungarn in negative Schlagzeilen
Alexander Barti

Die Handelskette Lidl geriet letztes Jahr durch ein von der Gewerkschaft Verdi angekündigtes "Schwarzbuch" in die Schlagzeilen. Darin wird dem Konzern vorgeworfen, sehr schlecht mit seinen Mitarbeitern umzugehen. Ziel der Publikation sei es, die in viele kleine Subunternehmen verschachtelte Firma aus dem schwäbischen Neckarsulm zur Offenlegung ihrer Bilanzen zu zwingen, um damit Mitbestimmung zu ermöglichen. Denn nach dem 1976 eingeführten Mitbestimmungsgesetz muß ein Unternehmen mit mehr als 2.000 Arbeitnehmern beispielsweise einen Betriebsrat erlauben.

Doch bei Lidl herrsche "weitverbreitete Angst, überhaupt einen Betriebsrat in Erwägung zu ziehen", so Verdi-Bundesfachgruppenleiter Ulrich Dalibor. Die Mitarbeiter müßten in diesem Fall mit Sanktionen rechnen. Und nach Jahren des Schweigens auf solche und ähnliche Vorwürfe kündigte das Unternehmen im Dezember eine neue Informationspolitik an. Der 65jährige Lidl-Gründer Dieter Schwarz und sein Geschäftsführer Klaus Gehrig seien nun zu einer offeneren Kommunikationspolitik entschlossen, erklärte Hermann Zimmermann, der ab sofort für die Unternehmensgruppe das Wort ergreift.

"Die Politik der Vergangenheit ist nicht mehr zeitgemäß und einem Unternehmen dieser Größe und dieser Bedeutung nicht angemessen", erklärte der Pressesprecher. Man wolle daher im Frühjahr 2005 erstmals überhaupt ein Pressegespräch veranstalten. Bei der Ankündigung wurden auch erstmals Zahlen auf den Tisch gelegt: "Wir haben innerhalb von drei Jahren den Umsatz um 44 Prozent gesteigert und rechnen für 2004 mit einem Umsatz von 36 Milliarden Euro", sagte Zimmermann.

Zur Schwarz-Gruppe (Kaufland Stiftung, Lidl Stiftung & Co.) gehören neben fast 2.500 Lidl-Märkten unter anderem noch über 450 Märkte und SB-Warenhäuser der Marken Kaufland, Kaufmarkt, Handelshof, Concord, Ruef C+C-Großhandelsmärkte. Insgesamt beschäftigt die Gruppe 151.000 Mitarbeiter in 19 Ländern. Etwa zeitgleich mit dem Schritt an die Öffentlichkeit in Deutschland konnte Lidl eine weitere Expansion im Osten verbuchen. In Ungarn eröffnete man im Dezember auf einen Schlag zehn Läden. Einzig die Errichtung eines riesigen 30.000 Quadratmeter umfassenden Logistikzentrums in Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) ließ die Konkurrenz schon Monate vorher erahnen, daß ein "großes Ding" im Anmarsch ist.

Was das bedeutet, konnte man in der Tschechei ausgiebig studieren, wo 2004 ebenfalls 14 Läden eröffnet wurden. Die Lebensmittelpreisen gerieten in eine Abwärtsspirale und hatten sogar eine positive Auswirkung auf die Inflationsrate. Was gut ist für den Verbraucher, ist aber nicht immer gut für den Mitbewerber. Seit 2000 gibt es in Budapest eine eingetragene Lidl Holding kft. mit einem Grundkapital von drei Millionen Forint (12.000 Euro). Eigentümer und Geschäftsführer sind Károly Tóth und Walter Johann Fleps. Nach Angaben des Firmenregisters beschäftigt sich das Unternehmen mit Vermögensverwaltung und Softwareentwicklung und hat 83 Mitarbeiter. Soweit der Papierkram.

Der Marktauftritt der deutschen Ladenkette in Pannonien geriet nicht zu einem ungetrübten Freudenfest. Einige Märkte, wie etwa die in den Städtchen Gyula oder Kalocsa, wurden von aufgebrachten Arbeitern blockiert. Der Vorwurf: Lidl habe Rechnungen nicht bezahlt. Antal Bandrus, technische Direktor der Inter-Plan GmbH mit Sitz in Gyula, hat als Subunternehmer das Fundament des Supermarktes errichtet. Nach seinen Angaben schuldet Lidl allein seiner Firma noch 65 Millionen Forint (ca. 250.000 Euro). In Kalocsa werden ähnliche Vorwürfe laut.

Dort soll Lidl angeblich mit rund 100 Millionen Forint in der Kreide stehen. Die aufgebrachte Stimmung, die zusätzlich durch das auch in ungarischen Medien ausführlich kommentierte "Schwarzbuch" angeheizt wurde, nutzen auch Kleinhandelsketten und Interessenorganisationen für sich. Hier lautet der Vorwurf, Lidl verkaufe seine Ware zu Dumpingpreisen, was auch in Ungarn gesetzlich verboten ist. Um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen, verteilten Gemüsehändler ihre Produkte vor dem Lidl-Markt in Harast (Dunaharaszti) bei Budapest kostenlos an die Kunden.

Auch der Verband der Ungarischen Bierhersteller empörte sich über den Preis von 49 Forint (20 Cent) für eine Büchse Gerstensaft und rief umgehend nach der Wettbewerbsbehörde. Noch ganz der alten "Offenheit" verpflichtet, äußerte sich Lidl-Geschäftsführer Felps nicht zu den Vorwürfen. Über ein Fax ließ er allerdings wissen, daß man nur mit Generalunternehmern Verträge geschlossen habe. Es bestünden daher keinerlei Verpflichtungen in Richtung Subunternehmer, die allein von den Generalunternehmern ausgesucht worden seien.

Tatsächlich gibt es klare Hinweise auf Unregelmäßigkeiten zwischen den ungarischen Baufirmen. So habe beispielsweise in Kalocsa die Bogi 95 GmbH den Auftrag bekommen, den Supermarkt fertigzustellen. Doch die Firma, die laut Vertrag den Bau vorfinanzieren sollte, war finanziell viel zu schwach aufgestellt und konnte daher weder die Subunternehmer bezahlen noch den Markt fertigstellen. Lidl mußte sich daher einen neuen Generalunternehmer suchen.

Ganz ähnlich soll es auch in anderen Städten gelaufen sein, das heißt die Verantwortung trifft nicht Lidl, sondern die ungarischen Baufirmen, die - bewußt oder unbewußt - einen Auftrag angenommen haben, der ihre Kapazitäten überschritt. Die Aufregung ist nun groß, aber Lidl kann sich nicht nur juristisch auf der sicheren Seite wähnen. Das mit Abstand wichtigste Kaufkriterium - nicht nur in Ungarn - ist der Preis. Was billig ist, kommt in den ungarischen Einkaufswagen - alles andere ist etwas für den "vollgefressenen Westen". Denn nur fette Bäuche reden von Moral.


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