© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Die korrumpierte Klasse
Nebentätigkeiten und Ämterhäufung bringen das gesamte politische System in Verruf
Ronald Gläser

Wie käuflich sind unsere Politiker? Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 48, daß Bundestagsabgeordnete einen "Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung" haben. Dies sind zur Zeit 7.009 Euro - ein Betrag, von dem eine Großfamilie spielend ernährt werden kann. Dazu kommt die Kostenpauschale in Höhe von 3.551 Euro monatlich. Auf der Internetseite des Deutschen Bundestages findet sich dazu eine zu Tränen rührende Erklärung: "Weil ein 'MdB' auch im Wahlkreis keinen Arbeitgeber hat (der ein Büro stellt, Reisekosten abdeckt und Kilometergeld bezahlt) und weil eine Einzelabrechnung aufwendiger wäre, gibt es die Kostenpauschale. (...) In vielen Fällen reicht die Pauschale nicht aus."

Wohl aus diesem Grund suchen sich Abgeordnete vermehrt Nebenjobs. Seit Wochen fliegen fast täglich neue Beschäftigungsverhältnisse auf, für die unsere Volksvertreter offenbar Zeit und Muße haben. So sorgte in der vergangenen Woche die Tatsache für Schlagzeilen, daß die Merkel-Vertraute Hildegard Müller (CDU) nebenher bei der Dresdner Bank, dem drittgrößten deutschen Kredithaus, arbeitet. Sie übe eine wichtige Sonderaufgabe im Bereich "Cultural Affairs" aus, sagt Müller über ihre Tätigkeit. Was macht die heute 37jährige genau? Sie ist neben dem Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche mit der Aufarbeitung der Geschichte der Bank während der NS-Zeit befaßt. Über das Gehalt schweigen sie und die Bank. Zusätzlich hat sie noch eine ganze Reihe weiterer Posten in Vorständen, Bei- und Aufsichtsräten inne, von denen nur einige ehrenamtlicher Natur sind.

Als die ganze Sache ruchbar wurde, meldete sich die frühere JU-Bundesvorsitzende mit einer rechtfertigenden Erklärung zu Wort. Darin heißt es: "Die Ausübung meines Mandates leidet nicht unter diesen Tätigkeiten. Es besteht kein Interessenkonflikt. Ich halte es zudem für wichtig und richtig, daß Abgeordnete den Kontakt zum Arbeits- und Wirtschaftsleben halten, solange den Vergütungen auch entsprechende Arbeitsleistungen gegenüberstehen."

Mit dem letzten Punkt hat Hildegard Müller vielleicht recht. Der Öffentlichkeit ist es jedoch unmöglich nachzuprüfen, ob sie ihren Job auch ausübt oder nur ihre Zeit absitzt oder nicht einmal das.

Niemand wird dem CDU-Abgeordneten Hubert Deittert vorwerfen, seinen Bauernhof nebenbei betreut zu haben. Oder den FDP-Abgeordneten Otto Fricke rügen, weil er seine Anwaltskanzlei beim Einzug in den Bundestag nicht geschlossen hat. Bei den Genossen gibt es den Abgeordneten Karl-Herrmann Haack, der als selbständiger Apotheker tätig ist. Solche Abgeordneten hatte Guido Westerwelle im Blick, als er auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen davor warnte, Abgeordneten jegliche Nebentätigkeit verbieten zu wollen.

Aber Selbständige und Freiberufler sind rar gesät unter den 601 Bundestagsabgeordneten. Die meisten sind Beamte und Angestellte oder stehen auf den Gehaltslisten großer Konzerne wie eben der Dresdner Bank, die auch den Bundestagsabgeordneten Daniel Bahr (FDP) sowie drei Landtagsabgeordnete beschäftigt.

Keine Partei ist frei von Doppelverdienern: Der CSU-Abgeordnete Herbert Frankenhauser steht auf der Gehaltsliste von Daimler-Chrysler. Sein CDU-Fraktionskollege Ulrich Petzold arbeitet nach wie vor bei der Dekra. Rainer Funke von der FDP ist Prokurist bei M. M. Warburg. Der Sozialdemokrat Wilfried Schreck ist gleichzeitig freigestellter Betriebsrat beim Stromriesen Vattenfall. Sie alle bilden als abhängig Beschäftigte eher die Ausnahme unter den Abgeordneten. Das doppelte Abkassieren läuft eigentlich anders. Viele Abgeordnete gehen nicht nur einer Nebenbei-Beschäftigung nach. Sie sitzen vielmehr in unzähligen Aufsichts- und Verwaltungsräten von Unternehmen, bei denen kein großer Arbeitsaufwand, aber um so größere Vergütungen anfallen. Viele Berufspolitiker kommen überhaupt erst durch ihr Mandat dazu, Aufsichtsratmandate zu sammeln wie andere Briefmarken. Daß sie frühestens dann ihre aufgehaltene Hand zurückziehen, wenn die Medien dahinterkommen und darüber berichten, wirft ein bezeichnendes Licht auf diese Zunft.

Abgesehen von dem möglichen Interessenkonflikt, der schwer nachzuweisen ist, stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Arbeitspensum. Der einzige direkt gewählte Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sagt, er habe gar keine Zeit, einer anderen Tätigkeit nachzugehen als der des Abgeordneten.

Wie also bewältigt eine Frau wie Hildegard Müller dann die Mehrfachbelastung, die die angeblich 16 bis 20 Stunden Arbeit pro Woche bei der Dresdner Bank darstellen? Vor allem angesichts der Tatsache, daß sie noch in einem Dutzend weiterer Vereine mitarbeitet?

Auch darüber erteilt die Internetseite des Deutschen Bundestages Auskunft. Es klingt schon zynisch, wenn es da heißt: "Kein Abgeordneter kann die ihm obliegenden Mandatsaufgaben alleine bewältigen. Ohne die Hilfe von qualifizierten Mitarbeitern kommt er nicht aus." Dafür stehen dem Abgeordneten monatlich bis zu 9.910 Euro zur Verfügung. Diese Summe erhält er allerdings nicht selbst. Vielmehr bezahlt die Bundestagsverwaltung daraus direkt die von den Abgeordneten eingestellten Mitarbeiter.

In die politische Praxis übersetzt bedeutet das: Damit die Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach (FDP) bis Ende 2004 ihrer Nebentätigkeit als Übersetzerin für Siemens (60.000 Euro pro Jahr) nachgehen konnte, zahlten die Steuerzahler ihre Assistenten, die dann Flachs Arbeit verrichteten.

Inzwischen ruht dieses Arbeitsverhältnis, die Zahlungen sind eingestellt. Ebenso beendet sind die Transfers an die Sozialdemokraten Ingolf Viereck, der obendrein noch Bürgermeister von Wolfsburg ist, und Hans-Herrmann Wendhausen. Die beiden Landtagsabgeordneten aus Niedersachsen erhielten von Volkswagen 3.000 Euro monatlich; eine Gegenleistung in Form von Arbeit scheint es nicht gegeben zu haben. Die nächste Tarifverhandlung bei VW dürfte sehr lustig werden, wenn der Arbeitgeber wieder die Arbeitszeit ausdehnen oder das Weihnachtsgeld kürzen will und das alles mit "zu hohen Lohnkosten" begründet.

Bis Ende Januar will Volkswagen nun alle Mitarbeiter überprüft haben und bekanntgeben, wie viele Mandatsträger bei dem Konzern beschäftigt sind. Die Rede war bereits von bis zu hundert Personen! Bei der Allianz läuft eine ähnliche Durchsicht aller Gehaltslisten. Man darf gespannt sein, was dann noch alles an Tageslicht kommt. Eins kann jetzt schon als gesicherte Erkenntnis gelten: Macht korrumpiert. Immer.


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