© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Pankraz,
Einstein und das Jahr der Kleinstkredite

Zum "Jahr der Kleinstkredite" haben die Vereinten Nationen 2005 ausgerufen. Das ist originell und klingt wirklich menschenfreundlich. Die indische Bäuerin, der ihre Ziege eingegangen ist, soll einen Minikredit erhalten, damit sie sich ein neues Tier kaufen kann. Der usbekische Korbflechter am Straßenrand in Samarkand soll einen Minikredit erhalten, um ihm bei der Überwindung von Engpässen bei der Materialbeschaffung zu helfen. Der Indio-Bauer in Brasilien mit einem winzigen, zauseligen Gartengrundstück hinter seiner Hütte soll einen Minikredit erhalten, weil er sich eine benachbarte Grasnarbe hinzupachten will. Undsoweiter undsofort.

Pointe des Kleinstkreditjahrs ist, daß es zunächst einmal darauf ankommt, Minifinanz-Institute (MFI) zu schaffen, damit die Minifinanzierung in Gang kommen kann. Denn herkömmliche Banken, haben die UN-Kommissare schnell herausgefunden, lassen sich nie und nimmer auf derart kümmerliche Geschäfte ein. Für sie sind ja in vielen Ländern schon ihre langjährigen, halbwegs betuchten Privatkunden lästig geworden, jene Handwerker und anderen Mittelständler, deren Investitionen überheblich als "Peanuts" abgetan werden. Es herrscht im modernen Bankgewerbe unvermindert ein Zug zum Großen und Spekulativen, der sich nicht die Bohne um die Milchziege einer indischen Bäuerin schert.

Nun hofft man, daß viele Aktivisten der sogenannten Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) auf Minifinanzierer umsatteln. Als Anreiz wird ihnen vor die Nase gehalten, daß sie durchaus ansehnliche Zinsen fordern dürften. Das Jahr der globalen Kleinstkredite soll alles andere als eine verdeckte Geschenkaktion für Kreditnehmer aus der Dritten Welt werden, im Gegenteil, man erwartet von der Aktion, neben der Verbesserung der Lebensverhältnisse, eine ausgesprochen erzieherische und humanisierende Wirkung.

Kleinstkreditnehmer rund um den Globus sollen aus dem Stand des Almosenempfängers in den Stand eines geachteten Teilnehmers am internationalen Geschäftsleben aufsteigen. Sie sollen lernen, daß von nichts nichts kommt, daß man aber, wenn man regelmäßig Zinsen bedient oder den Kredit pünktlich zurückzahlt, in der bürgerlichen Achtung schnell aufsteigt, für neue Projekte weitere Kredite bekommt und schließlich auch einmal richtig große Schulden machen darf, ohne gleich in den Schuldturm abgeführt zu werden.

UN-Enthusiasten schwärmen von einem "Durchbruch zur Zivilgesellschaft" auf breitester Front. Es gebe ja bereits überall auf der Welt Kreditwesen im Miniformat, dörfliche und kleinstädtische Geldverleiher zuhauf, nur seien das allzu oft dubiose, schmierige Figuren, Blutsauger des kleinen Mannes. Und sie unterhielten zum eventuellen Geldeintreiben brutale Rollkommandos, die den Zahlungsunfähigen oder -unwilligen Gewalt antun und sie krankenhausreif schlagen. Dem könne durch ein erfolgreiches Jahr der Kleinstkredite endlich ein Riegel vorgeschoben werden.

Schnapsidee, ist Pankraz versucht zu sagen, irgendwo in New York am grünen Tisch ausgedacht. Wo gibt es denn so was, weltweite Vereinheitlichung und Humanisierung des Kleinstkreditwesens? Das Ganze riecht nach Superbürokratie und nach Jobbeschaffung für geldklamme NGO-Mitglieder, die bisher zögerten, den Sprung ins kalte Wasser des freien Geldverleihs zu wagen und auf eigene Faust Shylock oder Père Goriot zu spielen. Als Abgesandter der UN, soll ihnen beigebracht werden, ließe sich viel gefahrloser operieren - und wohl nicht minder einträglich.

Das Kleinstkreditwesen selbst freilich wird Schaden erleiden. Denn bis die neuen MFI-Funktionäre sich in die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten eingearbeitet und die üblichen Korruptionsbräuche begriffen haben, wird viel Wasser den Ganges oder den Amazonas hinuntergeflossen, Korruption und Gewalt werden unterdessen gestiegen sein. Ein Großteil des Kleinstkreditverleihs entzieht sich ohnehin jeglicher Öffentlichkeit und jeglicher Kontrollmöglichkeit. Er beruht auf Verabredungen zwischen Clan-Mitgliedern und setzt allerelastischste, von Fall zu Fall wechselnde Konditionen voraus. Es wirkt geradezu irre, hier mit dem Rasenmäher der UN-Gleichmacherei darübergehen zu wollen.

Immerhin hat sich die UN einige Hintertürchen offengehalten. Außer "Jahr der Kleinstkredite" ist 2005 auch noch "Jahr des Sports" sowie "Jahr der Physik", letzteres in Erinnerung an Einsteins spezielle Relativitätstheorie, die 1905 zum ersten Mal formuliert wurde. Wenn es also mit den Kleinstkrediten schiefgeht, kann man immer noch mit Spitzensport und Albert Einstein prunken.

Reizvoll wäre eine geistige und institutionelle Verknüpfung der drei Jahresprojekte. Erfolgssportler, gewohnt an Hundertstel-Bruchteile von Sekunden, Zentimetern und Grammen, könnten sich als Verleiher von Kleinstkrediten zur Verfügung stellen, um die Stellen hinter dem Komma genau zu berechnen. Auch könnten sie der indischen Bäuerin, dem usbekischen Korbflechter und dem Indio-Gärtner vom Amazonas wichtige Tips vermitteln, wie man sich durch allerlei Medikamente optimal aufputscht, um die Erwartungen von Geldgebern zu erfüllen.

Von den Physikern könnten die Kleinstkreditnehmer lernen, daß alles in der Welt relativ ist, daß man unter Umständen mit einem Kleinstkredit aus der Hand einer MFI das Ansehen der großen weiten Welt gewinnt, das Ansehen der eigenen Familienmitglieder hingegen verliert und am Ende schlechter dasteht als zuvor. Masse und Energie stehen laut Einstein in einem Verhältnis der Äquivalenz, der Gleichwertigkeit, d.h. der Kleinstheit einer Kreditmasse entspricht notwendig die Kleinstheit von Energieleistung. Mit anderen Worten: Kleinstkredite lohnen sich nicht, auch nicht im Jahr 2005.


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