© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Herausforderungen für Europa
Außenpolitik 2005: Krieg im Irak wird trotz Wahlen weitergehen / Iran und dessen Atompotential im Visier der USA / Nach Türkei- nun Ukraine-Frage für die EU
Alexander Griesbach

Anfang Dezember 2004, als noch niemand etwas von der verheerenden Flut im Indischen Ozean ahnte, sprach Belgiens Ministerpräsident Guy Verhofstadt von einer "begeisternden Zeit der Herausforderungen für Europa". Hiermit waren insbesondere die in nächster Zeit anstehende Verabschiedung der EU-Verfassung, die Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Weichenstellung für eine wirkliche Außen- und Sicherheitspolitik, die Verabschiedung des "Haager Programms" ("Schengen III") als Grundlage für eine gemeinsame EU-Justiz-, Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die Fortschreibung der Klimakonvention nach dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls gemeint.

Als Dauerthema werden wohl auch 2005 die Details des EU-Beitrittes der Türkei hinzukommen. Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan hat sich inzwischen auf unverhohlene Drohungen in Richtung EU verlegt. Bei der Eröffnung des ersten Museums für moderne Kunst in Istanbul (in dem selbstverständlich nur die Arbeiten von türkischen Künstlern gezeigt werden) erklärte Erdogan: Falls die EU eine Mitgliedschaft der Türkei ablehne, könnte die Gewalt islamischer Terroristen eskalieren. Wenn die EU zu dem Ergebnis komme, daß sie besser ein christlicher Club bleibe, fügte der "gemäßigte" Islamist Erdogan hinzu, dann könnte die Türkei nichts tun. Falls die Staaten der EU ihre Brücken zum Rest der Welt abbrechen sollten, werde ihnen die Geschichte nicht vergeben.

EU-Beitritt der Türkei bleibt in der Diskussion

Diese Worte würden jeden anderen Staat als EU-Mitglied diskreditieren - nicht so die Türkei. Nur die Zypern-Frage könnte in dieser Frage wohl noch eine Wende bringen. Die griechischen Zyprioten drohen damit, ihr Veto gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei einzulegen. Diese weigert sich nach wie vor, Zypern völkerrechtlich als eigenständigen Staat anzuerkennen.

Ein weiterer Fokus richtet sich auf die am 30. Januar 2005 anstehenden Wahlen im Irak. Der genaue Termin hat die Debatte darüber, wie legitim die Wahlen zu diesem Zeitpunkt sind, angeheizt. Die irakische Übergangsregierung hält dessenungeachtet am festgesetzten Termin fest; unterstützt wird sie dabei von den USA und schiitischen Führern wie Großayatollah Ali al-Sistani. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge hätte der irakische Ministerpräsident und US-Günstling Ijad Allawi wohl kaum Aussichten, seinen Posten als Regierungschef zu behalten. Sunniten wie Kurden beklagen den Wahlmodus, welcher der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Land erhebliche Vorteile einräumt, da er regionale Unterschiede nicht berücksichtige.

Laut Hussein Hindaui, dem Vorsitzenden der neunköpfigen Unabhängigen irakischen Wahlkommission, erwartet man etwa 220 Parteien bzw. Personen auf der Kandidatenliste. Eine Besonderheit des Wahlgesetzes besteht darin, daß jeder dritte Kandidat eine Frau sein muß. Ausgeschlossen von der Wahl sind Mitglieder der Baath-Partei, die bis zum Ende Mitglieder der Regierung von Saddam Hussein waren, Kandidaten, welche der Korruption überführt wurden, sowie Parteien, die "direkt oder indirekt" von einer Miliz "finanziert" werden oder mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung stehen. Keine Frage: Der Ausgang dieser Wahl wird die weitere Entwicklung in dieser gefährlichen Krisenregion erheblich beeinflussen.

Im Hinblick auf den Iran wird 2005 mit massiven Aktivitäten der Regierung Bush zu rechnen sein. US-Medien berichteten von Plänen des Weißen Hauses und des Verteidigungsministeriums, die öffentliche Kritik an der Menschenrechtssituation im Iran zu steigern - um so auch die Europäer und die Medien zu sensibilisieren. Gleichzeitig sollen iranische Oppositionelle im Exil mehr Unterstützung erhalten. Der Iran (und dessen Streben nach Nuklearwaffen) wachse, so der Tenor der Berichte, zu einem der wichtigsten Aspekte in der US-Außenpolitik heran.

Von großer Bedeutung dürften auch die weiteren Entwicklungen in der Ukraine sein, die zu einer neuen Eiszeit zwischen den USA und Rußland führen könnten. Während die Regierung Bush die Wiederholung der Präsidentenwahl in der Ukraine als "Sieg für das ukrainische Volk" feierte, wurde die Entscheidung des Obersten Gerichtes, die Wahlen für ungültig zu erklären, in Moskau heftig kritisiert. Der kreml-nahe Politologe Sergej Markow sprach beispielsweise von einer faktischen Machtübernahme durch Oppositionsführer Viktor Juschtschenko.

Der russische Präsident Wladimir Putin kritisierte bei seinem Besuch in Indien vor Weihnachten die USA ungewöhnlich scharf: "Eine Diktatur (womit Putin die Außenpolitik der USA meinte, d. V.) hat noch niemals in der Geschichte der Menschheit und wird auch niemals solche Probleme lösen, schon gar nicht eine Diktatur in den internationalen Beziehungen." Es helfe auch nicht, "wenn die Diktatur in schöne pseudodemokratische Phrasen gehüllt" werde, unterstrich Putin - der selbst allerdings auch nur eine "gelenkte Demokratie" in Rußland führt.

Der Kreml-Chef hatte allen Grund für seine unmißverständlichen Äußerungen. Der von den USA (und inoffiziell auch von der EU) präferierte Kandidat Juschtschenko, ist aus der Präsidentenwahl am 26. Dezember als Sieger hervorgegangen. Putin hatte sich bei der ursprünglichen, im Dezember annullierten Wahl demonstrativ hinter den rußlandfreundlichen Regierungskandidaten Viktor Janukowitsch gestellt und diesem zum Sieg gratuliert.

Entwicklung in Ukraine verärgert Rußland

Die USA und die EU ergriffen postwendend die Partei von Juschtschenko und unterstützten diesen in der Folge sowohl propagandistisch als auch finanziell. Der diplomatische Druck des Westens führte schließlich mit dazu, daß Präsident Leonid Kutschma sich von Janukowitsch distanzierte und den Forderungen der "orangenen" Opposition nachgab. Diese Entwicklung ist aus russischer Sicht ein außenpolitischer Super-GAU. Mehr und mehr nehmen die USA Einfluß auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion - Moskaus "nahem Ausland".

Nach dem Muster Georgiens 2003 erfolgt jetzt auch in der Ukraine die Installation einer US-freundlichen Regierung - mit erheblichen Konsequenzen für Rußland. Die Ukraine war immerhin eine der wichtigsten Industrieregionen der ehemaligen Sowjetunion. Schlimmer noch: Mit seinem Einfluß auf die Ukraine droht Rußland möglicherweise die Kontrolle über die wichtigsten Exportwege für Erdöl und Erdgas zu verlieren. Und nicht zuletzt liegt Sewastopol, der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, in der Ukraine. Der Zugang zum Schwarzen Meer und damit auch zum Mittelmeer könnte durch die Regierungsübernahme von Juschtschenko zumindest beeinträchtigt werden. Seine Großmachtambitionen könnte Rußland in einem derartigen Fall begraben.

Daß Rußland dieser von den USA und der EU forcierten Entwicklung tatenlos zusehen wird, kann nicht erwartet werden. Nur am Rande sei darauf verwiesen, daß der von westlichen Medien als Musterdemokrat gefeierte Juschtschenko sowie die prominente Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko ebenso der neureichen Elite angehören wie Kutschma und Janukowitsch, die sich in Wendezeiten auf Kosten der Bevölkerung bereicherte.

Vielen Ukrainern wird wohl noch ein böses Erwachen bevorstehen, wenn Juschtschenko mit seinem liberalen Wirtschaftsprogramm ernst macht - und aus den USA und der EU mehr schöne Worte als konkrete Investitionen kommen. Auch der von ihm und der Mehrheit der Ukrainer angestrebte EU-Beitritt wird in Brüssel als unrealistisch angesehen - die Türkei ist schließlich schon Herkulesaufgabe genug.

Neuwahlen in Portugal, London bleibt US-"Pudel"

Neuwahlen stehen für den 20. Februar 2005 auch in Portugal an, wo der sozialistische Staatspräsident Jorge Sampaio das Parlament aufgelöst hat. José Manuel Durão Barroso, mit dem erstmals in der Geschichte der EU ein amtierender Regierungschef zum EU-Präsidenten ernannt wurde, hat sich augenscheinlich rechtzeitig (angesichts der haushoch verlorenen Europawahl) in Richtung Brüssel verabschiedet.

Dessen Nachfolger im Amt, der ehemalige Bürgermeister von Lissabon, Pedro Santana Lopes, stürzte die bürgerlich-konservative Regierungskoalition endgültig in eine ernsthafte Krise. Der Eindruck, daß Barroso ein politisch und wirtschaftlich angeschlagenes Land zurückgelassen hat, trügt wohl nicht. Diese Bilanz qualifiziert Barroso aber offensichtlich allemal für seine Funktion als Kommissar der Kommissare in Brüssel. Sollten nun die portugiesischen Sozialisten zusammen mit anderen Linksgruppen die Wahlen gewinnen, könnte Bush' Irak-"Koalition der Willigen" nach Spanien und Ungarn einen weiteren Partner verlieren.

Das wird in Großbritannien nicht passieren. Selbst wenn Tony Blair wider Erwarten die Unterhauswahl verlieren sollte - die Tories würden das Königreich eher noch enger an Washington binden. Doch die Konservativen unter ihrem Parteichef Michael Howard haben trotz diverser Labour-Skandale kaum Chancen auf eine Regierungsübernahme. Auch für den eher theoretischen Fall, daß die Irakkrieg-skeptischen Liberaldemokraten erstmals bei der Regierungsbildung ein Rolle sollten, dürfte es keine grundlegende Kursänderung geben - die "Libdems" vertreten eine Minderheitenposition. Und potentielle Partner wie die Grünen haben durch das fragwürdige reine Mehrheitswahlrecht keinerlei Chance, auch nur einen Sitz im Unterhaus zu erhalten. Die USA werden daher wohl weitere vier Jahre einen willigen "Pudel" (so nennen britische Kolumnisten Blair) in Europa haben.


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