© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Bloß nicht auf die Probleme schauen
Einwanderung: Eine Studie des Familienministeriums über junge Ausländerinnen kommt zu überraschenden Ergebnissen
Kurt Zach

Die gute Nachricht zuerst: Es gibt mehrere hundert Mädchen und junge Frauen "mit Migrationshintergrund", die sich nicht unterdrückt fühlen, mit dem Leben zufrieden sind und voller Ehrgeiz an ihrem Bildungsaufstieg arbeiten. Die Professorinnen und "Migrationsforscherinnen" Ursula Boos-Nünning von der Universität Duisburg/Essen und Yasemin Karakasoglu von der Universität Bremen haben sie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ausfindig gemacht und ausführlich befragt.

Herausgekommen ist die Studie "Viele Welten leben - Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem, türkischem und Aussiedler­hinter-grund", die als Forschungsbericht vom Haus der Familienministerin Renate Schmidt (SPD) veröffentlicht worden ist. Sie wurde von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Marieluise Beck (Grüne), mit derart schlecht getarntem "Ich hab's immer schon gesagt"-Triumphalismus vorgetragen, daß man sich schon zusammenreißen muß, um nicht an ein bezahltes Gefälligkeitsgutachten zu denken.

Zweifel an den Ergebnissen der Studie sind angebracht

Die weniger gute, aber auch kaum überraschende Nachricht: Zweifel, ob die optimistisch gefärbten Ergebnisse dieser Studie repräsentativ sein können, sind durchaus angebracht. Sie ergeben sich schon aus der Methodik: Das Ziel, möglichst viele der 950 Interviewpartnerinnen durch Stichproben aus den Meldedaten der Einwohnerämter zu gewinnen, scheiterte an der hohen "Nichterreichbarkeit" beziehungsweise Teilnahmeverweigerung der Anvisierten. Also griff man bei mehr als einem Drittel auf das "Schneeballsystem" zurück: Weiterempfehlung, in der Regel durch Institutionen.

Man erreicht also von vornherein vor allem diejenigen, die von ihren Familien nicht rigoros von der Außenwelt abgeriegelt werden und die bereit sind, auch mal über den Tellerrand zu schauen. Und die bestätigen dann, was man gerne hören möchte: daß sie eng mit Familie und Religion verbunden sind und Wert auf Tradition legen, aber sich nicht bevormundet fühlen, daß sie Bildung, Beruf und gute Sprachkenntnisse anstreben und ihre Zukunft in Deutschland planen. Das ist in Anbetracht der Auswahl der Befragten nicht so überraschend, wie Beck es interpretiert.

Die Behauptung, das "Klischee" von "Kinder, Kopftuch, Koran" als Werthorizont junger türkischer Frauen in Deutschland sei damit widerlegt, ist freilich gewagt. Denn die rund zehntausend oft minderjährigen frommen Bräute, die Jahr für Jahr aus anatolischen Dörfern importiert werden, weil hier aufgewachsene und mit westlichen Vorstellungen infizierte Mädchen wie die in der Studie befragten nicht gut genug sind für traditionsbewußte türkische Schwiegereltern, hat ja keiner gefragt in einer Untersuchung über unverheiratete, hier lebende und häufig eingebürgerte junge Frauen. Nur zwölf Prozent der befragten rund 200 Türkinnen tragen ein Kopftuch, nur elf Prozent finden von den Eltern arrangierte Hochzeiten gut. Man wüßte gerne, wie das Verhältnis bei den jungen Frauen und Mädchen aussieht, an die die Befrager gar nicht erst herangekommen sind.

"Die falschen Frauen" stünden "im Mittelpunkt der Medien", beklagte Autorin Boos-Nünning bei der Vorstellung der Studie. Zwar gebe es auch "Migrantinnen", die sich unterdrückt fühlten; aber diese seien nicht in der Mehrheit. Eine starke Minderheit im Millionenheer der Einwanderer ist freilich schon beunruhigend genug. Aber Boos-Nünning zieht es vor, ähnlich wie ihre Auftraggeberin zu argumentieren, die nimmermüd verkündet, man solle doch nicht so auf das Negative und die Probleme schauen, sondern lieber auf die vielen Beispiele von "gelungener Integration". Da stellt man dann sogar den Ehrgeiz der Einwandererkinder als Vorbild für die Einheimischen hin und verlangt noch bessere Förderung durch noch mehr Bildungsangebote. Als wäre es nicht eine Selbstverständlichkeit, daß Einwanderer die ihnen gegebene Chance nutzen und sich hocharbeiten, statt nur die Hand aufzuhalten und auf das Gastland zu schimpfen.

Aber auch die Aussagen der hier befragten, vergleichsweise offenen und gesprächsbereiten Einwanderertöchter sind beunruhigend aufschlußreich. "Ein erheblicher Teil der Mädchen und jungen Frauen lebt im Zuwanderer- oder ethnischen Wohnumfeld, hat in der Freizeit wenig oder keine Kontakte zu deutschen Gleichaltrigen und verkehrt in einem inneren Kreis von Personen der eigenen Ethnie (...). Aber auch in der Selbstdefinition (Ethnizität) ist ein erheblicher Teil auf die Herkunftsgruppe und nur sehr wenige auf 'das Deutsche' oder die Deutschen ausgerichtet", heißt es in der Zusammenfassung. Eheschließungen mit Deutschen kämen für die meisten gar nicht in Betracht. Rassismusverdacht kommt bei solchen Einstellungen selbstverständlich nicht auf, vielmehr litten ja die Befragten selbst oft unter "rassistischer Diskriminierung", worunter kurioserweise auch ein "Verbot der Benutzung der Herkunftssprache in der Schule" gerechnet wird. Bis zu 30 Prozent der Mädchen und jungen Frauen in den Großstädten hätten "Migrationshintergrund"; mindestens ein Teil von ihnen werde sich "mittelfristig nicht an die Orientierungen der Mehrheitskultur anpassen".

Eine verbindliche Leitkultur fordern die Autoren nicht

Die Konsequenz daraus ist für Becks Professorinnen keineswegs der Appell an die Politik, eine verbindliche Leitkultur durchzusetzen. Vielmehr entspricht ihre Schlußfolgerung der üblichen "multikulturellen" Kapitulation vor den Fakten: "Die Entwicklung ist fortgeschritten; anstatt sie als 'Parallelgesellschaft' zu diffamieren oder als 'ethnisches Getto' zu beklagen, sollten Ansatzpunkte gefunden werden, das ethnische Umfeld mit dem deutschen zu verzahnen."

Dazu bedürfe es nicht zuletzt zusätzlicher Beratungs- und Betreuungsangebote, mit denen sich viele Soziologen beschäftigen lassen und bei deren Umsetzung darauf zu achten wäre, daß "der Faktor 'Ethnizität' den von den Beteiligten gewünschten Stellenwert erhält". Wer sich wünscht, daß dieser "Faktor" auch im Umgang mit der deutschen Noch-Mehrheitsbevölkerung einen höheren Stellenwert bekäme, oder sich fragt, wie die Erfahrungen gleichaltriger deutscher Mädchen mit Migranten-Machos aussehen und welche fürsorglichen steuerfinanzierten Projekte zu ihrer Unterstützung geplant sind, stellt die falschen Fragen.

Geschickt versuchen die Autoren, aus dem Multikulturalismus und seinem absehbaren Scheitern noch Kapital für die eigene Klientel zu schlagen. Die Studie empfiehlt, "Jugendliche mit Migrationshintergrund müßten in allen Jugenduntersuchungen, die in Deutschland durchgeführt werden, (...) mit ihrer Zuwanderungssituation angemessenen Methoden berücksichtigt werden." Und dazu bräuchte man erst einmal jede Menge weitere Studien: zu Pubertät und Verhütung, Rollenverständnis und Gesellschaftsbild, immer schön nicht nur nach Geschlechtern, sondern auch nach Einwanderergruppen differenziert. Mit dem Ziel, folgt man Boos-Nünning und Karakasoglu, "daß neben dem Prinzip des Gender Mainstreaming auch das Prinzip des Cultural Mainstreaming anerkannt und etabliert wird".

Ein weites Feld fürwahr. Es gibt also doch noch echte Wachstumsbranchen in Deutschland. Das sozialpädagogische Durchdeklinieren der Einwanderung gehört offensichtlich dazu - jedenfalls solange Sozialwissenschaftler, die das erkannt haben, von der regierungsamtlichen Einwanderungslobby weiter mit steuerfinanzierten Forschungsaufträgen versorgt werden und im Gegenzug dringend benötigtes Argumentationsmaterial zum Schönfärben der Realität liefern. Beim derzeitigen Stand der demographischen Entwicklung dürfte der Stoff für derlei Soziologen-ABM so bald nicht ausgehen.

Die Studie kann im Internet unter der Adresse www.bmfsfj.de/Kategorien/Forschungsnetz  heruntergeladen werden.

Ausländer in Deutschland

In Deutschland leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes derzeit rund 7,3 Millionen Ausländer. Die größte Gruppe der Zuwanderer stammt aus der Türkei (1,8 Millionen), gefolgt von Italienern (600.000), Bürgern aus Serbien und Montenegro (568.000) und Griechen (354.000). 3,4 Millionen von ihnen sind Mädchen und Frauen. 1,5 Millionen der in Deutschland lebenden Ausländer sind bereits hier geboren worden. Seit 1989 sind zudem knapp drei Millionen deutschstämmige Aussiedler in die Bundesrepublik gekommen.

Foto: Muslimische Studentin in der Universitätsbibliothek Cottbus: Vorbildlicher Ehrgeiz der Einwandererkinder


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