© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/53 04 17./24. Dezember 2004

Es geht um die Selbstbehauptung
Friedbert Pflüger sieht die westliche Welt im Fadenkreuz von Osama bin Laden
Alexander Griesbach

Das aktuelle Buch von Friedbert Pflüger, seit Herbst 2002 außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, trägt den provokativen Titel "Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens". Der traurige Zufall wollte es, so Pflüger bei einem Vortrag, daß er das erste Exemplar dieses Buches am Tage des Terroranschlages von Madrid am 11. März 2004 in Händen gehalten habe.

Der CDU-Politiker betonte in den vergangenen Monaten immer wieder, er habe bewußt nicht von einem "Dritten Weltkrieg" gesprochen. In Deutschland sei der "Weltkriegsbegriff mit der Vorstellung von Bombennächten" verbunden, von "Panzerschlachten, von Kriegserklärungen und uniformierten Soldaten, die in das Territorium des Gegners marschierten, um Land zu erobern". Heute hätten wir es mit einem "asymmetrischen Krieg" zu tun, der nicht mit einer offiziellen Kriegserklärung und uniformierten Armeen, sondern durch geheim arbeitende islamistische Terrorkommandos geführt werde. Ganz Europa sei deren Zielscheibe. Selbst die Bundesregierung spreche jetzt von einer "neuen Qualität der Bedrohung". Der Glaube, man könne sich durch besonderes Wohlverhalten, zum Beispiel durch besonders lautstarke Kritik an Israel oder den USA, freikaufen, sei unsinnig. Wir alle in der westlichen Welt stünden "im Fadenkreuz von Osama bin Laden".

Die Islamisten wollten die Weltherrschaft, weshalb Pflüger in seinem Buch von einer "dritten totalitären Herausforderung" spricht. Die erste totalitäre Herausforderung sei der Marxismus-Leninismus, die zweite der Faschismus mit seiner Sperrspitze Nationalsozialismus, die dritte der Islamismus. Totalitär heiße zunächst einmal nichts anderes als eine Ideologie, die den ganzen Menschen wolle. Der Totalitarismus wolle "das ständige Bekenntnis des Menschen", er wolle das "positive Engagement". Der Totalitarismus werde dem Menschen schon als Kind nahegebracht. Der Mensch werde ständig zum Bekenntnis, zu Aufmärschen und zum Fahnenschwenken gezwungen. Das erlebten wir bei den Kommunisten, so Pflüger, das erlebten wir unter anderen Vorzeichen bei den Nationalsozialisten und das erlebten wir jetzt beim militanten Islam. Ihnen allen gemeinsam sei ein "klares Feindbild".

Für die Kommunisten sei das Feindbild die Klasse der Produktionsmittelbesitzer gewesen, für die Nationalsozialisten die Juden, und für die Islamisten sei dieses Feindbild das christliche Abendland. Man könnte sagen, daß es sich hier um einen umgekehrten Kreuzzug handelt. Die westliche Welt stehe deshalb vor einer "fundamentalen Herausforderung".

Inwieweit kann in diesem Zusammenhang von einem Krieg gesprochen werden? Wir wissen, so behauptet Pflüger, daß islamistische Terrororganisationen versuchten, sich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu bringen. Wenn man sich den 11. September 2001 oder das Madrider Attentat in Verbindung mit Massenvernichtungswaffen vorstelle, dann erreichten die zu gewärtigenden Opferzahlen annähernd jene Dimension, die man von "traditionellen Kriegen" gewöhnt sei, unterstreicht Pflüger. Die Abschreckung, die im Kalten Krieg noch funktioniert habe, funktioniere heute nicht mehr. Ein ideologischer Krieg, ein weltweiter terroristischer Angriff, eventuell in Zukunft mit Massenvernichtungswaffen geführt, das sei das Szenario, auf das wir uns zubewegten. Gegen diese Form von islamistischer Bedrohung gelte es sich zu wehren.

Dies gelte auch im Hinblick auf die demographische Entwicklung. Heute gebe es etwa 1,3 Milliarden Muslime mit einer ungewöhnlich hohen Natalität. Die Zahl der Palästinenser werde sich bei Wachstumsraten von über zwei Prozent in den nächsten zwanzig Jahren verdoppeln. Für den Altersaufbau der muslimischen Gesellschaft bedeute dies das genaue Gegenteil deutscher Verhältnisse. Fünfzig Prozent aller Muslime seien unter zwanzig Jahre alt. In einem Land wie dem Iran müßten jedes Jahr für eine Million junger Menschen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, was dessen Möglichkeiten weit übersteige.

Neben dieser demographischen Zeitbombe sähen wir aber auch, daß die Menschen in diesen Ländern besser ausgebildet würden. Ihre Alphabetisierungsraten stiegen ständig. Zunehmend sei Landflucht und Urbanisierung zu beobachten. Männliche Arbeitslose und eine einigermaßen gebildete Bevölkerung nähmen dramatisch zu. Das sei ein "revolutionäres Potential für Osama bin Laden".

Dazu kämen die drei ungelösten Regionalkonflikte: zunächst natürlich der Nahe Osten, der ein "tiefer Stachel in der arabischen Welt" sei. Der ganze Irak-Krieg habe die Menschen nicht so aufgewühlt wie der israelisch-palästinensische Konflikt und die Tötung von zwei Hamas-Führern. Dieser Faktor sei ganz tief im Bewußtsein der arabischen Welt verankert.

Hinzu kämen der Tschetschenien- und der Irak-Konflikt. Überall nutzten islamistische Gruppen die regionalen nationalen Konflikte aus. Es bestehe die große Gefahr, daß "sich der Hamas-Terrorismus mit dem allgemeinen Dschihad-Terrorismus verbindet".

Daß die USA beim Schüren dieser Regionalkonflikte einen wesentlichen Faktor darstellen (Irak-Krieg, Naher Osten), darüber liest man bei Pflüger wenig. Dies ist auch verständlich: Er gehörte in Deutschland zu denjenigen, die ungefiltert die US-Version von der vermeintlichen "Weltgefahr" Saddam Hussein und dessen Massenvernichtungswaffen kolportierten. Jetzt beschwört er - auch wieder in Anlehnung an die einschlägige Rhetorik der Regierung Bush - die islamistische Weltbedrohung.

Diese Rhetorik muß bei Pflüger, dem Liberalextremisten früherer Tage, zu einer inneren Wandlung geführt haben, wenn man nicht gleich unterstellen möchte, daß es sich bei dem ehemaligen Pressesprecher von Bundespräsident Richard von Weizsäcker um einen notorischen Opportunisten handelt. Pflüger diagnostiziert eine "Schwäche des Westens".

Was westliche Medien in alle Teile der Welt kommunizierten, sei "unbeschreiblich". Daß die Araber aufgrund dessen nicht sehr an die Stärke des Abendlandes glaubten und unsere Welt eher verächtlich fänden, überrasche nicht.

Was hätten wir, so Pflüger, darüber hinaus zu bieten? Menschenrechte und Demokratie? Hätten wir uns je über die Menschenrechte in Saudi-Arabien große Gedanken gemacht, solange das saudische Öl geflossen sei? Solange die Tankstelle funktioniere, kümmerten wir uns um nichts. Wir arbeiteten "mit doppelten Standards". Die Muslime sähen, daß wir mit den "korrupten diktatorischen und halbdiktatorischen Regimen überall in der Dritten Welt" zusammenarbeiteten. Wie könnten sie dann Respekt vor uns in Europa haben?

Es gehe, so Pflüger, vor dem Hintergrund der demographischen Stärke und der Tötungsbereitschaft militanter Islamisten um nichts weniger als um Selbstbehauptung. Wenn wir darauf verzichteten, von Zuwanderern die Bereitschaft zu verlangen, sich an unsere Kultur anzupassen, dann bereiteten wir den Boden für Parallelgesellschaften. Wir müßten darauf bestehen, daß die Grundlagen unserer Gesellschaft akzeptiert werden, meint der Autor. Von denjenigen, die nicht unsere Werte teilten, müßten wir uns trennen. An diesen hehren Worten müssen sich Pflüger und seine Partei in Zukunft messen lassen.

Foto: Streichholzbriefchen mit dem Abbild Osama bin Ladens: Feindbild des christlichen Abendlandes

Friedbert Pflüger: Ein neuer Weltkrieg? Die islamistische Herausforderung des Westens. Deutsche Verlagsanstalt, München 2004, gebunden, 304 Seiten, 19,90 Euro


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