© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/53 04 17./24. Dezember 2004

DIE WOCHE
Schuß nach hinten
Fritz Schenk

In ihrer Rubrik "Fremde Federn" läßt die Frankfurter Allgemeine Zeitung auch hochgestellte Politiker zu Wort kommen. Am 1. Dezember äußerte sich darin der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Er teilt seinen Lesern mit, daß im November 1997 der damalige Vorstandschef der Lufthansa, Jürgen Weber, den Plan für eine vierte Startbahn und ein neues Terminal für den Frankfurter Flughafen vorgestellt habe: ein Projekt mit einer Investitionssumme von rund 3,35 Milliarden Euro. Es hätte allein auf dem Flughafen rund 40.000 neue Arbeitsplätze und mittelbar noch einmal 60.000, also zusammen Arbeit für rund 100.000 Menschen schaffen sollen und können.

Doch dann wird die Schilderung bunt. Koch zählt auf, was in den seitdem vergangenen sieben Jahren alles passiert ist. Unter "passiert" werden nun aber nicht etwa Bauunfälle, technische Pannen oder architektonische Zusatzeinfälle aufgezählt oder ingenieurtechnische Meisterleistungen aufgelistet, die bei diesem Mammutprojekt aufgetreten sind, sondern quasi ein Beamtenbericht über Behördenwege und Genehmigungs-, richtiger muß man sagen: Verhinderungshürden, abgeliefert. Ein Unternehmen aus dem Brandenburgischen, so erfahren wir, stellt gerade die Planungsunterlagen für die Gemeinden zusammen. Wörtlich: "Laut Fraport sind das 39.000 Ordner mit 520.000 Karten und 11.000.000 (elf Millionen!) Seiten Papier. Die Unterlagen sind aneinandergereiht länger als die geplante Landebahn selbst. Im nächsten Schritt wird sich das Regierungspräsidium Darmstadt erst mit schriftlichen, dann mit mündlichen Einwendungen beschäftigen. Geschätzte Gesamtzahl: 100.000. Allein für die mündlichen Anhörungen sind sechs Monate veranschlagt - in der Stadthalle Offenbach, deren Anmietung jeden Monat 100.000 Euro verschlingt." Und dann kommen noch die Wege über die Gerichte!

Natürlich trägt Koch auch Gedanken darüber vor, was im Planungsrecht, bei Umwelt- und Naturschutz alles geändert oder zumindest vereinfacht werden müßte oder sollte, er ist ja schließlich Ministerpräsident eines nicht ganz unbedeutenden Bundeslandes. Und im Hinterkopf wird er wohl auch gehabt haben, was da gerade parallel zwischen den Herren Müntefering und Stoiber in der Bund-Länder-Kommission ausgekungelt wurde. Aber das mindert die Fehlleistung dieses Artikels in keiner Weise. Koch ist seit fünf Jahren Ministerpräsident von Hessen. Diesen Artikel hätte jeder untere Amtsgehilfe einer mittleren Stadt- oder Kreisbehörde schreiben können. Jedem Unternehmer oder Investor fielen ganze Zeitungsseiten solcher Horrorberichte über Behördenbürokratie und Verhinderungs-Systematik ein. Die Leserbriefseiten der Zeitungen strotzen von derartigen Wahnwitzschilderungen. Von einem Ministerpräsidenten hätte man hingegen erfahren wollen, was er denn in dieser Zeit gegen den Verfahrensunsinn unternommen hat. Wer die Verantwortlichen sind, die seine klugen Änderungsvorschläge mit welchen unhaltbaren Argumenten hintertrieben haben. Was er unternommen hat oder unternehmen will, um diesen Bürokratismus abzuschaffen.

Daher: Die deutsche Misere liegt nicht in den Lasten der Wiedervereinigung oder der Globalisierung oder der EU-Osterweiterung, sondern darin, daß Regierungsgewaltige die blumenreiche Schilderung von Katastrophen schon für mutige Staatspolitik halten.


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