© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/04 03. Dezember 2004

Im Reich der Betonköpfe
Rechtschreibreform: Der Bundestag befaßt sich erneut mit dem umstrittenen Regelwerk
Thomas Paulwitz

Die Sprache gehört dem Volk", beschloß der Deutsche Bundestag im März 1998. Jetzt hat der Kampf um die Rechtschreibung erneut die Bundesebene erreicht. Voraussichtlich Anfang Dezember debattiert der Bundestag über die Rechtschreibreform. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat einen Antrag eingereicht, mit dem sie einen Beschluß zur Wiederherstellung der Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung herbeiführen will. Die Art und Weise, wie dieser Antrag zustande gekommen und von außen manipuliert worden ist, läßt die kommende Debatte jedoch unter schlechten Vorzeichen stehen.

Peter Gauweiler war außer sich: "Das dürfen wir uns von den Ländern nicht gefallen lassen", schimpfte er. Der stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses hatte Ende Oktober einen Fraktionsantrag zur Rechtschreibreform angeregt, den auch Fraktionschefin Angela Merkel unterschrieben hatte. Der Abgeordnete Volker Kauder, zugleich Generalsekretär der CDU in Baden-Württemberg, hatte daraufhin Kultusministerin Annette Schavan alarmiert, die sofort einschritt. Merkel unterrichtete die Fraktion: "Die Unionsländer machen Druck. Sie wollen nicht, daß sich der Bundestag damit beschäftigt." Merkel zog darum den Antrag zunächst zurück. Nach stürmischem Protest von Gauweiler und anderen kam der Antrag zwar doch noch zustande; allerdings wurden wichtige Bestandteile der Beschlußvorlage entscheidend zugunsten der Rechtschreibreformer verändert.

Nachdem die Ministerpräsidenten und die Kultusminister auf ihren Konferenzen im Oktober beschlossen haben, daß die mißglückte Rechtschreibreform allem Widerstand zum Trotz doch am 1. August 2005 in Kraft treten soll, ist auf Länderebene kaum noch etwas zu erreichen, um den Willen des Volkes durchzusetzen, das die Reform nicht will. Vom Rat für deutsche Rechtschreibung, der im Auftrag der Kultusminister bis zum Stichtag noch einige kosmetische Änderungen am Neuschrieb vornehmen soll, ist nichts zu erwarten. Er ist noch nicht einmal zusammengetreten, und die wenigen Reformkritiker aus dem PEN-Club und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die dem Rat angehören sollten, haben ihn längst verlassen, weil sie sich nicht als wirkungslose Statisten benutzen lassen wollten. Zurück im Rat bleiben die Interessenverbände, die aus der Reform ihren Nutzen ziehen und sie deswegen nicht verhindern werden.

Interview im Stil einer Politbüro-Chefin

Derweil gibt Doris Ahnen, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Interviews im Stile der Chefin eines Politbüros, das längst den Bezug zum Volk und zur Wirklichkeit verloren hat. Das jetzt geführte Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel ist Ausdruck dieses volksfernen Starrsinns. Spiegel: "Aber die frühere Einheitlichkeit der Schriftsprache ist durch die Reform ohne Grund zerstört worden." Ahnen: "Sie ist nicht ohne Grund zerstört worden." Spiegel: "Aber daß sie zerstört worden ist, geben Sie zu?" Ahnen: "Nein, das gebe ich nicht zu." Und so weiter.

Auch auf die anderen Fragen findet Ahnen nur hilflose Antworten und gibt sich eine Blöße nach der anderen. Die breite Ablehnung der Reform in der Bevölkerung, die vernichtenden wissenschaftlichen Untersuchungen über die Reform, der Verlust an Eindeutigkeit im Ausdruck, die wachsende Zahl von Medien, die den Unsinn nicht mehr mitmachen wollen: All dies ficht Ahnen nicht an. Nur einen einzigen "Fehler" gibt sie zu: Ihrer Ansicht nach hätte es eine bessere Öffentlichkeitsarbeit für die Reform geben müssen.

Auf Länderebene verhindern also Betonköpfe die Rücknahme der Reform. Bis zum 1. August des nächsten Jahres gibt es jedoch noch ein Zeitfenster, in dem die Angelegenheit auf Bundesebene geklärt werden kann, bevor Gerichte entscheiden müssen. Der Jurist Johannes Wasmuth, Anführer einer Gruppe von Rechtsgelehrten, die sich für die bewährte Rechtschreibung einsetzen, hat jetzt in einem Schreiben an die beiden größten Bundestagsfraktionen noch einmal klargestellt, daß für die Rechtschreibung auch der Bund zuständig ist. Für die deutsche Kulturnation sei es eine Schande, daß sie sich immer noch nicht "vom Rechtschreibdiktat einer kleinen 'Expertentruppe' befreien konnte, die sich mit der unteren Ministerialratsebene der Länderkultusminister verbündet und jeder parlamentarischen Kontrolle durch bürokratische Machenschaften entzogen hat", schreibt Wasmuth.

Die Reform habe beträchtlichen gesamtwirtschaftlichen Schaden angerichtet und die sinnlose Verschwendung von Steuergeldern verschuldet. Daher sei der Deutsche Bundestag jetzt aufgerufen, seiner gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht zu werden. "Ein weiteres Zuwarten oder Taktieren führt nicht nur zu weiterem Schaden für die deutsche Sprache, sondern auch zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust in die Politik."

Doch das Taktieren geht weiter. Das wird deutlich, wenn man den ursprünglichen CDU/CSU-Antrag mit dem jetzigen vergleicht. Der Einfluß der Reformer und ihrer Interessenverbände geht so weit, daß auf ihren Druck Ministerpräsidenten entscheidend den Inhalt von Anträgen verändern können, die im nationalen Parlament gestellt werden. Sogar die Partei- und Fraktionsvorsitzende Merkel mußte sich dem unterordnen. Die ursprüngliche Beschlußvorlage sah die Forderung an die Bundesregierung vor, für eine einheitliche Rechtschreibung zu sorgen: "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf". Jetzt ist daraus eine harmlose Bitte an die Kultusminister geworden: "Der Deutsche Bundestag bittet deshalb die Kultusminister der Länder". Diese Manipulation soll verhindern, daß sich der Bund für die Rechtschreibung zuständig erklärt und womöglich die Reform zurücknimmt.

Zur zusätzlichen Absicherung diktierten die Ministerpräsidenten außerdem in den ursprünglichen Antrag den ergänzenden Passus, daß eine Entscheidung "vom Beschluß der Ministerpräsidenten von Anfang Oktober 2004" ausgehen müsse. Damals war bekanntlich beschlossen worden, die Rechtschreibreform planmäßig einzuführen.

SPD-Abgeordnete wurde zurückgepfiffen

Obwohl entscheidende Veränderungen in den Antrag diktiert wurden, hat nur ein einziger Abgeordneter (Wolfgang Zeitlmann, CSU)) seine Unterschrift zurückgezogen. Dabei gibt es zum selben Gegenstand einen alternativen, fraktionsübergreifenden Antrag, der wesentlich eindeutiger formuliert ist und sich unmittelbar an die Bundesregierung richtet. Er wird allerdings erst im Frühjahr behandelt. Initiiert hat ihn der FDP-Abgeordnete Hans-Joachim Otto. Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, sich für die Rücknahme der Rechtschreibreform einzusetzen. Die Regierung ist allerdings davon nicht begeistert und hat bereits die einzige SPD-Abgeordnete zurückgepfiffen, die es wagte, den Antrag zu unterstützen. Auch die beiden grünen Unterstützer werden bedrängt. Ob der Bundestag fähig sein wird, nach Gewissen zu entscheiden, ist also offen.


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