© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/04 03. Dezember 2004

Konkurrenzkampf um Macht und Einfluß
Islam: Zahlreiche Organisationen wetteifern darum, für die 3,3 Millionen Muslime in Deutschland zu sprechen
Felix Menzel

Nach dem Scheitern der multikulturellen Konzepte haben Politiker neue Wege für eine verbesserte Integration muslimischer Zuwanderer gefordert. Immer lauter ertönt der Ruf nach einer zentralen Organisation der Muslime, wie sie beispielsweise in Frankreich auf Drängen der Regierung etabliert wurde. In Deutschland gibt es bislang keine transparenten Strukturen, verläßliche Ansprechpartner fehlen und die bestehenden Verbände vertreten keineswegs die Gesamtheit der Muslime.

So wirft der türkischstämmige FDP-Politiker Mehmet Daimagüler dem "Zentralrat der Muslime" (ZMD) vor eine "orthodoxe Islamausrichtung" zu forcieren. Daimagüler fordert die Einrichtung eines "Parlaments der Muslime in Deutschland". Ähnliche Überlegungen stellt ein Diskussionspapier der nordrhein-westfälischen CDU an, das die Handschrift des deutsch-türkischen Unions-Aufsteigers Bülent Arslan trägt. In dem Papier wird darauf hingewiesen, daß bereits in zehn Jahren "in vielen deutschen Großstädten rund die Hälfte aller Jugendlichen einen Migrationshintergrund" haben werde. Bis zum Jahr 2020 würde nach Schätzungen eine weitere Million Ausländer allein nach NRW einwandern. Den Muslimen in Deutschland als größte, wenn auch heterogener Zuwanderergruppe wird bescheinigt, sich "gut integriert" zu haben. Gleichwohl seien Mißtrauen und Spannungen nicht zu übersehen. Um Konflikte zu entschärfen, regt das Papier an, "tragfähige und politisch legitime Strukturen" zu entwickeln. Gemeint ist die Bildung eines muslimischen Rates oder runden Tisches, "Schura" genannt. Derartige Räte existieren bereits in Niedersachsen und Hamburg, sind jedoch umstritten. Vor allem die terminologische Anlehnung an alt-arabische Traditionen weckt ungute Assoziationen.

Fragwürdige Gruppen unter einem Dach

So warnt der Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz in seinem Buch "Von Allah zum Terror" : Bei der "Schura" handele es sich um "ein aus der vorislamischen Stammespraxis übernommenes Ratssystem", welches eng mit islamischen Despoten kooperiert habe. "Ausgerechnet diese Einrichtung soll nun der Beweis für die von Anbeginn im Islam angelegte Demokratiefähigkeit sein", fragt Raddatz. Er vermutet dahinter "muslimischer Täuschungsstrategie". Solche Unterstellungen weist Arslan von sich. Gleichwohl verfolgt er als Vorsitzende des "Deutsch-Türkischen Forums" (DTF), einer muslimischen Splittergruppe in der CDU, eine Vereinigungsstrategie, die auch fragwürdige Gruppen unter einem Dach dulden möchte. Auch die vom Verfassungsschutz beobachtete Islamische Gemeinschaft "Milli Görüs" (IGMG) dürfe als stärkster Verband mit rund 30.000 Mitgliedern nicht ignoriert werden, meint Arslan.

Gegenwärtig konkurrieren in Deutschland mindestens drei islamische Verbände um die Anerkennung als offizielle Vertretung der Muslime: der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD), der "Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland" und die "Türkisch-Islamische Union des Präsidiums für Religionsangelegenheiten" (DITIB). Eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts - ähnlich der christlichen Kirchen - brächte erhebliche Vorteile. Zum einen neue finanzielle Möglichkeiten, wie die Erhebung von Beiträgen, und zum anderen politischen Einfluß, etwa bei der Besetzung von Rundfunkräten oder der Gestaltung eines islamischen Religionsunterrichts.

Der "Islamrat für die Bundesrepublik", nach Angaben des Soester Islam-Archivs mit etwa 136.000 Mitgliedern nach DITIB der größte Dachverband, wird von der türkisch-islamistischen IGMG dominiert. Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, war Generalsekretär von "Milli Görüs". Und die DITIB, die sich vorletzten Sonntag mit einer Großdemonstration in Köln in die Medien spielte, ist der verlängerte Arm des türkischen Religionsministeriums Diyanet. Sie bezieht Geld und Weisungen aus Ankara; ihr Vorsitzender ist der jeweilige Sozialattaché der Botschaft in Berlin. Der gegenwärtige Vorsitzende Cakir spricht nicht einmal Deutsch.

Zu den gefragtesten "Dialog"-Partnern in Deutschland zählte lange der umstrittene Vorsitzende des 1994 gegründeten ZMD, Nadeem Elyas, der für rund 400 Moscheegemeinden und etwa 80.000 Gläubige zu sprechen vorgibt. Der in Saudi-Arabien geborene Arzt hat zwar stets abgestrittenen, Mitglied der extremistischen Muslimbruderschaft (MB) gewesen zu sein. Allerdings rechnen Verfassungsschützer mindestens neun der neunzehn Vereine unter dem Dach des ZMD der Muslimbruderschaft zu. Die MB ist Mutterorganisation militanter Gruppen wie Hamas, Islamischen Djihad oder Islamische Heilsfront (FIS). Als Ziel formuliert die MB eine weltweite Herrschaft des Islams.

Laut Bericht des hessischen Verfassungsschutzes trat Elyas 2003 beim 25. Jubiläumskongreß der Islamischen Gemeinschaft Deutschland (IGD), des ägyptischen Zweigs der MB, als Gastredner auf. Bei diesem IDG-Kongreß "Integration statt Ghetto?" mit 10.000 Teilnehmern verkündete der Ägypter Omar Abdel Kafi: "Integration darf nicht zu weit gehen. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Islam zu verbreiten. Wir müssen die ganze Welt besiedeln und zum Islam bekehren. Die Zukunft gehört der Religion Allahs." Bei der Kölner Demonstration "Hand in Hand für Frieden und gegen Terror" war Elyas nicht als Redner geladen. Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, erfuhr von der Veranstaltung erst aus der Zeitung und blieb der Veranstaltung fern. Elyas durfte immerhin auf dem Podium stehen und den Reden der DITIB-Vertreter und der deutschen Spitzenpolitiker Claudia Roth, Günther Beckstein, Fritz Behrens und Marieluise Beck lauschen.

DITIB scheint nun im Wettkampf der Verbände die Nase vorn zu haben. Nach Angaben ihres Generalsekretärs Mehmet Yildrim hat DITIB an die 220.000 Mitglieder. Sie vertrete rund 80 Prozent der hiesigen Muslime, erklärt Yildrim, wobei diese Zahlen nach Ansicht von Experten stark übertrieben sind. Die medienwirksame Kölner DITIB-Demonstration schien von der Regierung in Ankara angeordnet und gesteuert. Offenbar war ein Ziel der Kundgebung, den Vorbehalten und Ängsten gegen einen EU-Beitritt eines islamischen Großstaates entgegenzuwirken.

Es mehren sich die Anzeichen, daß die Bundesregierung DITIB als bevorzugten Ansprechpartner für Fragen des Islams etablieren möchte. Sollte der Verband als Marionette Ankaras den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten, bekäme der türkische Staat verstärkt Einfluß auf alle Muslime in Deutschland.


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