© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/04 26. November 2004

Meldungen

Tells Land: Denkort Schweiz

BASEL. Die Schweiz avancierte im 18. Jahrhundert zum "Lieblingsland der Nationen", genauer: zum Lieblingsreiseland. Dabei setzte das Interesse an den natürlichen Sehenswürdigkeiten erst in der zweiten Jahrhunderthälfte ein. Die Attraktion der Berge stand also nicht am Anfang der Schweiz-Begeisterung. Vielmehr, wie Christine Lustenberger aufzeigt (Schweizer Zeitschrift für Geschichte, 3/2004), erregten Orte der eidgenössischen Geschichtsrepräsentation - Zeughäuser, Schlachtfelder, Handlungsorte der Geschichte Wilhelm Tells - lange Zeit die spezielle Aufmerksamkeit der ersten Schweiz-Touristen. Diese "Denkorte" wurden im Zeitalter der Aufklärung aufgesucht, ihr "Erlebnis" in Reiseberichten vermittelt, um die "Alten Eidgenossen" als mustergültiges Vorbild mit nicht selten anti-monarchistischer Stoßrichtung zu preisen und den zentralen politischen Wert der "Freiheit" zu versinnbildlichen. Die Naturbegeisterung, die sich ergänzend zur Geschichtspräsentation entwickelte - der von Lustenberger leider unzureichend erklärte "Wahrnehmungswandel im Alpenverständnis" -, rückte die "Authentizität" der Geschichtslandschaft ins Blickfeld des Reisenden. In den Reiseberichten formte sich dann um 1800 das Bild einer "untrennbaren Einheit zwischen großartiger Natur und glorreicher Geschichte" zum Gesamtkunstwerk "Schweiz", eine Wahrnehmungstradition, die bis heute bei Touristen dominiert.

 

Sackgasse Germanistik: Bekanntes zu Fontane

BERLIN. Nach dem Erscheinen der Metzlerschen Handbücher zu Leben und Werk von Goethe, Hölderlin, Rilke und zahlreichen anderen Bewohnern des deutschen Parnaß scheinen sich die Legitimationsprobleme der ohnehin nach einem neuen Image als "Kulturwissenschaft" suchenden Germanistik bedrohlich zu verschärfen. Dies belegt das den "Neuen Perspektiven im Verhältnis von Literatur und Geschichte" gewidmete Sonderheft der altehrwürdigen Zeitschrift für deutsche Philologie (Band 123/04). Natürlich spielt die Trias "Gedächtnis - Erinnerung - Auschwitz" dabei eine tragende, wenn auch keine literarhistorisch erkenntnisfördernde Rolle. Daß aber das "Ende der Germanistik" auf bestimmten Sektoren wirklich eingetreten ist, dokumentiert kein Beitrag erschreckender als der Wulf Wülfings (Bochum) über Theodor Fontane als "vaterländischen" Populärautor. Wülfing weiß nämlich wortreich kaum mehr mitzuteilen, als daß die Ausbeute des "Schlachtenbummlers" der Einigungskriege wie des märkischen Wanderers den Gesetzen des "mythisierenden Sinnstiftungsverfahrens" gehorche. Diese Weisheit ist seit vier Jahren in Metzlers "Fontane-Handbuch" zu finden, das allerdings auch nur die jahrzehntelange Forschung kondensiert.


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