© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/04 26. November 2004

Frisch gepresst

Smend contra Schmitt. In den fünfziger und sechziger Jahren traten in der Bundesrepublik "allmählich die obrigkeitlichen und etatistischen Traditionen" des Staatsverständnisses in den Hintergrund, eine "Westernisierung", die das Tor weit aufstieß für das bis heute unumschränkt herrschende "konsensliberale Ideologieangebot" angelsächsischen Zuschnitts. Dies ist die Ausgangslage für die ungemein gründliche Tübinger Dissertation Frieder Günthers: "Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949-1970" (R. Oldenbourg Verlag, München 2004, 363 Seiten, 69,80 Euro). Günther zieht seine Geschichte der westdeutschen Staats- und Verfassungslehre am Gegensatz zweier "Schulen" auf, der des Göttinger "Integralisten" Rudolf Smend und der des zwangsemeritierten und damit eigentlich aus dem fachwissenschaftlichen Netzwerk eliminierten "Dezisionisten" Carl Schmitt. Auch wenn der Ausgang dieser Deutungskonkurrenz nicht allzu bekannt wäre, hätte man das für Smends Schule siegreiche Ende frühzeitig vorhersagen können, und zwar nicht allein aufgrund des akademischen Standortnachteils des nur "Gespräche in der Sicherheit des Schweigens" führenden Mannes im sauerländischen Plettenberg. Der Umstand, daß die Zeit-Stiftung diese Arbeit gefördert hat, gestattet die sich dann von Kapitel zu Kapitel bestätigende Vermutung, daß die Sympathien des Autors gewiß nicht dem Verlierer gehören, von dessen Werk kein "Durchbruch" zur "dezidiert pluralistischen Grundhaltung westlich-transatlantischer Prägung" zu erwarten gewesen war.

Islam und Europa. Der frühere Finanzminister des Libanon Georges Corm widerspricht in seiner bereits 2002 in Frankreich veröffentlichten und nun auf deutsch vorliegenden Arbeit den Thesen Samuel Huntingtons, daß die islamische Kultur in strengem Widerspruch zur abendländischen Kultur steht - und damit ein "Kampf der Kulturen" immanent wäre. Corm sieht den "herbeigeredeten" Gegensatz zwischen "christlich-jüdischem Westen" und dem "mythischen, archaischen und irrationalen Orient" durch Interessenpolitik angeregt. Diese "durch Narzißmus und Willen zur Macht" offenbarte US-Vormachtsdoktrin stößt bei Corm auf die gleiche Kritik wie arabische Intellektuelle, die alles zur Klischee-Erhärtung beitragen (Mißverständnis Orient. Die islamische Kultur in Europa. Rotpunktverlag, Zürich 2004, 180 Seiten, broschiert, 18 Euro).


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