© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/04 26. November 2004

Auf den Spuren von Friedrich Merz
Seehofers Rücktritt: Nach der CDU gerät auch die Schwesterpartei ins Schlingern / Angela Merkel kommen die Fachleute abhanden
Paul Rosen

Verkehrte Welt: Aus der kraftstrotzenden CSU ist eine an sich selbst zweifelnde Partei geworden. Der Rücktritt des Gesundheitsexperten Horst Seehofer hat die CSU in eine Krise gestürzt. Der Münchner Parteitag wurde zum Fiasko. Nervöse und unzufriedene Delegierte saßen zwei Tage die Reden von Parteichef Edmund Stoiber und anderen Funktionären aus. Aber auch die CDU hat keinen Grund zur Freude. Der Fraktions- und Parteivorsitzenden Angela Merkel fehlt ein weiterer kompetenter Spieler gegen die rot-grüne Koalition. Zuvor war ihr bereits der Finanz- und Wirtschaftsexperte Friedrich Merz abhanden gekommen.

Die Ursachen der Unions-Misere liegen fast ein Jahr zurück. Für den Parteitag in Leipzig hatte Merkel ihrer Partei eine Roßkur verordnet. Aus der behäbigen CDU, die in vielen Bereichen noch das muffelige Aroma der Kohl-Ära verströmte, sollte die modernste Partei Europas werden.

Flugs einigte man sich auf einen Stufentarif bei der Steuer und in der Gesundheit auf eine Kopfpauschale für die Krankenversicherung, so tuend, als ob die Probleme der Krankenkassen mit einem Einheitsbeitrag zu lösen seien. Die Delegierten verfielen in einen Modernisierungsrausch. Ihre Führung verschwieg ihnen die Folgen der Sucht, daß nämlich Kopfpauschale und Steuerreform nicht zueinander paßten und daß bei der Finanzierung des Gesundheitsmodells ein zweistelliger Milliardenbeitrag fehlte. Daß die Vorsitzende ihr Schicksal de facto mit der Kopfpauschale verknüpfte, sollte sich später als nachteilig erweisen.

Stoiber witterte schon seit langem, daß die Kopfpauschale exakt der Klotz am Bein sein würde, der die Union bei der nächsten Bundestagswahl nach unten ziehen könnte. Sein Widerstand gegen eine Einigung auf der Basis des CDU-Modells war enorm. Aber nach wochenlangen ergebnislosen Gesprächen mußte zusammenwachsen, was nicht zusammengehört: Kopfpauschale und die Forderung der CSU nach einem lohnbezogenen Krankenkassenbeitrag wurden in einen Topf geworfen. Nach Ansicht Seehofers handelt es sich um ein bürokratisches Monster, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt höhnte über die "gemischt-lohnabhängige-Arbeitgeberbeitrags-Fonds-steuerergänzungsfinanzierte-Teilpauschalprämie".

Seehofer trat zurück, was nur konsequent war. Stoiber versuchte den Spagat: Auf seinen Sozialexperten konnte er nicht verzichten, sollte die CSU in Bayern nicht in den Verdacht kommen, auf den neoliberalen Kurs der CDU überzuwechseln. Das Problem war, daß Stoiber die Einigung mit Merkel nicht aufkündigen konnte. Wer sich gegen den Kompromiß wende, "riskiert einen massiven Bruch mit der CDU", warnte er auf dem Parteitag.

Merkel hat Schwächephase der Bayern genutzt

Folglich sollte Seehofer in Bayern gehalten, aber im Bund aus der vordersten Frontlinie abgezogen werden. Versucht werden sollte, daß Seehofer die Zuständigkeit für Gesundheit in der Fraktion abgibt, aber alles andere behält. Stoiber: "Es ist völlig klar, daß jemand, der eine inhaltliche Position hat, die diametral der Position von CDU und CSU widerspricht, natürlich nicht Sprecher der CDU und CSU in dieser Frage sein kann." Daß der Deal nicht klappte, lag letztlich an Merkel und der CDU. Die eiskalte Machtpolitikerin Merkel erkannte die Schwächephase der Bayern, lehnte jede Einigung mit Seehofer ab und wurde ihren Kritiker schließlich los. Seehofer hat jetzt nur noch den stellvertretenden Parteivorsitz der CSU. Die CSU-Delegierten waren von Anfang an wenig begeistert, wie ihr Chef die Probleme zu lösen versuchte. Aber genausowenig wie die CDU es sich im Moment leisten kann, einen Aufstand gegen die Vorsitzende zu beginnen, kann sich die CSU erlauben, ihrem Vorsitzenden eine Niederlage beizubringen. CDU und CSU sind wie siamesische Zwillinge. Der Kreuther Trennungsgeist ist seit Jahrzehnten in einer fest verschlossenen Flasche.

Dabei hatte sich die CSU nach ihrer ursprünglichen Planung einiges für den Parteitag vorgenommen. Wenn nicht Seehofers Schatten über das Treffen gefallen wäre, hätte Stoiber mit seiner Hauptrede Maßstäbe gesetzt. Er rief dazu auf, "die christliche Prägung unseres Landes zu verteidigen", und sprach sich strikt gegen die multikulturelle Gesellschaft aus. Diese führe zu abgeschotteten und gefährlichen Parallelgesellschaften. "Offenheit und Toleranz ja, islamistische Kopftücher nein", rief der CSU-Chef den Delegierten zu. Die Einführung eines islamischen Feiertages in Deutschland lehnte er strikt ab. Die Krise um Seehofer machte den CSU-Plan zunichte, endlich zu einer Offensive im Sinne der Leitkultur von Merz gegen Rot-Grün anzutreten.

Viele bedeutsamer ist eine andere Erkenntnis: Die Unionsparteien sind nicht in der Lage, zu überzeugenden gemeinsamen Standpunkten zu finden und sich den Wählern als eine Alternativer für 2006 darzustellen. Das schien bisher ein Problem allein der CDU zu sein. Die CSU erschien gesund, volksverbunden und bodenständig. Jetzt sind auch im bayerischen Teil der Union Schwierigkeiten festzustellen.

Schon lange war es ein Problem für die CDU, daß sie ihren konservativen Flügel mit dem Abtreten der Dregger-Generation verloren hatte. Das christliche Element war mit Ausnahme der Gelegenheit zur Teilnahme an Gottesdiensten auf Parteitagen ohnehin schon verschwunden. Seit dem Leipziger Parteitag befindet sich auch der soziale Flügel in Auflösung. Die CDU erscheint wie eine Ansammlung von neoliberalen Technokraten, die das Volk mit größtmöglichen Sozialkürzungen beglücken möchten, aber in Wirklichkeit keinen Weg aus der deutschen Sinn- und Wirtschaftskrise weisen können.

Es bleibt die spannende Frage, wie Merkel ihre Wiederwahl auf dem CDU-Parteitag am 6. und 7. Dezember in Düsseldorf übersteht. Von Edmund Stoiber hat sie in der nächsten Zeit nichts zu befürchten. Der Bayer ist geschwächt. Vielleicht hat der mißratene CSU-Parteitag ihr den Weg zur Kanzlerkandidatur freigemacht. Es wäre aus heutiger Sicht egal. Mit diesem verkorksten Programm und einer sich auflösenden Mannschaft steht der Sieger der nächsten Bundestagswahl schon fest: Gerhard Schröder.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen