© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/04 26. November 2004

Alexandra Hildebrandt
Gegen das Vergessen
von Steffen Königer

Bevor die Bagger kommen, kette ich mich an", Alexandra Hildebrandt meint es ernst! Gerade mal knapp drei Wochen ist es her, daß Politik und Medien anläßlich des 15. Jahrestages des Mauerfalles beteuert haben, wie wichtig die Erinnerung an die Verbrechen der SED-Diktatur ist. Gerade mal knapp zwei Wochen ist es her, daß sie zum Volkstrauertag erneut versprochen haben, den "Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft" zu gedenken. Doch nur knapp eine Woche ist es her, daß Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) rechtliche Schritte gegen das Anfang November errichtete Mauermahnmal am Checkpoint Charlie (JF 46/04) angedroht hat (siehe Bericht Seite 6). Während die Republik nur tausend Meter weiter an einem gigantischen Holocaustmahnmal baut, soll Hildebrandts Mauertotengedenkstäte weggeklagt werden.

Ausgerechnet eine gebürtige Ukrainerin versucht im Alleingang der 1.067 deutschen Opfern mit ebensovielen in Privatinitiative aufgestellten Holzkreuzen am ehemaligen Checkpoint Charlie zu gedenken. Anfang der neunziger Jahre kam die studierte Kunsthistorikern und Malerin von Kiew nach Berlin, um hier ihre Bilder auszustellen. Zufällig lernte sie Rainer Hildebrandt kennen, den im Januar dieses Jahres verstorbenen Leiter und Gründer des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, das mit seiner antikommunistischen Ausrichtung weiland nicht nur Ost-Berlin, sondern auch vielen im Westen ein Dorn im Auge war.

Seit der Heirat 1995 unterstütze Alexandra Hildebrandt auch die Arbeit ihres Mannes für das inzwischen auf sechs Ausstellungsbereiche gewachsene Museum in der Friedrichstraße. Dennoch zweifelte mancher an der erfolgreichen Fortführung des Museums, als sie im Dezember 2003 vom Trägerverein zur neuen geschäftsführenden Vorsitzenden gewählt wurde. Anlaß zu solchen Zweifeln könnten die Vorwürfe vom Februar 2002 gewesen sein, innerhalb des Vereins sollen Gelder veruntreut worden sein. "Daß da nichts dran ist, zeigt schon die Tatsache, daß es keine juristischen Folgen gab", stellt Hildebrandt klar. Und tatsächlich gab es immer wieder politisch motivierte Versuche, die unliebsamen Museumsleiter gesellschaftlich zu desavouieren.

Sitzt man bei der vielbeschäftigten 44jährigen im Büro, gewinnt man den Eindruck eines wohlorganisierten Chaos. Die lange nicht renovierten Räume verströmen den Charme der späten sechziger Jahre. Man "riecht" förmlich die Geschichte. "Zum Arbeiten genügt doch ein Schreibtisch", meint Hildebrandt fast entschuldigend.

Doch Deutschlands tapferste Streiterin gegen das rote Vergessen fühlt sich nicht nur dem Erbe ihres Mannes verpflichtet. Ihre Familie hat den Sowjetterror selbst erlebt: Ein Onkel starb nach 20 Jahren Gulag an den Folgen der Haft. Deshalb will sie auch nicht weichen, sollte der Senat das Mahnmal abräumen lassen, statt ihr dafür zu danken, daß sie hält, was das offizielle Deutschland nur verspricht.


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