© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/04 19. November 2004

Frisch gepresst

Illegale Einwanderung. In den Diskussionen der letzten Jahre dominierte in Deutschland der Formalismus. Die Parteien zankten darum, welche Kriterien für Einwanderungswillige gelten sollen, die sich bei deutschen Behörden um einen Platz im Wohlstand Mitteleuropas bewerben - eine halbwegs brauchbare Einwanderungsgesetzgebung ist immer noch nicht herausgekommen. Dabei sind historisch meistens alle Versuche gescheitert, Migration per Gesetz zu regeln. Und so wird auch die beste Gesetzgebung nicht verhindern, daß sich die Einwanderung ins Schengen-Reich zwischen Lappland und Gibraltar in immer stärkerem Maße auf illegalen Wegen vollziehen wird. Der Zeit-Redakteur Michael Schwelien weist auf die vielen Wege - von den fast selbstmörderischen Bootsflüchtlingen bis zu den vielen Touristenvisa-Gästen, die oft länger als drei Monate bleiben. Dabei gewichtet er die Nächstenliebe für die Wirtschaftsflüchtlinge als höheres Gut als die immerhin von ihm zugestandene Notwendigkeit, die die Schengen-Staaten zum Schutze ihrer sozial geprägten Gesellschaften zur "Festung Europa" werden läßt (Das Boot ist voll. Europa zwischen Nächstenliebe und Selbstschutz. Marebuchverlag, Hamburg 2004, 210 Seiten, broschiert, 14,90 Euro).

Jenseits der Phantasie. "Guantánamo" sei eine Erfindung: Diese unhaltbare Behauptung stellt Dorothea Dieckmann ihrem gleichnamigen Roman voran (Klett-Cotta, Stuttgart 2004, 158 Seiten, gebunden, 16 Euro). Gegenüber der Literaturzeitung Volltext hat sie präzisiert, es handle sich "um ein Phantasie-Experiment, um den Wunsch, durch Introspektion und Mitgefühl in das Innere eines Gequälten zu steigen", "eine extrem praktizierte Art von Mitgefühl, nicht Mitleid, sondern Einfühlung". Den Gefangenen, für die - auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt und anderswo - die Realität rechtloser Räume mehr ist als eine "furchtbare Schreiberfahrung", hat sie ein eindrucksvolles literarisches Mahnmal gesetzt. Dieckmanns Schilderung, wie Rashid, in Hamburg aufgewachsener Sohn einer Deutschen und eines indischen Moslems, ausgerechnet im Urlaub in die Mühlen einer von vornherein als kafkaesk gekennzeichneten Willkür gerät: wie ein Unschuldiger sich mit der ihm angelasteten Schuld zu arrangieren beginnt, bezieht ihre Authentizität aus gründlichen Recherchen - und eben aus sprachlichem Einfühlungsvermögen.


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