© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/04 19. November 2004

Für die Folgen kommt der Steuerzahler auf
Cross-Border-Leasing: Die USA haben das Steuerschlupfloch für amerikanische Investoren gestopft / Nun macht sich bei den Kommunen Unsicherheit breit
Hans Christians

Eine schöne Geldquelle scheint zu versiegen. In der Vergangenheit nutzten immer mehr deutsche Kommunen ein gewagtes Konstrukt, um ihre maroden Haushalte zu sanieren. "Cross-Border-Leasing" heißt das Geschäft, das sich in den zurückliegenden Jahren immer größerer Beliebtheit erfreute: Städtische Anlagen werden an einen US-amerikanischen Investor verkauft und sofort zurückgemietet.

Der ferne Investor nutzt mit diesem Eigentum eine Möglichkeit der Steuerabschreibung in den USA. Von der Steuerersparnis gibt er einen kleinen Teil an die Stadt in Deutschland ab, den sogenannten Barwertvorteil. Für solche grenzüberschreitenden Pachtverträge sind alle langlebigen städtischen Anlagen geeignet. Sie müssen allerdings einen Mindestwert von 150 Millionen Euro aufweisen (JF 21/03). Beispiele gibt es in der Vergangenheit genug: So hat etwa die Stadt Dortmund die Westfalenhalle mit allen Nebengebäuden in ein solches transatlantisches Pachtverhältnis eingebracht. Der Barwertvorteil für die Stadt betrug etwa 15 Millionen Euro. Der Steuervorteil des Investors ist natürlich geheim, dürfte aber schätzungsweise um die neunzig Millionen Euro liegen. Der Vertrag läuft einhundert Jahre, mit einer Kündigungsmöglichkeit nach frühestens dreißig Jahren.

In Köln hat die "Verleasung" von stadteigenen Objekten bereits viel früher begonnen. 1996 gaben die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) bekannt: "Leasing-Geschäft mit amerikanischem Trust: 101 Kölner Stadtbahnwagen vermietet". Grundlage für den 27 Jahre laufenden Vertrag sei, daß der amerikanische Staat "den Kauf" ausländischer Wirtschaftsgüter steuerlich fördere. Dafür erhalte der US-Investor einen Steuervorteil. Davon gebe er der KVB einen Teil ab, in diesem Fall umgerechnet etwa 12,5 Millionen Euro. Damit die KVB die Wagen weiter nutzen könne, habe man sie gleichzeitig zurückgemietet. Die KVB behauptet, sie selber bliebe Eigentümer. Dieses Verwirrspiel zwischen "Kauf" und "Leasing" gehört zu den grenzüberschreitenden Pachtverträgen.

In den USA wurden solche Methoden der "kreativen Buchführung" Anfang der 1990er Jahre entwickelt. Seitdem gibt es etwas, was es eigentlich nicht geben kann: zwei Eigentümer desselben Wirtschaftsguts. Der US-Investor spart mit seinem neuen Eigentum Steuern, stellt es in seine Bilanz ein, steigert sein Kreditvolumen und treibt an der Börse seinen Aktienwert in die Höhe. Gleichzeitig soll dasselbe Wirtschaftsgut der deutschen Stadt gehören.

Frühzeitig meldeten sich Kritiker zu Wort. Beispiel Frankfurt am Main: Anfang Juni 2003 faßte die Stadtverordneten-Versammlung der hochverschuldeten Stadt den Beschluß, einen solchen Cross-Border-Deal zu prüfen. Für 99 Jahre sollte die Frankfurter U-Bahn an einen amerikanischen Konzern verkauft und umgehend zurückgemietet werden. Die Frankfurter Parlamentsmehrheit aus CDU, FDP und SPD erhoffte sich davon eine Einnahmequelle, die etwa 100 Millionen Euro einbringen soll. Diese Geschäfte waren in Deutschland an der Tagesordnung. Neben der Veräußerung der Dortmunder Westfalenhalle und der KVB verscherbelten Stadtväter reihenweise ihre Rathäuser in die Vereinigten Staaten.

Die Frankfurter Entscheidungsträger wollten es ihren Kölner Kollegen nun gleichtun. Doch wie an vielen anderen Orten auch regte sich massiver Protest. Aus der nichtöffentlichen Transaktionsbeschreibung gehe hervor, daß die Stadt bei einer vorzeitigen Vertragsauflösung dem amerikanischen Investor bis zu 500 Millionen Euro zahlen müsse, kritisierte eine Bürgerbewegung.

Genau diese Situation könnte nun eintreten. Nach langwierigen Verhandlungen haben sich in den USA der Senat und das Repräsentantenhaus darauf geeinigt, verschiedene Steuerschlupflöcher - darunter das Cross Border Leasing - zu schließen. US-Präsident George W. Bush will nun unterschreiben.

Bei Vertragsverletzung ist Kündigung jederzeit möglich

Betroffen sind allerdings nur neue Geschäfte, aber nicht bereits abgewickelte Deals - so zumindest die Hoffnung der Stadtkämmerer. Es muß aber damit gerechnet werden, daß Geschäfte, die allein auf eine Steuerersparnis abzielen, nicht mehr anerkannt werden. Maßgeblich für die Anerkennung solcher Verträge ist dann der Stichtag 12. März 2004. Vor diesem Stichtag abgeschlossene Leasing-Transaktionen genießen nach Meinung von Fachleuten Bestandsschutz, doch auch das muß noch geprüft werden.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) sieht sich angesichts dieser Entwicklung in seiner Skepsis gegenüber solchen Transaktionen und in der bisherigen zurückhaltenden Genehmigungspraxis bestätigt. Das am 1. August 2004 in Kraft getretene bayerische Gesetz zur Änderung der Kommunalgesetze hat unter anderem zur Aufnahme eines Gebots zur Minimierung finanzieller Risiken in die Kommunalverfassungsgesetze geführt, das auch Cross-Border-Leasing-Transaktionen mit erfaßt.

"Eine Genehmigung solcher Geschäfte wird nur in Frage kommen können, wenn die mit ihnen verbundenen beträchtlichen Risiken auf ein gemessen an der geordneten Haushaltsführung der Leistungsfähigkeit der Kommunen vertretbares Minimum reduziert werden", so Beckstein mit Blick auf die Möglichkeit ähnlicher Konstruktionen mit Interessenten aus anderen Ländern als den USA.

Alleine in Nordrhein-Westfalen sollen die Kommunen in den vergangenen fünf Jahren mit CBL-Verträgen über 345 Millionen Euro eingenommen haben. Wenn nun das neue US-Gesetz in Kraft tritt, rechnen Experten damit, daß amerikanische Partner versuchen könnten, aus den CBL-Geschäften auszusteigen. "Das Problem der Kommunen ist, daß sie nicht genau wissen, was auf sie zukommen kann. Viele dieser Verträge sind Tausende Seiten lang, also unübersichtlich, und dazu nicht in Deutsch abgefaßt", erklärt Wolfgang Krantz, Pressesprecher des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen.

Bund der Steuerzahler befürchtet Prozeßlawine

Kämmerer von Städten mit CBL-Verträgen nehmen das amerikanische Gesetzänderungsverfahren hingegen gelassen: Die Stadt Düsseldorf beispielsweise "sieht nicht, wo es Probleme geben könnte", ließ sie verlauten. Grund: Alte Verträge sollen nach dem neuen amerikanischen Gesetz Bestandsschutz haben bzw. Konsequenzen aus bestehenden Verträgen zu Lasten des US-Investors gehen. Auch Rainer Kampmann, Kämmerer der Stadt Gelsenkirchen, wiegelt ab: "Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sind wir weder unmittelbar noch mittelbar von den Änderungen betroffen."

Doch in der NRW-Verwaltung kursiert seit 2003 ein Papier, das vor solchen Transaktionen warnt. "Insbesondere will gut überlegt sein, ob eine Instandhaltungspflicht für Anlagen über zwei oder drei Jahrzehnte den örtlichen Belangen und den Fachplanungen entspricht", heißt es in dem Informationspapier. Vertragliche Abmachungen könnten diese Risiken mindern, aber nicht vollständig ausschließen. "Ein ganz unproblematisches Geschäft, und es kostet den deutschen Fiskus nichts", sagt Hartmut Müller-Gerbes, Pressesprecher des NRW-Finanzministeriums, optimistisch. Denn das Grundbuch weise weiterhin die Kommune als Eigentümer aus. So sei es auch in der Gemeindeordnung des Landes zwingend vorgesehen. Für den Ministeriumssprecher ist deshalb klar: "Die Besitzverhältnisse ändern sich beim Cross Border Leasing nach deutschem Recht nicht."

Der Bund der Steuerzahler sieht das anders: "Viele Verträge laufen über 99 Jahre, und das Eigentum geht nach amerikanischem Recht damit auf den US-Investor über. Wer ist nun der Eigentümer? Es kann nur einen geben. Prozesse sind da quasi vorprogrammiert", sagt Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen, der bei einer Gesetzesänderung in den USA massive Probleme befürchtet. "Es ist nicht einleuchtend, daß die Investoren die Füße stillhalten werden. Wenn solche Geschäfte in Zukunft nicht mehr möglich sind, ergibt es aus deren Sicht doch keinen Sinn, in vorhandene Projekte zu investieren. Hier stellt sich doch die Gretchenfrage. Wenn irgendwo eine U-Bahn vermietet wurde: Wer kommt für die Instandhaltung auf? Wer haftet bei Unfällen? Was passiert, wenn das verleaste Elektrizitätswerk dem Hochwasser oder einer anderen Naturkatastrophe zum Opfer fällt? Was geschieht mit Schulen, die nach einigen Jahren gar nicht mehr gebraucht werden, aber langfristig vermietet sind? Eine Prozeßlawine ist vorprogrammiert."

Doch beispielsweise die Dortmunder Verwaltungsbeamten geben sich gelassen. "Das ist alles in solchen Leasingverträgen mit berücksichtigt", beteuert Wolfgang Herbrand von den Stadtwerken. "Wir haben keine Bauchschmerzen, sonst hätten wir solche Geschäfte nicht gemacht." Abgesegnet wurde das Leasing-Geschäft von den Politikern in den Stadt-Räten. Doch Kanski bezweifelt, ob die genau wußten, worauf sie sich einließen: "Die Verträge basieren auf amerikanischem Recht. Das sind ganze Aktenordner voll mit schwer verständlichem Wirtschaftsenglisch. Die meisten beteiligten Politiker verstehen doch das deutsche Steuerrecht schon nicht, wie sollen sie die komplizierten amerikanischen Leasingverträge dann durchschauen?" Wer genauer nachfragt und die Verträge sehen möchte, stoße auf eine Mauer des Schweigens, moniert der Bund der Steuerzahler. "Man will uns die Verträge nicht zeigen, da wird nichts offen gelegt."

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac begrüßt unterdessen die Entscheidung des US-Kongresses, mit der die umstrittenen Geschäfte für illegal erklärt worden sind. "Das Verbot bestätigt uns und alle Kritiker dieses fragwürdigen Modells", sagte Attac-Pressesprecher Malte Kreutzfeldt. "Für viele Kommunen beginnt jetzt hingegen das große Zittern." Attac war federführend beim Frankfurter Streit um die Veräußerung der U-Bahn und ging damals sogar ein Bündnis mit dem rechtsgerichteten "Bürgerbündnis für Frankfurt" ein. Die Gesetzesänderung verhindert nach Ansicht von Attac nicht nur künftige CBL-Geschäfte, sondern könnte auch Probleme für laufende Verträge bedeuten. "Wenn die Investoren ihre erwarteten Steuervorteile nicht bekommen, werden sie alles versuchen, um vorzeitig aus den Verträgen auszusteigen und Schadenersatz geltend zu machen", befürchtet Kreutzfeldt.

Eine Kündigung der Verträge, die eigentlich auf eine Laufzeit von mindestens dreißig Jahren angelegt sind, ist möglich, wenn der Kommune ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten nachgewiesen wird. Damit die Öffentlichkeit erfährt, wie groß dieses Risiko wirklich ist, fordert Attac die Offenlegung der Verträge. Der Text der englischen Vertragswerke, die meist mehr als 1.000 Seiten enthalten, ist bisher nicht einmal den kommunalen Parlamenten bekannt.

Konkrete Auswirkungen zeigt Cross-Border-Leasing bereits in Berlin: Weil die Verkehrsbetriebe dort einen Großteil ihrer Straßenbahnwagen verleast haben, können sie überflüssige Wagen nicht verkaufen und selbst beschädigte nicht verschrotten. Der CBL-Vertrag sieht vor, daß die Wagen über die gesamte Laufzeit betriebsfähig erhalten werden. Die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) hat 1997, 2000, und 2002 insgesamt 22 dieser Verträge abgeschlossen. Insgesamt besitzt das Unternehmen 602 Straßenbahn- und 1.361 U-Bahn-Wagen. Vorwiegend wurden neue Fahrzeuge auf diese Art finanziert; aber auch ältere Modelle wurden so zu Geld gemacht. Die BVG hat seit 1997 in aller Heimlichkeit insgesamt 511 Straßen- und 427 U-Bahnen verleast, also die Hälfte ihres Bestandes. Inzwischen besteht wegen zurückgehenden Fahrgastaufkommens Wagenüberschuß.

Obwohl das Verschrotten unfallbeschädigter Bahnen billiger gewesen wäre, mußten mehrere repariert werden. Sie stehen nun betriebsbereit, unbenutzt und kostentreibend im Depot - sie gehören ja dem US-Investor. Die BVG plant nun, fünf neuere Straßenbahnwagen an die schwedische Stadt Norrköping zu veräußern - für zusammen neun Millionen Euro. Dabei versichert das Unternehmen, daß diese Fahrzeuge nicht in das Cross-Border-Leasing-Geschäft aufgenommen seien.

US-Steuerbehörden stoppen fortan alle Scheingeschäfte

Bereits im Juni zeigte die linksgerichtete taz ein konkretes Beispiel für die Auswirkungen der amerikanischen Gesetzesänderung auf. 420 Millionen Dollar würde demnach Potomac Electric Power (Pepco) zukünftig einbüßen, wenn es nach der Finanzkommission des US-Senats geht. "Pepco hat zwei Millionen Gas- und Stromkunden in den Bundesstaaten Maryland, Delaware, New Jersey, Virginia und in Washington. Obwohl die Gewinne in den letzten Jahren beständig anstiegen, gingen die Steuerzahlungen zurück. In einem von der Börsenaufsicht Security Exchange Commission (SEC) angeforderten Bericht hat Pepco jetzt seine zahlreichen Cross Border Leasings aufgelistet: Seit 2000 kaufte man für 1,2 Milliarden Dollar Kraftwerke und Gasnetze in Österreich, den Niederlanden und in Australien und vermietet sie für 25 Jahre an die dortigen Eigentümer zurück. Für diese steuerbegünstigte 'Investition' sackte Pepco vom US-Fiskus im Jahre 2003 immerhin 144 Millionen Dollar an Steuerrückzahlungen ein", heißt es in der taz.

Wie bei Pepco wird gegenwärtig in vielen US-Unternehmen gerechnet. Vor allem bei den zahlreichen Banken ist Panik ausgebrochen. First Union, Wachovia, Key Bank, Citigroup und vierzig weitere: Sie haben seit 1999 für Hunderte Milliarden Dollar die Straßenbahnen, Messehallen und Kanalisationen von Düsseldorf, Stuttgart, Leipzig, Zürich, Wien und anderen Städten aufgekauft.

Zwar kann den Städten keiner mehr ihre einmal eingenommenen Millionen wegnehmen. Aber auch wenn die Gesetzesvorlage des Senats nicht durchkommt, hat die oberste Steuerbehörde, der Internal Revenue Service (IRS), bereits Oberwasser. Er hat schon bisher Cross Border Leasing nach dem geltenden Prinzip der "ökonomischen Substanz" als Scheingeschäfte charakterisiert. Alle werden jetzt überprüft. Da können auf die Städte harte Zeiten zukommen.

Noch im vergangenen Jahr zeigten sich CBL-Befürworter siegessicher und weigerten sich, einen Abgesang einzustimmen. Der Vorstoß sei "ein Sturm im Wasserglas", meint Ulrich Eder, Geschäftsführer der Düsseldorfer Wirtschaftsberatung DUE Finance. Er war sich sicher, "das Gesetz wird nicht kommen". Immerhin habe es schon acht derartige Versuche in den USA gegeben. Schließlich richte sich der Vorstoß gegen die komplette Leasing-Industrie. Eder: "Dafür gibt es keine Mehrheit." So kann man sich täuschen.

Depot mit S-Bahn-Triebwagen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG): "Viele der Cross-Border-Leasing-Verträge sind Tausende Seiten lang, also unübersichtlich, und dazu nicht in Deutsch abgefaßt"


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